Das Parlament: Konservative und Sozialisten feiern den Kompromiss zur Dienstleistungsrichtlinie als großen Durchbruch. Eigentlich sagt man doch, nur ein kurzes Gesetz ist ein gutes Gesetz. Daran gemessen hat das Europaparlament ein ziemlich schlechtes Gesetz beschlossen ...
Kurt Lechner: Schauen Sie sich das Bundesgesetzblatt an. Da werden die Gesetzestexte auch immer länger. Bei den komplexen Verhältnissen in Europa, wo vielen Dingen Rechnung getragen werden muss, ist es genauso. Die Rechtssicherheit ist im Vergleich zu vorher aber schon entscheidend verbessert. Künftig entscheidet der Europäische Gerichtshof einmal darüber, wie die Richtlinie für ein bestimmtes Problem auszulegen ist. Es muss nicht mehr jeder Einzelfall extra durchgefochten werden.
Das Parlament: Das Dilemma von Kommission und Parlament bei diesem Gesetz war ja, dass es symbolisch so aufgeladen war, weit über seinen eigentlichen Inhalt hinaus. Sie wollten demonstrieren, dass Sie als Europaparlament handlungsfähig sind. Gleichzeitig sollten alle politischen Empfindlichkeiten berücksichtigt werden. Können Sie Ihren Wählern überhaupt noch vermitteln, was Sie da beschlossen haben?
Andreas Schwab: Kompromisse verlangen eben Zugeständnisse. Das liegt in der Natur der Sache. Eine breite Mehrheit auf EU-Ebene hat aber den Vorteil, dass der Text auch in der Kommission und im Rat rasch verabschiedet werden kann.
Das Parlament: Können Sie ein Beispiel nennen, wo es einem Mitbewerber künftig leichter gemacht wird, seine Dienstleistung im Ausland anzubieten?
Andreas Schwab: Der Verbraucherschutz darf in Zukunft nicht mehr als Vorwand für bürokratische Schikanen benutzt werden. So können die slowenischen Behörden zum Beispiel auf Messeveranstaltungen nicht mehr vorschreiben, dass an ausländischen Ständen sämtliche Prospekte auf slowenisch ausliegen müssen.
Das Parlament: Gibt es auch Beispiele, wo solche Abschottungstechniken weiter zulässig sind?
Kurt Lechner: Gegen die zehnjährige Garantiefrist zum Beispiel für Fertighäuser wird man nichts machen können. An diesem Punkt sehen Sie, wie sehr solche Regelungen von den Umständen und Traditionen im jeweiligen Land abhängen. In Frankreich wird auf diesem Weg eben eine Qualitätskontrolle erreicht, die wir durch unser Meisterbriefsystem herstellen. An diesem Beispiel sieht man gut, dass es nicht möglich ist, mit der Dampfwalze darüber zu fahren und überall in Europa die gleichen Vorschriften zu machen.
Andreas Schwab: Es wird leider weiter möglich sein, dass Firmen ihre Mitarbeiter eine Woche vor Beginn des Auslandseinsatzes anmelden müssen. Das ist natürlich für deutsche Unternehmen ein gewaltiger Nachteil auf dem französischen oder belgischen Markt. Deshalb verlangen wir Konservativen von der EU-Kommission, dass sie bei der anstehenden Überarbeitung der Entsenderichtlinie diesen Punkt aufgreift und aus der Welt schafft.
Das Parlament: Was kommt denn auf uns zu, wenn das Entsendegesetz überarbeitet wird?
Andreas Schwab: Für uns Deutsche wird es keine Änderungen geben. Die Kommission muss dafür sorgen, dass die Behörden der Mitgliedstaaten künftig enger zusammenarbeiten. Damit kann Scheinselbstständigkeit besser bekämpft werden. In Frankreich hat sich zum Beispiel gezeigt, dass deren Entsendegesetz nicht gut funktioniert. Da reicht es aus unserer Sicht nicht, dass die Kommission einen Mahnbrief schreibt. Deshalb muss die Richtlinie schärfer formuliert werden, um nationale Gesetze zu erzwingen, die dem Geist der Europäischen Verträge entsprechen.
Das Parlament: Halten Sie Kommissar McCreevy für durchsetzungsfähig genug, um dem Rat eine schärfere Entsenderichtlinie abzutrotzen?
Kurt Lechner: Die Kommission war doch völlig ori-entierungslos. 732 Abgeordnete mit den unterschiedlichsten sozialrechtlichen und kulturellen Hintergründen, den verschiedensten wirtschafts- und sozialpolitischen Vorstellungen konnten sich beinah mit Zwei-Drittel-Mehrheit auf etwas einigen, was insgesamt gesehen ziemlich vernünftig ist. Das zeigt doch, dass das Parlament viel handlungsfähiger ist als die Kommission und der Ministerrat.
Das Parlament: Hat denn Berlin mitregiert bei dieser großen Koalition aus Konservativen und Sozialisten hier im Europaparlament?
Kurt Lechner: Das müssen Sie Frau Gebhardt fragen. Sie hat sich fast zwei Jahre lang jedem Kompromiss verweigert. Wenn sich das durch Berliner Einflüsse auf den allerletzten Drücker geändert hat, finde ich das nur positiv. Wenn Sie sich die ursprünglichen Papiere von meiner sozialistischen Kollegin Gebhardt anschauen, ist davon kaum etwas übriggeblieben. In den entscheidenden Punkten hat sich die konservative Fraktion durchgesetzt.