Die neu gewählte Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt hatte schon vor ihrer Wahl erklärt, sie verstehe das Amt als Auftrag zur politischen Gestaltungsarbeit - wohl wissend, dass es bisher meist sehr zurückhaltend ausgeübt wurde. Auf eine reine Repräsentationsrolle will die 39-Jährige ihre Aufgabe nicht reduziert wissen.
Mit mit 479 Ja-Stimmen wurde sie am 18. Oktober in ihr neues Amt gewählt. 69 Abgeordnete stimmten mit Nein, 39 enthielten sich. Die Thüringerin, die schon zu DDR-Zeiten in der kirchlichen Friedenbewegung aktiv war, studierte Theologie, ohne darin einen Abschluss zu machen. 1989 war sie Mitbegründerin der Bürgerbewegung "Demokratie jetzt", die sich 1990 zu einem "Bündnis 90" zusammenschlossen. Von 1992 bis 1993 war sie Mitglied der Kommission, die den Zusammenschluss von "Bündnis 90" mit den westdeutschen Grünen verhandelte.
Göring-Eckardt, die mit einem evangelischen Pfarrer verheiratet ist, gelang es schnell, Zugang zu den inneren Machtzirkeln der Fraktion - allen voran zu Joschka Fischer - zu bekommen und sich gleichzeitig von ihnen zu emanzipieren. Sie schob eine Debatte zur Familienpolitik an, die sich nicht nur auf die klassische Vater-Mutter-Kind-Familie konzentrierte, sondern auch Alleinerziehende, Patchwork-Familien oder homosexuelle Paare einbeziehen sollte.
Nachdem Katrin Göring-Eckardt 2002 zusammen mit Krista Sager Fraktionsvorsitzende wurde, arbeiteten beide daran, die Grünen als "Reformmotor" zu positionieren, der ohne Druck starker Interessengruppen neue Lösungen für die Probleme des Sozialstaats präsentieren sollte. Als so reibungslos galt die Zusammenarbeit der beiden Politikerinnen, dass sie auch als "Doppeltes Lottchen" bezeichnet wurden. Vor einigen Wochen scheiterte Göring-Eckardt dennoch bei der Wiederwahl zur Fraktionsvorsitzenden.
Für Katrin Göring-Eckardt ist das christliche Menschenbild keine Attitüde. Wenn sie es fertig bringt, mit ihrer Verbindlichkeit ihre Themen zu setzen und in ihre Fraktion, den Bundestag und die Gesellschaft hinein zu kommunizieren, kann sie auch als Vizepräsidentin viel erreichen. Sie möchte in Zeiten der Globalisierung Debatten zur Wirtschaftethik anstoßen, die traurige und folgenschwere Kinderarmut in unserer Gesellschaft ins Bewusstsein der Menschen rücken und die Traditionsthemen der Grünen, nämlich Ökologie und Menschenrechte, auf ihre Agenda setzen. Kürzlich sagte sie: "Ich habe den Eindruck, dass der Wunsch nach solchen Grundsatzdebatten bei vielen in der Bevölkerung sehr groß ist."