Fraktionen und Gesprächskreise
Bruchteile des Parlamentes
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Eine Partei zu gründen, ist gar nicht mal so schwer. Aber eine Fraktion, das schaffen die wenigsten. Eine Fraktion bilden zu können, bleibt deshalb unerreichter Traum für viele, die in Deutschland politisch mitgestalten wollen – es sei denn, sie engagieren sich in den großen Parteien. Und doch wissen nur wenige Bürger mit dem sperrigen Begriff etwas anzufangen, obwohl täglich in den Nachrichten davon die Rede ist. Vielleicht kann man sich die Zusammenhänge leichter merken, wenn der lateinische Ursprung des Wortes bildlich genommen wird. Fraktion kommt von Fraktur und ist deshalb ein Bruch, besser: Bruchteil von zwei größeren Einheiten: Bruchteil eines Parlamentes und Bruchteil einer Partei. Wenn also eine Partei den Sprung ins Parlament geschafft hat, können ihre gewählten Mitglieder in der Regel eine Fraktion bilden.
Diese Abgeordneten haben dann als gemeinsame organisierte Interessengemeinschaft eine Reihe von Vorrechten (1), etwa bei politischen Initiativen, Anträgen, Mitgestaltungen der Tagesordnung oder der Ausstattung mit Mitarbeitern. Das soll auch das Funktionieren der parlamentarischen Abläufe erleichtern. Man stelle sich nur einmal vor, es würden sich im Schnitt jeweils zehn Abgeordnete zusammenschließen, um ihre Vorstellungen zu bündeln – dann müssten in jeder Woche 60 verschiedene Gruppen miteinander aushandeln, worüber jeweils zu debattieren ist. Pro Tagesordnungspunkt müssten 60 Redner zu Wort kommen. Schnell wäre die Entscheidungsfindung in dieser Republik gelähmt.
Deshalb genießen solche Vorrechte nur Fraktionen. Und damit Abgeordnete eine gemeinsame Fraktion bilden können, müssen sie zwei Voraussetzungen erfüllen. Zum einen findet sich hier eine Zweite Fünf-Prozent-Klausel (2): Mindestens fünf Prozent aller Abgeordneten sind für eine Fraktion nötig – sind es weniger, kann sich allenfalls eine Gruppe bilden oder bleiben diese Abgeordneten „fraktionslos“. Zum Zweiten müssen die Abgeordneten derselben Partei angehören – oder solchen Parteien, die auf Grund gleich gerichteter politischer Ziele in keinem Bundesland miteinander im Wettbewerb stehen. Es kann also nicht zwei Fraktionen mit SPD-Abgeordneten geben, doch CDU-Abgeordnete und CSU-Abgeordnete können sich zu einer gemeinsamen Fraktion zusammenfinden.
Weil sich Einzelkämpfer viel schwerer tun, an der Willensbildung in einem 603-Mitglieder-Parlament mitzuwirken, versteht sich zu Beginn jeder Wahlperiode von selbst, dass alle Abgeordneten einer Partei im Parlament einer Fraktion angehören. Wegen politischer Auseinandersetzungen kann es jedoch passieren, dass sich Abgeordnete mit ihrer Fraktion überwerfen, diese verlassen oder ausgeschlossen werden und dann entweder einer anderen Fraktion beitreten oder fortan dem Bundestag als fraktionslose Abgeordnete angehören.
Der Begriff Fraktion darf nicht mit dem der Koalition (3) verwechselt werden. Während die einen den Willen der jeweiligen Parteien in der alltäglichen Arbeit des Parlamentes umzusetzen und zu schärfen versuchen, sind Koalitionen zwar in der Praxis Bündnisse von Fraktionen, im Wesentlichen aber Vereinbarungen von Parteien darüber, mit welchen Absichten und Zielen sie gemeinsam eine Regierungsmehrheit im Parlament bilden wollen. Koalitionen können also auch wieder scheitern, doch die Fraktionen bleiben bis zur Konstituierung eines neuen Bundestages bestehen.
Einen „Fraktionszwang“ gibt es rechtlich in mehrfacher Hinsicht nicht. Kein Abgeordneter wird gezwungen, sich einer Fraktion anzuschließen. Mit den Vorgaben des Grundgesetzes ist es auch nicht vereinbar, dass der einzelne Abgeordnete sich in seinem Abstimmungsverhalten einem Diktat seiner Fraktionsführung zu fügen hat. In der parlamentarischen Praxis geht es jedoch immer wieder um Geschlossenheit und um die Notwendigkeit, die Regierungsfähigkeit auch in den Abstimmungen zu Sachfragen deutlich zu machen. Normalerweise können die Anhänger verschiedener Meinungen intern eine ganze Weile um Stimmen im eigenen Lager werben. Nach der Vorentscheidung in der Fraktionssitzung tragen dann aber die unterlegenen Abgeordneten in der Regel den Willen der Fraktionsmehrheit auch in ihrem eigenen Abstimmungsverhalten mit. Etwas anderes gilt für klare Gewissensentscheidungen oder Entscheidungen, bei denen es keine klare Fraktionsfestlegung gibt.
Gespräche unter Gleichgesinnten
Fraktionen, besonders die großen von SPD und CDU/CSU, sind im Grunde eigene Parlamente im Parlament. Da kommen schon innerhalb einer Fraktion unterschiedliche Interessen zusammen. Kein Wunder, dass diese sich auch wieder in Landesgruppen oder Gesprächskreisen organisieren, um ihre Anliegen besser verfolgen zu können.
So ist ein wichtiger Orientierungspunkt die Aufgliederung nach Herkunft. Deshalb existieren so genannte Landesgruppen (4). In den großen Fraktionen für jedes Bundesland eine, bei den kleineren können auch schon einmal die Abgeordneten aus mehreren benachbarten Bundesländern in einer Gruppe zusammengefasst sein. Eine Sonderstellung nimmt die CSU-Landesgruppe innerhalb der CDU/CSU-Fraktion ein.
Neben die regionale Aufteilung tritt eine soziologische. Junge Abgeordnete schließen sich unter diesem Gesichtspunkt genauso zusammen wie engagierte Frauenpolitikerinnen, Arbeitnehmer arbeiten in einer gemeinsamen Gruppe genauso für ihre gemeinsamen politischen Ziele wie Mittelständler.
Eine dritte Art von Gruppenbildung, wie sie vor allem in der SPD-Fraktion anzutreffen ist, orientiert sich an politischen Strömungen. Hier suchen etwa die „Seeheimer“, die „Parlamentarische Linke“ oder die „Netzwerker“ intern das Gespräch unter Gleichgesinnten.