Mehr Demokratie wagen" - das war nicht einfach nur ein gut klingender Spruch in einer politischen Sonntagsrede. Es war jene Überzeugung, nach der Willy Brandt die sozial-liberale Regierung unter seiner Kanzlerschaft (1969 - 1974) gestaltete. Sie machte ihn berühmt und populär, obwohl sich die Gesellschaft der Bundesrepublik keineswegs darin einig war, an welchen Stellen die neue demokratische Freizügigkeit enden sollte. Zwar hatten sich die sittlichen und moralischen Schmerzgrenzen im Zuge der Studentenproteste Ende der 60er-Jahre bereits gehörig verschoben: Nackte Studenten, "wilde" Ehen und Wohngemeinschaften - man hatte sich an einiges gewöhnt. Doch wo endete das Recht der indivuellen Entfaltung? Und bedeutete mehr demokratische Teilhabe des Einzelnen an gesellschaftlichen Entscheidungen umgekehrt auch, Ansprüche des Staates stärker als bisher zurückweisen zu können? Die Frauenbewegung tat dies, indem sie forderte: "Mein Bauch gehört mir!" Frauen sollten das Recht haben, sich ohne Strafandrohung auch gegen ein Kind entscheiden zu dürfen.
Natürlich lagen die Zeiten lange zurück, in denen Frauen Folter durch "glühenden Zangenriss" und Tod durch das Schwert drohte, wie es die Peinliche Gerichtsordnung Karl des V. aus dem Jahr 1532 festlegte. Aber auch das Strafgesetzbuch von 1871, das die Urfassung des Paragrafen 218 enthielt, definierte eine Abtreibung als Straftat: "Eine Frau, die ihre Leibesfrucht abtötet oder die Abtötung durch einen anderen zuläßt, wird mit Gefängnis, in besonders schweren Fällen mit Zuchthaus bestraft." Im schlimmsten Fall konnten dies fünf Jahre sein. Auch für jene, die die Abtreibung vornahmen oder helfend daran beteiligt waren, hießen die Stationen Zuchthaus oder Gefängnis. 1920 brachte die SPD erstmals einen Antrag in den Reichstag ein, Schwangerschaftsabbrüche in den ersten drei Monaten straflos zu lassen. Die Kommunisten gingen noch einen Schritt weiter, indem sie die völlige Abschaffung des "Klassenparagrafen" 218 forderten. So nannten ihn beide Parteien, weil der Mangel an Aufklärung und das Verbot von Verhütungsmitteln vor allem ein Problem der Arbeiterinnen war: "Noch nie hat eine reiche Frau wegen Paragraf 218 vorm Kadi gestanden", stellte 1921 der sozialdemokratische Justizminister Gustav Radbruch fest. Die Opfer unter den Arbeiterinnen, die jährlich an den Folgen illegaler Abtreibungen starben, gingen in die Tausende. Eine parlamentarische Mehrheit konnten beide Vorschläge dennoch nicht erreichen. 1926 änderte sich immerhin etwas: Eine Abtreibung galt nun nicht mehr als "Verbrechen" sondern als "Vergehen" und wurde fortan statt mit Zuchthaus "nur" noch mit einer Gefängnisstrafe belegt. 1927 wurde die medizinische Indikation legalisiert.
Nach 1945 trat in der Bundesrepublik dieser alte Paragraf 218 des Weimarer Strafgesetzbuches wieder in Kraft - bis 1974. Im April dieses Jahres beschloss der Bundestag den von der sozialliberalen Koalition eingebrachten Gesetzentwurf, wonach die Frau in den ersten drei Monaten selbst über einen Abbruch entscheiden kann. Doch so einfach sollte es mit dieser für Frauen revolutionären Neuerung dann doch nicht sein. Baden-Württemberg verhinderte über eine einstweilige Verfügung beim Bundesverfassungsgericht zunächst das Inkrafttreten des Gesetzes. Im Februar 1975 erklärte das Gericht die Fristenlösung für verfassungswidrig, weil sie der Verpflichtung aus Artikel 2 des Grundgesetzes, das werdende Leben auch gegenüber der Mutter wirksam zu schützen, "nicht in dem gebotenen Umfang gerecht geworden ist".
Der neue Entwurf, der schließlich am 12. Februar 1976 vom Bundestag verabschiedet wurde, enthielt dann wieder das grundsätzliche Verbot des Schangerschaftsabbruchs und die Strafandrohung. Von einer Bestrafung der Schwangeren sollte aber abgesehen werden, wenn sie in "besonderer Bedrängnis" handelte, die über vier so genannte Indikationen definierte wurde: Die medizinische, eugenische, kriminologische und soziale Indikation. Einen letzten Höhepunkt erlebte die Debatte nach der Wiedervereinigung. In der DDR galt nämlich seit 1972 die Fristenlösung, und nun mussten beide Modelle in ein gesamtdeutsches gegossen werden. Das Ergebnis: Ein Schwangerschaftsabbruch ist rechtswidrig, bleibt aber straffrei, wenn er innerhalb der ersten drei Monate und nach einer Konfliktberatung durchgeführt wird.