Gleichstellung
In den Chefetagen gibt es wenige Frauen. Das soll sich ändern.
Seit dem 22. November 2005 hat Deutschland eine Chefin. Doch wer hinter dieser Tatsache den endgültigen Einzug der Gleichberechtigung in die Gesellschaft vermutet, sieht sich getäuscht: Allein der Blick in Angela Merkels Kabinett macht klar, dass die deutschen Chefetagen auch 50 Jahre nach dem Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgesetzes noch immer überwiegend in Männerhand sind. Von den 16 Mitgliedern des Kabinetts (inklusive Kanzlerin) sind nur sechs weiblich - und mit 37,5 Prozent liegt diese Frauenquote immer noch deutlich über der anderer deutscher Chefbüros.
Schwarz auf Weiß ist das auch im ersten Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum Bundesgleichstellungsgesetz ( 16/3776 ) nachzulesen. Das Gesetz, das seit 5. Dezember 2001 in Kraft ist, dient "der Gleichstellung von Frauen und Männern und dem Abbau bestehender Diskriminierungen wegen des Geschlechts". Im Bericht werden seine Auswirkungen von 2001 bis 2004 evaluiert.
Sowohl der Erfahrungsbericht der Bundesregierung als auch ihre Unterrichtung über den Anteil von Frauen in Bundesgremien, die beide am 9. Mai im Familienausschuss beraten wurden, sprechen eine deutliche Sprache: Obwohl der Frauenanteil im öffentlichen Dienst des Bundes mittlerweile bei 47 Prozent liegt, gelte nach wie vor: "Je höher die Hierarchieebene ist, desto geringer ist der Frauenanteil."
Nur 22,5 Prozent beträgt der Frauenanteil in leitenden Funktionen, auf den höchsten Leitungsebenen sind Frauen "kaum, teilweise oder -gar nicht" vertreten. 91 Prozent der Teilzeitbeschäftigten sind Frauen - dies mache deutlich, "dass sich an der ,Zuständigkeit' von Frauen für die Familienarbeit nur wenig geändert hat". Einhelliger Tenor des - als einziger im Bundestag - mit mehr Fauen als Männern besetzten Familienauschusses: Damit könne man nicht zufrieden sein. Deshalb standen auch zwei Anträge auf der Tagesordnung, mit denen die Situation von Frauen weiter verbessert werden soll.
Sowohl die Koalition ( 16/4558 ) als auch die Liberalen ( 16/4737 ) wollen die Chancen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Allerdings auf unterschiedlichen Wegen: Während Union und SPD weiterhin auf gesetzliche Regelungen setzen, weil das Gleichstellungsgesetz bereits positive Auswirkungen gebracht habe, tragen Gesetze aus Sicht der Liberalen nicht zur Verbesserung der Situation bei. Der Schlüssel zur Steigerung der Beschäftigungsquote und der Minimierung der Einkommensunterschiede liege vielmehr "in der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf".
In der Debatte um die Berichte und Anträge bemängelte Eva Möllring (CDU) insbesondere, dass es beim Lohn zwischen Frauen und Männern "eklatante Unterschiede" gäbe und sich diese Schere sogar noch weiter öffne. Auch der Frauenanteil in den Gremien des Bundes sei mit 21,5 Prozent "erschütternd gering". Noch dramatischer sei die Situation allerdings in der freien Wirtschaft: "In den Vorständen der 100 größten deutschen Unternehmen finden Sie 685 Männer - und nur vier Frauen." Für Diana Golze (Die Linke) ist das "ein grottenschlechtes Ergebnis". Sie bemängelte, dass die Koalition in ihrem Antrag die Situation beschönige und "zu wenig politischen Gestaltungswillen" zeige.
Für die Sozialdemokraten stellte Renate Gradistanac fest, der Fortschritt sei "bei der Gleichberechtigung eine Schnecke". Dennoch sei das Gleichstellungsgesetz ein Schritt in die richtige Richtung: "Was wäre denn passiert, wenn wir kein Gesetz gehabt hätten?" Es bewege sich nichts von selbst, man müsse "da, wo es möglich ist, Regelungen treffen", die verbindlich seien, so Gradistanac. Dort, wo es noch erkennbare Defizite gebe, müsse "nachjustiert" werden. Auch die Grünen stellten fest, es gebe dazu "keine Alternative".
Aus der Sicht von Ina Lenke (FDP) ist das der falsche Weg. Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes hätten sich nur "marginale Dinge" verbessert, einiges habe sich sogar verschlechtert: "Die Anzahl der Frauen, die in Teilzeit arbeiten, hat sich in den vergangenen Jahren erhöht - und nicht, wie geplant, der der Männer. Damit hat das Gesetz das, was gut gemeint war, konterkariert und sich als Bumerang erwiesen." Mit ihrer Kritik konnten sich die Liberalen nicht durchsetzen: Während der Antrag der Koalition mit den Stimmen von Union und SPD angenommen wurde, wurde der der Liberalen mit den Gegenstimmen aller anderen Fraktionen abgelehnt. Auf Antrag von Eva Möllring beschloss der Ausschuss zudem, demnächst eine Expertenanhörung zum Thema durchzuführen.
Hoffnung, dass Frauen künftig stärker für ihre Interessen eintreten, macht eine Allensbach-Umfrage im Auftrag des Forums "Familie stark machen": Danach sind die Frauen in den vergangenen Jahren viel selbstbewusster geworden. Hatten 1988 nur 44 Prozent der Frauen erklärt, gern Verantwortung zu übernehmen, sind es heute 56 Prozent. In puncto Führungsbereitschaft erhöhte sich die Zahl leichter von 21 auf 29 Prozent.
Trotz dieser positiven Entwicklung glaubt Regina Seidel, Präsidentin des Verbandes deutscher Unternehmerinnen, dass Gesetze zur Gleichstellung sinnvoll sind: "Rahmenbedingungen sind nötig, sonst bewegen wir uns im luftleeren Raum. Und wir brauchen Ausdauer und Durchsetzungsvermögen. Wir Frauen müssen immer wieder an den Toren der Männerwelt rütteln."
Doch die Unternehmerin glaubt auch: "Wir brauchen im Grunde neue Männer. Sonst haben wir die Gleichstellung immer nur auf dem Papier."