streitgespräch
Dialog
Streitgespräch über rechtsextreme Jugendliche
Können Verbote und Ausstiegsprogramme helfen?
Die Zahl rechtsextremistischer Straftaten ist dramatisch gestiegen. Fast 16.000 registrierte Vorfälle gab es im Jahr 2000 - knapp 60 Prozent mehr als im Vorjahr. Häufig sind es Jugendliche, die fremdenfeindliche und antisemitische Aktionen begehen. Mit Aussteigerprogrammen und der Überlegung, an Schulen Bomberjacken und Springerstiefel zu verbieten, versucht die Politik gegenzusteuern. Doch helfen Verbote gegen Hass und rechte Gesinnung? Darüber führte Blickpunkt Bundestag ein Streitgespräch mit Sebastian Edathy, Sprecher der SPD-Arbeitsgruppe Rechtsextremismus und Gewalt, und dem CSU-Bundestagsabgeordneten Klaus Holetschek.
Familienministerin Christine Bergmann möchte über die Schulen einen Bomberjacken- und Springerstiefel-Bann verhängen. Kann man mit dem Verbot von Äußerlichkeiten innere Einstellungen verändern?
Edathy: Verbote können ein sinnvoller Bestandteil einer Gesamtstrategie gegen Rechtsextremismus sein, aber sie dürfen nicht isoliert gesehen werden. Mindestens so wichtig wie repressive sind vorbeugende Maßnahmen. Prävention ist gerade mit Blick auf Heranwachsende der entscheidende Punkt.
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Sebastian Edathy. |
Gehört zur Prävention nicht auch, gegen Symbole wie Bomberjacken und Springerstiefel vorzugehen?
Holetschek: Natürlich spielen im Rechtsextremismus Symbole eine nicht zu unterschätzende Rolle. Deshalb muss man auch an solche Verbote denken. Aber man darf das nicht isoliert sehen. Wir brauchen ein ganzes Maßnahmebündel aus Prävention und Repression. Aber selbst damit wird es nicht funktionieren, wenn wir nicht auch über die Strukturen in unserer Gesellschaft und über die Werteorientierung nachdenken. Denn die Sache geht ja tiefer als nur bis zur Kleidung.
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Klaus Holetschek. |
Richtig. Wäre aber das Bomberjacken-Verbot nicht immerhin ein kleiner Anfang?
Edathy: Ja, durchaus. Deshalb halte ich den Ansatz auch für wert, dass man über ihn diskutiert. Denn in der Tat drohen Äußerlichkeiten wie Bomberjacke und Springerstiefel zu Symbolen einer rechtsextremistischen Jugendkultur zu werden. Wenn hier die Politik das Signal setzt, dem schauen wir nicht gleichgültig zu, halte ich das für richtig.
Holetschek: Einverstanden. Aber wir können nicht alles auf die Schulen abwälzen, die schon jetzt überfordert sind. Es geht auch um Familien- und Sozialpolitik. Um die Frage: Was ist in den Familien los? Was wird dort noch transportiert an Werten? Wie sieht es in unserer Arbeitswelt aus? Nur an der Oberfläche zu kratzen, ist Aktionismus, der uns nicht helfen wird.
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Sebastian Edathy:"Verbote können ein sinnvoller Bestandteil einer Gesamtstrategie sein." |
Können Verbote nicht immerhin zu Denkanstößen und Diskussionen führen?
Holetschek: Ich denke schon. Die Debatte zum Beispiel um das NPD-Verbot hat zu einer breiten Diskussion geführt, möglicherweise auch mit dem Ergebnis des hohen Symbolwertes, dass NPD-Aufmärsche durchs Brandenburger Tor endgültig vorbei sind. Ich warne nur vor der Versuchung, in isolierten Verboten ein Allheilmittel zu sehen.
Brauchen wir statt Verbote mehr Vorbilder und Zivilcourage an den Schulen?
Edathy: Zivilcourage ist ein ganz wesentlicher Punkt. Deshalb sind Beispiele wie die Aktion "Schule gegen Rassismus" zu Recht kürzlich ausgezeichnet worden. Parlamente und Regierungen können noch so gute Beschlüsse fassen - wenn Demokratie nicht vor Ort gelebt wird, ist alles umsonst. Da spielen Schulen eine ganz wichtige Rolle. Wir sind darauf angewiesen, dass Lehrer wie Schüler Verantwortung übernehmen und im eigenen Bereich überall dort einschreiten, wo die Würde anderer angetastet wird.
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Klaus Holetschek: "Der Staat ist nicht hilflos, er kann und muss handeln." |
Um noch bei der Symbolik zu bleiben: Was halten Sie von der Einführung von Schuluniformen, mit denen sowohl rechtsextremistisches Geprotze wie der Gruppenzwang auf teure Markenkleidung behoben werden könnten?
Edathy: Ich persönlich halte davon wenig, auch wenn es in meiner Partei durchaus Sympathien dafür gibt. Es geht bei der Bekämpfung von Extremismus ja nicht darum, dass die Menschen sich nicht mehr unterscheiden sollen, sondern darum, dass sie sich bei allen Unterschieden respektieren. Ich bezweifle, ob man wirklich mit der Schuluniform die Diskriminierung von Schülern beseitigt, die sich bestimmte Markenartikel nicht leisten können.
Holetschek: Ich finde, man kann über Schuluniformen durchaus nachdenken und diskutieren. Ich halte das gar nicht für so abwegig, allerdings weniger aus Gründen des Rechtsextremismus, sondern aus dem Gruppenzwang zum Markendenken. Es darf und sollte nicht sein, dass ein Schüler, der da nicht mithalten kann oder will, in die Außenseiterrolle kommt.
Innenminister Otto Schily will mit einem Aussteigerprogramm Jugendliche aus der rechtsextremen Szene herausholen, indem er ihnen, auch finanziell, bei der Arbeits- und Wohnungssuche hilft. Für wie erfolgreich schätzen Sie diesen Vorstoß ein?
Edathy: Ich finde es richtig, sich direkt an junge Menschen zu wenden, die sich in der rechtsextremistischen Szene befinden und ihnen ein Angebot zur Herauslösung zu machen. Als Demokraten haben wir die Aufgabe, allen, die sich von der Demokratie weg bewegt haben und die wir erreichen können, ein Angebot zu machen, in die Demokratie zurückzukehren. Das wird nicht einfach sein, aber einen Versuch ist es wert. Zumal wenn er begleitet wird von staatlich geförderten Jugendinitiativen und Projekten gegen Fremdenfeindlichkeit. Wir haben dafür gerade aus Bundesmitteln 65 Millionen Mark zur Verfügung gestellt.
Holetschek: Man muss erst mal sehen, wie das Aussteigerprogramm konkret gestaltet wird. Es gibt da ja verschiedene Modelle, vom Bund wie in den Ländern. Ich sehe das durchaus positiv, nur darf ein solches Programm natürlich keine Prämienwirkung haben. Und es sollte eingebunden sein in andere Maßnahmen. Zu überlegen wäre auch die Wiedereinführung der wieder abgeschafften Kronzeugenregelung.
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Im Gespräch: Sebastian Edathy (SPD) und ... |
Sehen Sie die Gefahr des finanziellen Missbrauchs dadurch, dass braune Köpfe einen Ausstiegswillen nur vortäuschen und das Geld für braune Zwecke nutzen?
Edathy: Man muss sicherlich jeden Einzelfall genau prüfen. Es darf bei dem Programm keine Pauschalregelung geben. Wir müssen auch insgesamt aufpassen, dass auffällig gewordene Jugendliche nicht eine ungleich höhere Aufmerksamkeit bekommen als andere Jungendliche. Was mir wichtig erscheint ist, die Breitenarbeit für Jugendliche deutlich zu verstärken.
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... Klaus Holetschek (CDU/CSU). |
Stehen wir dem ansteigenden braunen Sumpf gewaltbereiter rechtsextremer Jugendlicher hilflos gegenüber?
Holetschek: Nein, wir haben eine wehrhafte Demokratie und die müssen wir auch jetzt zum Vorschein bringen. Das heißt, neben allen vernünftigen Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung, zur Hilfe und Prävention müssen wir selbstverständlich auch andere Mittel einsetzen, vom Verfassungsschutz über die Telefonüberwachung bis zum Strafrecht. Der Staat ist nicht hilflos, er kann und muss handeln.
Edathy: Es zeigt sich immer deutlicher, dass die jahrelange Einschätzung, Rechtsextremismus sei ein von ewig Gestrigen ausgehendes Problem, eine Fehleinschätzung war. Die Trägergruppen wachsen immer wieder nach und sind erschreckend jung. Deshalb können wir nur mit langfristigen Strategien entgegenwirken. Das heißt, wir müssen an dem Problem auch dann arbeiten, wenn es gerade mal nicht Konjunktur hat im politischen Bewusstsein.
Holetschek: Und dabei haben auch die Medien eine hohe Mitverantwortung.