Es war das erste Mal, dass Europa klare Worte im Karikaturenstreit fand. Rat und Kommission erklärten sich solidarisch mit der Regierung in Kopenhagen und dem dänischen Volk. Im Straßburger Halbrund brandete am 15. Februar Beifall auf, als eine Delegation des dänischen Parlamentes die Besuchertribüne betrat. Hans-Gert Pöttering, der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion, traf die Stimmung mit der Feststellung: "Wir sind mit Dänemark solidarisch! Wer ein Land der EU angreift, greift uns alle an." Nach dem ersten Schreck über die gewalttätigen Ausschreitungen gegen dänische Botschaften und Einrichtungen der EU besann sich das Europäische Parlament auf die Grundwerte der Union zurück.
"Die Pressefreiheit ist nicht verhandelbar", stellte Kommissionspräsident José Manuel Barroso zu Beginn der Debatte fest. Wie jede Freiheit, liege ihr Gebrauch in der Verantwortung des Einzelnen. Selbstverständlich habe auch die Pressefreiheit Grenzen, fuhr Barroso fort. Diese werden nicht von allen Abgeordneten in Straßburg an der gleichen Stelle gezogen. Für Hans-Gert Pöttering gehören die Meinungsfreiheit und die "Sensibilität für bestimmte Grenzen wie der Respekt vor den religiösen Gefühlen anderer" zusammen. Die holländische Liberale Jeanine Hennis-Plasschaert warnt dagegen vor der "Selbstzensur" in Europa. Für Daniel Cohn-Bendit von den Grünen ist auch die Blasphemie ein Teil der Pressefreiheit. "Die Blasphemie gehört zur Religionsfreiheit genauso wie zur Demokratie." Selbstverständlich habe jeder Moslem das Recht, dagegen zu demonstrieren.
Viele Europaabgeordnete sehen die Notwendigkeit, das Spannungsverhältnis zwischen Pressefreiheit und dem Respekt vor religiösen Gefühlen neu zu bewerten. Die Welt sei klein geworden, sagte der französische Kommunist Francis Wurtz. "Wir müssen uns der Tatsache bewusst werden, dass alles, was wir tun, unter ständiger Beobachtung der ganzen Menscheit geschieht." Andere sahen vor allem die Notwendigkeit, mehr Toleranz auf allen Seiten zu üben. Einigkeit bestand aber darüber, dass die Grenzen zwischen der Presse- und der Religionsfreiheit für die Bürger der EU nicht in Teheran auf der Straße gezogen werden, sondern von den Gerichten in Europa. "Blasphemie", sagte der dänische Abgeordnete Jens-Peter Bonde, "steht in Dänemark unter Strafe, und jeder dänische Moslem kann dagegen eine Klage einreichen." Es sei aber vollkommen inakzeptabel, dass man das Ausland gegen den dänischen Staat und seine Bürger mobilisiere.
Bei anderen Abgeordneten standen pragmatische Überlegungen im Vordergrund. Bei den Sozialisten sind sie vorwiegend politischer Natur. Die Furcht, dass die Überreaktion der Fundamentalisten den rechtsradikalen Kräften in die Hände spielt, war beim Parteichef der europäischen Sozialisten, Paul N. Rasmussen, unüberhörbar. Der Däne zeigte sich sichtlich schockiert darüber, dass dänische Fahnen und Botschaften in Brand gesteckt wurden, "gerade in Palästina, wo wir jahrelang für Fairness und Gerechtigkeit eingetreten sind". Er warnte davor, die Meinungsfreiheit durch einen verantwortungslosen Gebrauch aufs Spiel zu setzen. Anders sieht der Pragmatismus der Konservativen aus. Hans-Gert Pöttering ließ es sich nicht nehmen, einen dicken Stapel Papier durch den Plenarsaal zu schwenken. Dort sei nachzulesen, wie die christlichen Werte in islamischen Medien karikiert und verunglimpft würden. "Toleranz ist keine Einbahnstraße, sie muss in beide Richtungen gelten."
Pöttering machte außerdem noch einen praktischen Vorschlag, um den "Dialog der Kulturen", der von allen Rednern in Straßburg beschworen wurde, in die politische Praxis umzusetzen. Beide Seiten sollten eine gemeinsame Schulbuchkommission bilden, in die Experten aus westeuropäischen und islamischen Ländern entsandt werden. Sie sollen dazu beitragen, dass Propaganda, Klischees und Vorurteile wenigstens aus den Schulen verschwinden.