In der Praxis leisten die wenigen, domierenden Unternehmen hinhaltenden und erfolgreichen Widerstand gegen den Wettbewerb. "Niemand würde auf die Idee kommen, dass wir einen einheitlichen europäischen Energiemarkt haben, in dem Wettbewerb herrscht", räumt EU-Kommissarin Neeli Kroes ein. Nachdem neue Richtlinien und zahlreiche Vertragsverletzungsverfahren gegen umsetzungsfaule Regierungen nicht geholfen haben, droht die Wettbewerbskommissarin den Strom- und Gaskonzernen jetzt mit Bußgeldern, Auflagen und Zwangsmaßnahmen.
In der vergangenen Woche legte sie eine ausführliche Untersuchung über die Branche vor. Aus wettbewerbspolitischer Sicht ist das ein niederschmetterndes Dokument. Fünf Hauptprobleme haben die Beamten der Kommission sowohl in der Strom- wie in der Gaswirtschaft ausgemacht: Es gibt erstens wenig Unternehmen, die zweitens die gesamte Lieferkette kontrollieren und drittens Newcomern das Leben schwer machen. Viertens gibt es nur wenig Informationen über Anlagen und Verträge, was für potenzielle Wettbewerber wichtig ist und fünftens weiß niemand, wie die Konzerne ihre Preise kalkulieren.
In der Gaswirtschaft bleiben die Ex-Monopolgesellschaften der dominierende Faktor auf den nationalen Märkten. Sie fördern oder importieren das Gas, betreiben die Speicher und Leitungen und verkaufen über langfristige Verträge an die örtlichen Versorgungsfirmen oder direkt an die Verbraucher. Ein ineffizientes Management der Leitungen sorgt dafür, dass freie Kapazitäten für potenzielle Wettbewerber nicht zur Verfügung stehen.
Und wenn, dann bleibt das Geschäftsgeheimnis, um den eigenen Konzernunternehmen den Vorrang zu sichern. Abgesehen davon, dass es auf dem freien Markt kaum Gas zu kaufen gibt. Das Gewinnstreben der Altmonopolisten ist scheinbar nur schwach ausgeprägt. Kaum einer kommt auf die Idee, dem Kollegen im Nachbarland die Kunden abzujagen. In Brüssel vermutet man: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.
Kaum anders sieht es in der Stromwirtschaft aus. In Deutschland zum Beispiel werden 80 Prozent des Stroms von vier großen Konzernen erzeugt. Lieferungen aus dem Ausland werden dadurch verhindert, dass nur wenig Leitungen die Stromnetze mitteinander verbinden. Investitionen in leistungsfähige Verbindungsstellen würden "durch historische Kapazitätsbeschränkungen und ein ineffizientes Management" behindert, sagt die Wettbewerbskommissarin. 80 Prozent der gewerblichen Stromkunden und -händler seien unzufrieden mit den Informationen, die sie von den Stromkonzernen über die Auslastung ihrer Kraftwerke und Leitungen erhielten. Dass die Strom- und Gaspreise in den letzten beiden Jahren kräftig gestiegen sind, hat nach Ansicht von Neeli Kroes verschiedene Ursachen. "Eine davon könnten wettbewerbswidrige Verhaltensweisen sein."
Den schmutzigen Tricks der Strom- und Gasmanager will die Kommissarin einen Riegel vorschieben. Dort, wo marktbeherrschende Unternehmen - und das sind in der Energiewirtschaft die meisten - die Regeln verletzt haben, will sie Bußgelder für beweisbare Verstöße in der Vergangenheit verhängen und Zwangsmaßnahmen für die Zukunft ergreifen.
Namen von Unternehmen werden in Brüssel noch nicht genannt. Aber schon mal die Instrumente gezeigt. Sie reichen von der Auflösung langfristiger Lieferverträge (nach dem ausdrücklich begrüßten Vorbild des Bundeskartellamtes) über Eingriffe in das Management von Leitungen, Pipeleines oder Gaslagern bis zur Anordnung, dass ein Teil der geförderten oder eingeführten Gasmengen auf dem freien Markt verkauft werden muss.
Darüberhinaus wird überlegt, neue Richtlinien oder Verordnungen vorzuschlagen, beispielsweise um die vollständige Trennung der Leitungsnetze aus den Energiekonzernen zu erzwingen. Damit mehr grenzüberschreitende Strom- und Gasleistungen gebaut werden, soll die "Regulierungslücke" in diesem Bereich, für den bislang keiner zuständig ist, geschlossen werden.