Ein Streit um den Feldhamster hat es bis auf die Tagesordnung des nordrhein-westfälischen Parlaments gebracht. Außerdem hat das possierliche Tierchen gute Chancen, auch noch im nahenden Landtagswahlkampf eine Rolle zu spielen. Der etwa 30 Zentimeter große Nager ist nicht nur in seiner Art selber bedroht, er gefährdet im niederrheinischen Grevenbroich-Neurath angeblich auch den geplanten Bau eines rund zwei Milliarden teuren supermodernen Braunkohlekraftwerks durch den Energiekonzern RWE.
Ehe die Auseinandersetzung den NRW-Landtag erreichte, tobte seit Monaten zwischen interessierten Lobbyisten, Umweltschützern und Wirtschaft eine vornehmlich in den Medien ausgetragene Herz zerreißende Rangelei um den Feldhamster. "Wird der Feldhamster missbraucht?" fragte etwa der "Kölner Stadt-Anzeiger" besorgt. "Hamster nur Attrappe?" konterte dagegen die "Westdeutsche Zeitung". Gleich mehrere Blätter meldeten sich serienmäßig mit "Neues vom Feldhamster". Die "Aachener Zeitung" titelte "Feldhamster lässt Energiekonzern zittern" und die "Frankfurter Rundschau" kommentierte nach der Landtagsdebatte über den Vierbeiner "Wenn der Feldhamster für Polit-Possen herhalten muss".
Als der RWE-Konzern die Genehmigung für den Bau des Braunkohle-Kraftwerks im ländlichen Grevenbroich-Neurath beantragte, das künftig bis zu neun Millionen Haushalte mit Strom beliefern soll, hatte er noch ausgeschlossen, dass der auf der roten Liste der besonders geschützten Tierarten stehende Hamster sich auf dem vorgesehenen Baugelände tummeln könnte. Doch schon zu dieser frühen Phase sah der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) den seltenen Feldhamster durch das Projekt gefährdet. "Aus eigenem Interesse haben wir vorsichtshalber ein Gutachten über die Feldhamstervorkommnisse auf dem 83 Hektar großen Areal nachgereicht", sagt RWE-Sprecher Manfred Lang heute. Tatsächlich legten sich Experten drei Monate auf die Lauer nach dem Nager. Das Ergebnis war allerdings nicht so eindeutig, wie der Energieriese sich das gewünscht hatte. Bei den Untersuchungen wurde zwar kein einziger leibhaftiger Feldhamster gesichtet, wohl aber drei Winterbauten des Tieres entdeckt. Nach RWE-Meinung war das Projekt durch das Gutachten allerdings nicht gefährdet. Das sah der BUND ganz anders. Ihm war das Gutachten irgendwie zugespielt worden, und Dirk Jansen, BUND-Geschäftsführer, sah die Population der scheuen Tierart durch das Ergebnis der Expertise durchaus gefährdet.
Dass mit Hamstern keineswegs zu spaßen ist, hatten in früheren Jahren übrigens die Investoren im grenzüberschreitenden Gewerbegebiet "Avantis" zwischen Aachen und Heerlen zu spüren bekommen. Obwohl auch dort kein lebender Feldhamster zu finden gewesen war, sorgte allein schon der Verdacht, dass es ihn dort geben könnte, für einen fünf Jahre dauernden Rechtsstreit, der schließlich sogar vor der EU-Kommission verhandelt wurde. Lange Zeit drohte das Projekt nach einer Klage der niederländischen Umweltschützer zu scheitern, ehe der Streit nach den Ergebnissen eines vom Land NRW in Auftrag gegebenen und bezahlten Hamster-Zuchtprojektes beigelegt werden konnte.
Im Fall des neuen Braunkohlekraftwerks in Grevenbroich-Neurath bekam die Auseinandersetzung insofern eine zusätzliche pikante Note, als sich an diesem Punkt der Naturschutzbund (Nabu) in den Streit einmischte und RWE vorwarf, der Energiekonzern habe das Gutachten an den BUND lanciert, weil er in Wirklichkeit das Braunkohlekraftwerk aus Kostengründen gar nicht wirklich bauen wolle. Eine Argumentation die von RWE entrüstet zurückgewiesen wird. "Das neue Kraftwerk wird gebraucht. Wir haben soviel in die Vorarbeiten investiert, dass dieser Vorwurf einfach absurd ist", meint Manfred Lang. Trotz dieser Zusicherung sah sich die grüne Umweltministerin angesprochen. Bärbel Höhn und ihre Parteifreunde sind nämlich für die Errichtung des Braunkohlekraftwerks mit optimierter Anlagentechnik (Boa). Und so kam es zu dem bisher einmaligen Schulterschluss zwischen RWE und der grünen Ministerin. Offensichtlich lief der Hamster zu dieser Zeit schon so schön im Rad, dass er nicht mehr zu stoppen war. Jedenfalls fand der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP Gerhard Papke mittels einer Kleinen Anfrage heraus, dass die Landesregierung seit 2001 für ein Hamster-Wiedereinbürgerungs- und Hilfsprogramm 50.000 Euro pro Jahr zur Verfügung gestellt hat, wovon 95 Prozent des Mittel für Personalausgaben verwendet worden seien. Damit war die Posse um den Feldhamster als Wirtschaftsbremse für Investitionen in Nordrhein-Westfalen endgültig parlamentsreif. Es kam zu einem Schlagabtausch im Landtag, bei dem von "Rinderwahnsinn", "Polithammel" und "Öko-Kampfgeschwader" die Rede war.
NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn handelte sich einen Ordnungsruf ihrer grünen Parteifreundin und Vize-Parlamentspräsidentin Edith Müller ein, als sie ihren FDP-Herausforderer Papke annahm und ihm bescheinigte: "Durch ihr Verhalten blockieren sie das Kraftwerk. Entweder sind Sie dumm oder perfide. Dazwischen gibt es nämlich nichts." Höhn weiter: "Wenn man Wirtschaft machen will, dann muss man Ahnung von Umwelt haben, sonst blockiert man die Wirtschaft." Deswegen leiste sich das Land für rund 50.000 Euro jährlich ein Feldhamster-Schutz-Programm. Der Hamster lebe so versteckt, dass man nicht wisse, wo er sei. Die Ministerin: "Also müssen wir jemanden losschicken um zu gucken wo er ist." Dabei habe man herausgefunden, dass es nur wenige Kilometer von dem Braunkohlepark entfernt eine Hamsterpopulation gebe. Damit seien die EU-Vorgaben zum Artenschutz erfüllt und deshalb sei das Genehmigungsverfahren des Braunkohlekraftwerks auch nicht gefährdet.
Als der FDP-Mann beunruhigt nachfragte, ob sicher sei, dass nicht doch einige Hamster ausbrechen und nach Westen weiterwandern könnten, ließ sich der grüne Fraktionsvize Reiner Priggen zu einer Äußerung über Hamsterwahnsinn hinreißen. Als er vor viereinhalb Jahren im Landtag angefangen habe, hätte man über "Rinderwahnsinn" debattiert, so Priggen: "Jetzt haben wir eine Debatte um Hamsterwahnsinn, und es sind nicht die Tiere die befallen sind, sondern ganz offensichtlich eher einzelne Leute von der FDP." Der CDU-Abgeordnete Christian Weisbrich sah dagegen die Umweltbehörden der grünen Ministerin als "Öko-Kampfgeschwader" instrumentalisiert und folgerte: "Die De-Industrialisierung in NRW hat einen Namen: Rot-Grün." Damit lockte er NRW-Energieminister Axel Horstmann ans Rednerpult. Der konstatierte: "Das Problem sind nicht die Hamster. Es sind die Polit-Hammel, die die Interessen Nordrhein-Westfalens nicht erkennen können."
Im April - also noch vor der NRW-Landtagswahl am 22. Mai 2005 - soll die Bezirksregierung in Düsseldorf als Genehmigungsbehörde über den Bau des Braunkohlekraftwerks und damit auch über die Hamsterfrage entscheiden: