Das Parlament: Was bedeutet Altersarmut konkret?
Verhülsdonk: Wir haben in der Armutsdiskussion ja einen interessanten Wandel erlebt. Nach dem alten Bundessozialhilfegesetz war das Existenzminimum so definiert, dass es Armut verhindern sollte. Inzwischen ist es so, dass das Existenzminimum, jetzt gesichert durch das Hartz-IV-Gesetz, als Armut verstanden wird. Das Problem ist, dass die Altersrenten auf unbekannte Zeit stagnieren. Gleichzeitig wachsen aber die finanziellen Belastungen - insbesondere im Gesundheitswesen mit seinen steigenden Selbstbeteiligungen. Es ist ja bekannt, dass ältere Menschen mehr Medikamente brauchen als jüngere. Und sie brauchen nicht nur rezeptpflichtige Medikamente, bei denen sie eh schon zuzahlen müssen, sondern auch nicht rezeptpflichtige Medikamente, etwa Vitamine oder Nahrungsergänzungsmittel. Das schlägt bei vielen gewaltig zu Buche. Dadurch wird Armut tatsächlich als solche empfunden, weil das zur Verfügung stehende Geld nicht ausreicht. Hinzu kommen beispielsweise die steigenden Energiekosten. Ältere Menschen halten sich überwiegend in ihren Wohungen auf und können nicht einfach die Heizung abstellen.
Das Parlament: Wie steht Deutschland in punkto Altersarmut im internationalen Vergleich da?
Verhülsdonk: Der Armutsbegriff ist natürlich relativ. Armut in einem Entwicklungsland bedeutet sicher etwas anderes als Armut in Deutschland, wenn das Existenzminimum gesichert ist. Ich denke, wir stehen mit unserer Rentengesetzgebung nicht schlecht da, aber wir sind in einer Phase der Entwicklung, in der Alterssicherung auf Grundlage der Rente immer weniger Lebensalterssicherung ist.
Das Parlament: Was können ältere Menschen heute für Ihre Alterssicherung tun?
Verhülsdonk: Meine größte Sorge gilt den über 50-Jährigen. Das sind diejenigen, die die größten Probleme haben: Die wegfallenden Rententeile müssen sie in recht kurzer Zeit durch eigene Anstrengungen auffangen. Aber nun sind viele von denen schon aus dem Arbeitsprozess "ausgespuckt" worden oder müssen dies befürchten. Sie müssen von Alterseinkünften leben, zunächst von Arbeitslosengeld und dann von anderen sozialen Einkommen. Diese Leute können bei so kurzen Laufzeiten bis zur Rentengrenze eben keine privaten Sicherungen in ausreichendem Maße abschließen, um den Schwund an Alterssicherung durch eigene Leistung aufzufangen. Ganz anders ist es bei den Jungen. Die können ja eigentlich mit relativ erträglichen Beiträgen bei langen Laufzeiten bis zum Rentenalter durchaus dafür sorgen, dass sie mit der privaten Zusatzversicherung ihr Rentenschicksal positiv beeinflussen. Das Problem ist, wie kriegt man die dazu?
Das Parlament: Was muss von Seiten der Politik getan werden, um Altersarmut zu verhindern?
Verhülsdonk: Da sie offensichtlich und sicher auch aus guten Gründen keine Pflicht zur Zusatzversicherung ins Gesetz schreiben will - es wären ja enorme Subventionsbeträge notwenig, damit jeder dieser Pflicht nachkommen kann -, muss sie unter allen Umsänden eine intensive Aufklärungskampagne führen. Die muss meiner Ansicht nach nicht nur von der Politik ausgehen, sondern auch durch Ansprache des Einzelnen durch seine Rentenversicherung erfolgen. Bei den heutigen Rentnern ist darauf zu achten, dass durch Gesetzgebung etwa im Gesundheitsbereich oder im Steuerrecht noch zusätzliche Belastungen zu den stagnierenden Alterseinkommen aufgehäuft werden.
Das Parlament: Sehen Sie Beispiele in anderen Ländern, an denen sich Deutschland orientieren könnte?
Verhülsdonk: Die europäischen Länder haben wegen der geringen Geburtenraten alle das gleiche Problem - egal ob sie nun die Rente über Steuer oder Beiträge finanzieren. Es ist immer sehr schwer, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Ich sehe kein Land, in dem der Generationenvertrag so ausgeprägt Grundlage der Alterssicherung war, wie dies in Deutschland immer noch der Fall ist. Dies sollte auch aufrecht erhalten werden - es wird eben nur auf einer sehr viel schmaleren Basis geschehen.
Das Parlament: Was kann jenseits der finanziellen Absicherung getan werden, um Altersarmut vorzubeugen?
Verhülsdonk: Ich denke, das Wichtigste ist, dass man im Hinblick auf künftige Altersschicksale intensiv darum wirbt, dass in den Betrieben die Weiterbildung der älteren Arbeitnehmer - da muss man schon bei den 40-Jährigen anfangen - kontinuierlich erfolgt, notfalls auch mit staatlicher Unterstützung. Nur so können die Menschen Schritt halten mit den Veränderungen in der Arbeitswelt, der zunehmenden Digitalisierung und Technisierung, damit sie nicht in dem Maße aus dem Arbeitsleben entlassen werden, wie das heute der Fall ist.
Das Interview führte Sandra Ketterer