Seit Jahren schon veranstaltet die bpb zweiwöchige Gruppenreisen für deutsche Teilnehmer und Teilnehmerinnen. Zielpublikum sind in der Regel Multiplikatoren: Journalisten, Gedenkstättenpädagogen, Lehrer und in jüngster Zeit auch bestimmte Berufsgruppen wie Wasserkundler, Juristen oder Kommunalpolitiker.
Dieses Mal waren Frauen die Adressatinnen. Sie haben ein spezifisches Interesse. Es richtet sich vor allem auf die zivilgesellschaftlichen Strukturen in Israel. Da ist der Nahost-Konflikt, und sie wollen mit Frauen sprechen, denn die, weiß eine, sind in Konflikten sehr aktiv. Sie haben viel zu verlieren: Als Mütter ihre Kinder, als Arbeitnehmerinnen ihre Stellen, die Wirtschaft leidet unter Krieg und Mauerbau. Bei sinkenden Staatseinnahmen wird im sozialen Bereich als erstes gestrichen. So sind die Frauen, oft angewiesen auf steuerfinanzierte Unterstützung, von Budgetkürzungen besonders betroffen. Wieso machen viele den Tanz auf dem Vulkan so lange mit?
Gleichzeitig beschäftigt diese Teilnehmerinnen, was viele Deutsche fragen: Was ist das wahre Bild hinter der pointierten Berichterstattung, die uns täglich erreicht? Eine ist fasziniert von der hebräischen Sprache, mehrere suchen den interreligiösen Dialog. Eine, 1967 geboren, bedauert, dass ihr die Schule nicht vermittelt hat, was durch den Holocaust für Europa verloren ging.
Beides, sowohl das allgemeine Interesse wie auch der spezielle Frauenblickwinkel, findet sich im Programm der Reise wieder. So gehören ein Besuch der Knesset und ein Treffen mit dem "Anchorman" des israelischen Fernsehens, dem Nachrichtenmoderator David Witzthum, ebenso zum Programm wie Begegnungen mit höchst unterschiedlichen Frauengruppen.
Immer wieder werden die Reisenden herzlich bewirtet: von der nationalreligiösen "Emunah", die Stipendien für Mädchen aus Russland aufbringt, von Frauen in der Gewerkschaft, von der Gruppe "Achoti", die Existenzgründungsprojekte für arbeitslose, arme Frauen startet. Jüdinnen lybischer und iranischer Herkunft haben sich unter diesem Namen (übersetzt: "meine Schwester") zusammengeschlossen. Anhand ihrer Lebensgeschichten wird deutlich, die Spaltungen in der Gesellschaft sind tief.
Das allgemeine Programm wird den Teilnehmerinnen, so oft es geht, von Frauen präsentiert. Die Reisen der Bundeszentrale für Politische Bildung haben als Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte zur Zeit des Nationalsozialismus begonnen. So ist ein Besuch in Yad Vashem obligatorisch. Durch die Ausstellung mit Fotos der Shoah führt Susan Cain, deren Familienschicksal zu den dort dokumentierten zählt. Sie begleitet die Gruppe zum Memorial und dem Ort, der speziell der Kinder gedenkt. Später wird es Hinweise auf eine auch mögliche kritische Betrachtung israelischer Erinnerungskultur geben.
Die Reisen der Bundeszentrale für Politische Bildung sollen jüdische Geschichte und israelische Gegenwart zu einem komplexen Bild der Gesellschaft verbinden, innere Widersprüche und Konflikte sowie die Art und Weise, wie die Gesellschaft damit umgeht, sichtbar machen.
Der friedliche Campus Beit Berl ist ein Beispiel. In der Sharon-Ebene, der Wespentaille des Landes, in großer Nähe zu den Straßensperren vor der Westbank gelegen, ist die grüne Insel ein Ort der Begegnung. Es gibt neben kleineren Instituten eine Pädagogische Hochschule, die für das jüdisch-säkulare, und eine, die für das arabische Schulwesen ausbildet.
Die jüdische Leitung, so Ursula Scheffer, Vorsitzende des deutschen Fördervereins, war immer stolz darauf, dass die arabische Institution unter kultureller Autonomie für die Ausbildung von Lehrerinnen und Erzieherinnen Sorge trug, während in der Studentenvertretung und da, wo es um Budget-Verhandlungen und Lehrerkonzeptionen geht, Kooperation geübt wird. Mehr als 80 Prozent der Studierenden sind Frauen. Die zukünftigen Lehrerinnen, so erklärt Rektor Aaron Seidenberg, sollen Trägerinnen der Idee sein, dass auf einen Krieg die Verhandlungsphase folgen kann, dass sich Handel und Wandel gemeinsam entwickeln lassen. "Aber wird sind weit entfernt davon, Kinder unterschiedlicher Herkunft in einer Klasse unterrichten zu können."
Der arabische Hochschullehrer Kussai Haj Yehia bekennt: "Ich bin ein arabischer Israeli, aber zunehmend fühle ich mich auch als Palästinenser." Die zweite Intifada hat die Gräben tiefer werden lassen. Paradoxien, die die "Sicherheitslage" erzeugt, will die bpb nicht ausblenden. Die Reiseteilnehmerinnen erhalten die Gelegenheit, einen Checkpoint am Stadtrand Jerusalems zu durchlaufen.
In Sichtweite der israelischen Soldaten bildet sich plötzlich ein kleiner Auflauf. Zwei Gruppen palästinensischer Jungen bauen sich voreinander auf. Es geht um eine Sonnenbrille. Die Loyalität wechselt von dem, dem sie gehörte, zu dem, der sie genommen hat, und wieder zurück. Ein Junge, blasser, stiller, unsicherer als die anderen, wird massiv eingeschüchtert. Immer wieder angegangen, wird er auch immer wieder von einem anderen geschützt. Die Konstellationen ändern sich, und am Ende laufen Zweier- und Dreiergruppen albernd auseinander. Der Stress aber verliert sich nicht aus den Gesichtern.
"Im Zuhause dieser Kinder gibt es keine Ruhe", sagt Georg Dürr. Er ist seit August 2004 Leiter der evangelisch-lutherischen Schule Talitha Kumi in Beit Jala, auf der Grenze zwischen Israel und dem palästinensischen Verwaltungsgebiet. Er wünscht sich vor allem, dass die Kinder zuhören lernen. Aus Deutschland hat er eine Methode des Debattiertrainings mitgebracht. "Da kommt es nicht darauf an, dass einer im Wortgefecht die Oberhand behält. Es wird bewertet, wie genau einer zuhört, wie er seine Argumente entwickelt, wie er überzeugt." Die Reisen der Bundeszentrale für politische Bildung verstehen sich allerdings erst in zweiter Linie als Veranstaltungen zum Studium des Nahostkonflikts. Sie sind vor allem Ausdruck der Solidarität mit dem Staat, in dem Überlebende der Shoah Heimat gefunden haben. Sie sind ein fester Knoten im Netz deutsch-israelischer Beziehungen.
Gestartet 1963 als Reaktion auf erste offene antisemitische Tendenzen in Deutschland, bemühten sie sich zuerst vor allem um die Überwindung der Sprachlosigkeit zwischen Deutschen und Juden. "Die ersten Teilnehmer und Teilnehmerinnen getrauten sich nicht, ihre Sprache in den Straßen Jerusalems hörbar werden zu lassen", erzählt Waltraud Arenz, in der Bonner Zentrale verantwortlich für die Israel-Reisen.
Deren Tradition ist älter als die der diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern. 200 Reisegruppen mit mehr als 6.000 Teilnehmern und Teilnehmerinnen waren bisher unterwegs. In den 90er-Jahren, dem "Jahrzehnt der Hoffnung" im Friedensprozess, steigerte sich die Nachfrage, so dass sich 1996 330 Reisende in elf Gruppen auf den Weg machten. Zwischen 2001 und 2003 mussten wegen der Sicherheitslage Veranstaltungen und Lehrerfortbildungen in Deutschland stattfinden. Inzwischen werden regelmäßig sechs Reisen pro Jahr unternommen.
Sobald sich die Lage stabilisierte, stieg das Interesse der Deutschen wieder an. Dabei steht Israel bei einer Mehrheit der europäischen Bevölkerung unter dem kollektiven Verdacht, den Weltfrieden zu bedrohen. Für eine sachliche Kritik aber, so Thomas Krüger, Leiter der Bundeszentrale, ist die vermehrte Vermittlung von Informationen, also Aufklärung und immer wieder Aufklärung, notwendiger denn je.
Die Frauengruppe soll sich daher einen eigenen Eindruck der Siedlerbewegung verschaffen. Shimon Anspacher, vor 75 Jahren in Frankfurt geboren, führt die Gruppe stolz durch die Siedlung, die er mitentworfen und lange Jahre als Bürgermeister entwickelt hat. Maale Adumin ist die größte von fünf Agglomerationen in der Westbank, eine Wohnstadt mit "Licht, Luft und Sonne für alle", ausgestattet mit Schulen und sozialen Einrichtungen. "Wenn Ihr in Deutschland ankommt, sollt Ihr wissen, es ist alles ein bisschen komplexer." Die Reisen der Bundeszentrale für Politische Bildung erreichen dieses Ziel. "Wer aus Israel zurückkehrt, hat sein Schwarz-Weiß-Bild aufgegeben", sagt Waltraud Arenz.
Birgitta M. Schulte lebt als Hörfunk- und Buchautorin in Frankfurt am Main.