Testfall: Der ganz normale Alltag
Aus der Arbeit der Bundestagspolizei
Willi Stödter sagt nicht ein einziges Mal wirklich nein. Stödter führt dem Anrufer am anderen Ende der Leitung nur vor Augen, dass er sich keine, wirklich gar keine Hoffnung zu machen braucht. "Das ist ja mitten im geschützten Bereich", ruft Stödter in den Hörer und dehnt die Pause danach bis zur Ewigkeit. "Und wie viele Leute sollen da kommen, sagten Sie?" Fast ungläubig blickt Stödter jetzt den Hörer an. "230 Leute? Das ist ja viermal so viel wie eine normale Besuchergruppe." Stödter rückt seine Lesebrille zurecht. Noch immer sagt er nicht nein, und doch dringt aus jeder Pause, aus jeder Andeutung eines Seufzers die schiere Verzweiflung über so viel Unverstand. 230 Besucher sollen da in den Reichstag geschleust werden, mitten hinein in den innersten Arbeitsbereich der Bundestagsfraktionen. "Da haben Sie sich aber ein Problem aufgehalst", sagt Stödter freundlich in den Hörer. Und der Anrufer weiß: Er hat keine Chance.
Wer einmal versucht hat, den gestrengen Chef der Parlamentspolizei umzustimmen, weiß, dass der 61 Jahre alte, weißhaarige Beamte weder durch freundliches Säuseln noch durch energisches Argumentieren umzustimmen ist. Stödter ist für die Sicherheit des Bundestages verantwortlich, er steht dafür, dass die über 600 Parlamentarier ohne Störung ihrer Arbeit nachkommen können. Und das schon seit 27 Jahren. Da könnte ja jeder kommen und 230 Leute ins Herz des Parlaments einschleusen wollen. Nicht mit Willi Stödter.
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Großer Andrang beim Bundestag: Besonders an den Tagen der Einblicke und Ausblicke hatte die Parlamentspolizei alle Hände voll zu tun. |
Stödter ist Leiter des Polizei- und Sicherungsdienstes des Deutschen Bundestages, einer eigenen Polizeitruppe unter der Oberhoheit des Bundestagspräsidenten. Dessen Recht ist in einem eigenen Grundgesetz-Artikel geregelt. In Artikel 40 Absatz 2 heißt es: "Der Präsident übt das Hausrecht und die Polizeigewalt im Gebäude des Bundestages aus. Ohne seine Genehmigung darf in den Räumen des Bundestages keine Durchsuchung oder Beschlagnahme stattfinden." Die Mütter und Väter der Verfassung hatten das Bild des deutschen Reichstages vor Augen, in dem Hermann Görings Polizei aufmarschierte, um vor wichtigen Abstimmungen Abgeordnete kurzerhand vorläufig festzunehmen und einzuschüchtern. Nie wieder sollte das Parlament darauf angewiesen sein, von anderen beschützt zu werden. Es sollte für seinen eigenen Schutz sorgen können.
Fast 300 Männer und Frauen arbeiten für den Bundestags-Sicherungsdienst, rund um die Uhr. Einige von ihnen sind ständig in der Kuppel des Reichstages präsent, andere patrouillieren durch die Flure, über das Bundestagsgelände. Doch die Sicherheitsleute fallen kaum auf - sie tragen zwar ihre Waffe, aber keine Uniform. "Die Politiker wollen das nicht", sagt ihr Chef. "Wir sollen hier ein friedliches Bild abgeben." Stödters Leute halten sich bewusst zurück.
Martialisch soll nichts wirken unter der Kuppel des Reichstages - obwohl die Sicherheit in der Hauptstadt Berlin bedeutend schwieriger zu gewährleisten ist als im friedlichen Bonn. Und die erste Erfahrung hat der Bundestag damit bereits gemacht. Auf dem Dach des Reichstages entrollten vier junge Leute während des Kosovo-Krieges ein Transparent mit der Aufschrift "Neuer Reichstag, neuer Krieg". Die Bundestags-Polizisten nahmen die Demonstranten fest. Sie wurden in einen Vernehmungsraum gebracht, der Berliner Polizei übergeben und erhalten eine Anzeige. Diesmal nur wegen einer Ordnungswidrigkeit. Doch wenn Demonstranten die Unterbrechung einer Bundestagssitzung provozieren, gilt das als Straftat - sie stören dann die Tätigkeit eines Gesetzgebungsorgans.
Sicherheitschef Stödter hatte sich eigentlich für eine Bannmeile um den Bundestag ausgesprochen, in der das Demonstrieren verboten ist und die seinen Leuten zumindest etwas mehr Übersicht über das Treiben im Regierungsviertel geboten hätte. In Berlin sprach sich der Bundestag gegen eine solche Abriegelung aus. "Es geht nicht darum, Bürger aus dem Umfeld von Bundestag, Bundesrat und Bundesverfassungsgericht zu ,verbannen'", begründeten SPD und Grüne ihren Gesetzentwurf zur Abschaffung der Bannmeile. Stattdessen sind nun "befriedete Bezirke" vorgesehen, die deutlich kleiner und durchlässiger sind als die Bannmeile in Bonn. Jederzeit darf während der sitzungsfreien Zeiten in Berlin rund um den Bundestag demonstriert werden. Ein Verstoß ist nur noch eine Ordnungswidrigkeit, geahndet mit Geldbußen.
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Willi Stödter, Leiter des Polizei- und Sicherungsdienstes des Deutschen Bundestages. |
Die Sicherheitsleute setzen auf passive Sicherheit im Bundestag. An den Eingängen stehen Röntgengeräte und Schleusen, die die Taschen der Besucher auf gefährliche Gegenstände durchleuchten. Jeder Handwerker, jeder Lieferant ist registriert und überprüft, bevor er das Haus betritt. Jeder Mitarbeiter erhält einen Ausweis, mit dem er sich bei Betreten der Bundestagsgebäude ausweisen muss. Auch baulich ist der so luftig wirkende Reichstag gesichert. Die Fenster wurden so verglast, dass kein Stein sie auf Anhieb zerschmettern kann. Türen, die von außerhalb des Gebäudes erreicht werden können, sind besonders fest ausgeführt: Selbst wenn jemand mit einer Spitzhacke auf sie einschlägt, leisten sie mindestens zehn bis 15 Minuten Widerstand. Bis dahin ist längst die Polizei zur Stelle. In der Leitstelle im Reichstagsgebäude sitzt der diensthabende Polizist vor einer ganzen Phalanx von Videomonitoren, die alle Eingänge der Bundestagsgebäude zeigen. Er löst sofort Alarm aus und schickt die Kollegen los.
Mit Übergriffen haben die Bundestagspolizisten längst Erfahrung: In Bonn stürmten die Kohlekumpels die Bannmeile und belagerten den Bundestag, entzürnte Bauern trieben ihre Kühe und Schweine vor die Pforten des Parlaments. Doch draußen vor der Tür haben die Bundestagspolizisten nichts zu suchen. "Wir bitten dann nur die örtliche Polizei, tätig zu werden", sagt Stödter korrekt. Damit drum herum alles sicher ist, haben der Bund und Berlin eine Kooperation in Sachen Sicherheit vereinbart. 800 Beamte des Bundesgrenzschutzes schützen das Bundespräsidialamt, das Bundeskanzleramt sowie wichtige Ministerien. Das Bundeskriminalamt verlegt 350 Personenschützer nach Berlin. Die Beamten haben hinter den Türen des Parlaments genügend zu tun. In regelmäßigen Abständen erhält der Bundestag Bombendrohungen. Abgeordnete bringen verdächtige Post in die Polizeidienststelle, Sekretärinnen haben Angst, Päckchen ohne Absender zu öffnen. Mehr als einmal haben die Sicherheitsleute in Pralinenschachteln, die an Abgeordnete adressiert waren, anrüchigen Inhalt gefunden. Während der Serie von Briefbombenanschläge auf den Wiener Bürgermeister Helmut Zilk, einen Hamburger SPD-Politiker und eine Münchner Fernsehmoderatorin wurde die gesamte Bundestagspost durchleuchtet. "Wir haben mehrmals Attrappen entdeckt, aber sie waren niemals scharf", sagt Stödter.
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Ein Fall für die Parlamentspolizei: Demonstranten im April dieses Jahres auf dem Dach des Reichstagsgebäudes. |
Die Sicherheitsleute sind stolz darauf, dass sie den Bundestag bisher nicht ein einziges Mal wegen einer Bombendrohung räumen mussten. Weil sie jedesmal mit Sicherheit erklären konnten, dass keine Bombe in den Räumen sein konnte. Vor jeder wichtigen Sitzung durchsuchen die Polizisten den Sitzungssaal und angrenzende Räume, wenn es sein muss auch mit Hunden. Als vor zehn Jahren die bereits frei gewählte Volkskammer der DDR zwei-, dreimal Bombendrohungen erhielt und vor laufenden Kameras den Palast der Republik evakuieren musste, wandten sich die Verantwortlichen an die Bundestagsexperten. Die rieten: Morgens ordentlich alles absuchen, die Taschen zeigen lassen, die Anlieferungen kontrollieren. Da gingen die Drohungen schlagartig zurück.
Doch die eigentliche Herausforderung fürs Sicherheitspersonal ist der ganz normale Alltag. Wenn der Bürger eigens nach Berlin fährt, einfach mal den Abgeordneten besuchen will, mal kurz beim Präsidenten vorbeischauen und ein bisschen Sitzung gucken möchte. Und der dann die Frage gestellt bekommt, ob er zu einer Besuchergruppe gehört oder beim Abgeordneten angemeldet ist - und dafür nun wirklich nicht das geringste Verständnis hat. Für solche Fälle sind Stödters Mannen psychologisch geschult. "Mit Säuseln allein kriegen Sie die Leute nicht in den Griff", sagt der Chef. Bürgers Beschwerdebriefe beantwortet dann der Bundestagspräsident persönlich. Stödter seufzt wieder ein bisschen, offenbar eine typische Äußerung für seinen Berufsstand. "Zu 98 Prozent haben wir hier friedliche Leute, die nur gucken wollen, aber die anderen zwei Prozent rauszufinden, macht besondere Mühe. Wir dürfen uns nicht einlullen lassen."
Annette Ramelsberger
Die Autorin, Redakteurin der "Süddeutschen Zeitung", erhielt in diesem Jahr den Theodor-Wolff-Preis.