Kinder mögen Comics. Zwar soll es auch Erwachsene geben, die gern in den bunten Heftchen blättern. Inhaltlich oder künstlerisch ernst genommen werden sie aber kaum. Dabei können Comic-Geschichten mehr als nur unterhalten. Bilden, zum Beispiel.
Lange hat sich Rainer Spanagel, Professor für Psychopharmakologie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, den Kopf zerbrochen, wie er denn seine neuesten wissenschaftlichen Ergebnisse so vermitteln könnte, dass jeder sie versteht. Der Forscher beschäftigte sich in einer Versuchsreihe mit der Drogenwirkung und Belohnungsprozessen beim Tier. Nicht gerade jedermanns Sache. Trotzdem trieb ihn der Ehrgeiz, dass seine Forschungsarbeit auch für Laien nachvollziehbar sein sollte. Und so kam der Wissenschaftler, der schon als Kind haufenweise Lucky-Luke-Heftchen verschlang, auf die Idee mit den wissenschaftlichen Comics.
"Ich bin schon immer darum bemüht gewesen", sagt er, "wissenschaftliche Vorgänge so einfach wie möglich darzustellen." Früher habe er dazu Fotografien benutzt. Doch heute weiß er, dass Comics dafür viel besser geeignet sind. "Comics stellen eine zeitliche Abfolge dar", erklärt Spanagel. Durch die sequenziell angeordnete Folge von Bildern können Comics Geschichten erzählen, ähnlich wie ein Film. Dadurch kann Spanagel den zeitlichen Ablauf seiner komplexen Versuche ganz einfach verdeutlichen.
Die bunten Streifen haben aber noch weitere Vorteile: Weil das Lesen Spaß macht, erleichtern sie den Einstieg in die oft dröge wissenschaftliche Materie. Ein erwünschter Nebeneffekt ist außerdem, dass sich der Rezipient die Inhalte besser merken kann. Denn Comics vermitteln Emotionen, und das erhöht die Lernfähigkeit. Staubtrockene Fachlektüre ade.
So verwundert es nicht, dass Spanagel und sein Kollege Carles Sanchis-Segura fast ausschließlich positive Rückmeldungen erhielten, nachdem sie ein Novum wagten: In der Fachzeitschrift Addiction Biology einen Comic neben ihrem Artikel zu veröffentlichen.
Der amerikanische Physikprofessor James Kakalios bediente sich auf andere Weise der Comic-Heftchen: Weil die Studenten seiner Einführungsvorlesungen oft wenig Begeisterung für die abstrakten Versuche und Formeln zeigten, machte er sich kurzerhand Superman zum Komplizen. "Wie kann es sein", fragte er, "dass Superman mit einem Satz über ein Hochhaus springt?" Der Comic-Held half den Physikstudenten auf die Sprünge, plötzlich machte der Unterricht Spaß. Die Idee, die Welt der Comic-Helden physikalisch zu durchleuchten, kam so gut an, dass Kakalios sogar ein Sachbuch schrieb. Es heißt "Physik der Superhelden".
Dass Comics nicht häufiger als Mittler der Wissenschaft dienen, hängt wohl damit zusammen, dass ihnen das hartnäckige Vorurteil anhaftet, sie seien nur für Kinder gemacht.
In Frankreich oder in Japan, mit seiner langen Manga-Tradition, genießen Comics ein höheres Ansehen, sagt Karin Erhardt, Marketing-Assistentin beim Carlsen-Verlag. "In Deutschland steckt die Entwicklung noch in den Kinderschuhen." Für Erhardt sind Comics eine eigene Kunstform, die sich wie jede Kunst "nicht nur gefällig, sondern auch kritisch und ernsthaft mit Themen auseinander setzt". Im Carlsen-Verlag sind in den vergangenen Jahren mehrere Comics erschienen, die sich mit Themen der Zeitgeschichte beschäftigen, wie "Durchbruch zum Fall der Berliner Mauer oder "Fax aus Sarajevo", eine persönliche Chronik des Balkan-Kriegs. Mag sein, dass den Comics bald ganz unverhofft ein Boom ins Haus steht, ähnlich wie vor einigen Jahren den Hörbüchern.