Kernstück des zwischen Union und SPD mühsam ausgehandelten 582-Seiten-Kompromisses ist der Gesundheitsfonds. Dieser soll erst am 1. Januar des Wahljahres 2009 starten, obwohl die Reform bereits am 1. April 2007 in Kraft treten soll. Gespeist wird der Fonds aus den Krankenkassen-Beiträgen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern sowie aus Steuermitteln. Entgegen der ursprünglichen Absicht einigte sich die Koalition im Verlauf der Diskussion darauf, dass die Kassen auch weiterhin einzeln die Beiträge einziehen und in den Fonds abführen. Aus diesem Finanztopf erhalten sie dann für ihre Versicherten jeweils eine Grundpauschale sowie alters- und risikobezogene Zuschläge.
Die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) werden künftig von der Regierung für das gesamte Bundesgebiet einheitlich festgelegt. Bislang entscheiden die Kassen autark über ihre Beitragshöhe. Um unter anderem die beitragsfreie Kindermitversicherung in der GKV aufrechtzuerhalten, werden den Kassen von 2008 an zunächst 1,5 Milliarden Euro an Steuermitteln zur Verfügung gestellt, im Jahr 2009 sollen es laut Gesetzentwurf dann 3 Milliarden Euro sein. Von 2010 an soll dieser Bundeszuschuss weiter ansteigen. Die Finanzierung ist noch nicht geklärt.
Trotz des einheitlichen Beitragssatzes sollen die Kassen ihren Wettbewerb untereinander verstärken. Obwohl die Grundleistungen bei allen gleich bleiben, können Mitglieder Geld sparen, wenn sie beispielsweise einen Hausarzt-, Selbstbeteiligungs-, oder Kostenerstattungstarif wählen. Auch bekommen die Kassen künftig mehr Möglichkeiten, mit den Herstellern güns-tigere Preise für Arzneimittel auszuhandeln. Um Zusammenschlüsse zu erleichtern, dürfen auch verschiedene Kassenarten wie Orts- und Betriebskrankenkassen fusionieren. Überschüsse können die Kassen an ihre Versicherten in Form von Beitragsrückzahlungen weitergeben. Kommt eine Kasse nicht mit den ihr zugewiesenen Finanzmitteln aus dem Gesundheitsfonds zurecht, kann sie von ihren Versicherten eine Zusatzprämie erheben. Diese darf ein Prozent des Einkommens - bei sehr hohen Einkommen ein Prozent der Beitragsbemessungsgrenze von derzeit 3.562,50 Euro - nicht überschreiten. Bis zu einer Höhe von 8 Euro monatlich entfällt die Prüfung des individuellen Einkommens.
Streit gab es im Vorfeld um die Übernahme der Kosten für einkommensschwache Bürger. Der zwischen den Koalitionspartnern ausgehandelte Vorschlag sieht nun vor, dass für Sozialhilfeempfänger und Rentner mit einer staatlichen Grundsicherung die Sozialträger die Kosten übernehmen. Arbeitslosengeld-II-Empfänger sind von dieser Regelung ausgenommen. Sie können sich, ebenso wie alle anderen Versicherten auch, auf ein Sonderkündigungsrecht beziehen und zu einer anderen Kasse wechseln, die keinen Zusatzbeitrag erhebt.
Nach Ansicht von Experten und den Kassenverantwortlichen müssen sich die mehr als 70 Millionen Versicherten der GKV schon 2007 auf eine Erhöhung der Beiträge einstellen. In einer gemeinsamen Erklärung warnten die Kassenverbände Mitte Oktober, der Beitragssatz könne von jetzt durchschnittlich 14,3 Prozent auf bis zu 15,9 Prozent Ende 2009 steigen. Als Grund führen sie unter anderem die bis Ende 2008 geforderte komplette Entschuldung der Kassen an. Nach den Erwartungen der Regierung werden die Beitragssätze aufgrund sinkender Steuerzuschüsse und der Mehrwertsteuererhöhung bereits 2007 um durchschnittlich 0,5 Prozentpunkte auf 14,7 Prozent ansteigen.
Zusammen mit dem Gesundheitsfonds startet der neue Risikostrukturausgleich (RSA), der sich künftig an 50 bis 80 schwerwiegenden Krankheiten orientiert. So kommen etwa Diabetes oder Herzkreislauferkrankungen sehr viel häufiger bei Kassen vor, in denen vor allem ältere Menschen versichert sind. Diese Kassen erhalten höhere Summen aus dem Fonds als Kassen mit jüngeren Mitgliedern. Um die Kassen in Ländern mit vielen einkommensstarken Beitragszahlern wie Bayern, Baden-Württemberg oder Hamburg nicht über Gebühr zu belasten, wird außerdem eine so genannte Länder-Schutz-Klausel eingeführt. Während einer Übergangsphase werden die Mehrbelastungen der Kassen eines Landes auf 100 Millionen Euro jährlich begrenzt.
Ein wichtiger Eckpunkt der Reform ist das Rückkehrrecht jedes Bürgers in seine letzte private oder gesetzliche Versicherung. Um dies zu vereinfachen, sollen die privaten Krankenversicherungen einen Basistarif anbieten, der sich am GKV-Leistungskatalog orientiert und allen Neu- und Altkunden offen steht. Die Prämien dazu dürfen sich nur nach Alter und Geschlecht unterscheiden, Risikozuschläge im Rahmen einer Gesundheitsprüfung darf es nicht mehr geben. Im Gesetzentwurf fehlt allerdings eine konkrete Regelung für Personen mit extrem geringem Einkommen. Sozial Schwache müssen nur die Hälfte des Beitrags zahlen, für Personen, die auch diesen Satz nicht zahlen können, überweisen die Sozialträger maximal 125 Euro. Für die Kassen entsteht so jedoch eine Lücke. Die private Krankenversicherung (PKV) kritisiert deshalb, ihre Mitglieder würden mit dramatischen Beitragssteigerungen belastet, wenn sie künftig einen Basistarif mit gesetzlich vorgeschriebenen Höchstpreisen subventionieren sollten.
Verbesserungen für die gesetzlich Versicherten sind durch Ausweitungen von Regelleistungen auf Schutzimpfungen und Eltern-Kind-Kuren geplant. Dagegen sind Leistungskürzungen in Fällen selbst verschuldeter Behandlungsbedürftigkeit möglich. So sollen Versicherte verstärkt an Folgekosten für Schönheitsoperationen oder Piercings beteiligt werden. Bei chronisch kranken Patienten bleibt die Zuzahlung nur dann auf ein Prozent des Einkommens beschränkt, wenn sie sich therapiegerecht verhalten und Vorsorgeuntersuchungen mitmachen.
Auch für die Ärzteschaft bringt die Gesundheitsreform Neuerungen: Bei der Vergütung der niedergelassenen Ärzte wird 2009 das Punktesystem abgeschafft und durch eine neue Gebührenordnung mit festen Preisen in Euro ersetzt. Diese soll den Medizinern mehr Planungssicherheit ermöglichen, Details liegen jedoch nicht vor. Auch sollen Ärzte durch finanzielle Anreize dazu ermuntert werden, sich in medizinisch unterversorgten Gebieten niederzulassen. Bei der Verordnung von teuren Spezialarzneimitteln soll künftig die Zweitmeinung eines Mediziners eingeholt werden. Die Ärzteverbände sind jedoch ganz und gar nicht zufrieden mit der Reform.