Werbeverbote, Warnhinweise und ein gesetzliches Mindestalter für den Kauf von Alkohol sollte es angeblich geben. Wochenlang geisterten Hiobsbotschaften durchs Land, denen zufolge regelungswütige Brüsseler Beamte den EU-Bürgern ihr Feierabendbier und das Glas Rotwein auf dem Sofa vermiesen wollten. Jetzt hat die EU-Kommission ein Strategiepapier vorgelegt, das den 25 Mitgliedstaaten lediglich vorschlägt, wie sie den Alkoholmissbrauch bekämpfen können - von Vorschlägen für EU-weite Gesetze allerdings keine Spur.
Europas Alkoholproduzenten waren Sturm gelaufen, sahen Arbeitsplätze in Brauereien, Weinkellern und Gastwirtschaften in Gefahr. Der deutsche Branchenverband witterte gar eine Bevormundung der Verbraucher, die doch selbst über ihren Konsum entscheiden müssten. Trotz mehrfacher Dementis der Kommission kritisierten auch deutsche Politiker die angeblichen Gesetzesvorhaben. Ob es diese nie gegeben hat oder ob sich die Kommission dem Druck der Alkoholindustrie gebeugt hat, lässt sich kaum klären. EU-Gesundheitskommissar Markos Kyprianou sagte bei der Vorstellung seiner Mitteilung an die Mitgliedstaaten am 24. Oktober, dass sie nicht verwässert, sondern genau so beschlossen worden seien wie ursprünglich geplant. Ziel der Strategie ist es, die Zusammenarbeit der EU-Partner beim Kampf gegen übermäßigen Alkoholkonsum zu fördern. Konkrete Gesetzesinitiativen wird es danach nicht geben. Die Kommission werde den Regierungen mit Rat und Geld zur Seite stehen, um gemeinsame Konzepte zur besseren Aufklärung über die Risiken übermäßigen Trinkens zu erarbeiten und bewährte Vorgehensweisen auszutauschen. Über die Ergebnisse dieser Kampagnen soll es einen jährlichen Bericht geben. Ob die von einigen Mitgliedstaaten geplanten Warnhinweise auf Flaschen den Alkoholkonsum drosseln können, will Brüssel jedoch abwarten.
Jährlich 200.000 Alkoholtote zählt die EU, davon mehr als 55.000 junge Menschen. Fünf Prozent der Deutschen hängen an der Flasche, EU-weit sind es der Statistik zufolge insgesamt 23 Millionen Bürger. Jeder vierte Verkehrstote in der EU stirbt bei einem durch zu viel Alkohol verursachten Unfall - jährlich kommen auf diese Weise 10.000 Menschen ums Leben. Bei jungen Fahrern ist Alkohol im Blut sogar an mehr als einem Drittel der tödlichen Unfälle schuld. Eine Priorität der allgemein enthaltenen Empfehlungen ist daher der Schutz von Kindern und Jugendlichen: In der Gruppe der 15- bis 29-Jährigen hängen zehn Prozent aller Todesfälle bei Frauen und 25 Prozent bei Männern mit Alkohol zusammen.
Von den Empfehlungen einer im Auftrag der Kommission erstellten Studie zum Alkoholmissbrauch enthält das Papier der Brüsseler Behörde nur wenige Ansätze. Von einem totalen Verbot für Kino- und Fernsehwerbung, verbindlichen Warnhinweisen auf Etiketten sowie einem EU-weiten Alkohollimit von 0,2 Promille im Blut junger Autofahrer und aller Lastkraftwagenlenker ist in der Mitteilung keine Rede. Allerdings erwähnt die Kommission, dass EU-Richtlinien für Produktwerbung überprüft werden sollten. Zunächst aber setzt Brüssel auf die freiwillige Selbstzensur der Alkoholindustrie. Dafür plant sie auch, ein "Forum für Alkohol und Gesundheit" zu initiieren, in dem Wirtschaftsvertreter, Gesundheitsexperten und Verbraucher über wirksame Methoden im Kampf gegen den Alkoholmissbrauch beraten sollen. Die Reaktionen aus dem Europa-Parlament waren gemischt. Das Strategiepapier sei flach und nichtssagend, jammere viel, aber bleibe konkrete Vorschläge schuldig, kritisierte die SPD-Abgeordnete und verbraucherpolitische Sprecherin der Sozialistischen Fraktion Dagmar Roth-Berendt. Der Vorsitzende der Unions-Gruppe Hartmut Nassauer sagte, die Mitteilung der Kommission spreche dem Leitbild des mündigen Bürgers "Hohn". Sein Fraktionskollege Karlheinz Florenz dagegen lobte das Vorgehen der Kommission als richtig, da es auf Prävention setze und die Industrie stärker in die Verantwortung nehme.