In den vergangenen Tagen hieß es oft, die Diskussion um das Gnadengesuch von Christian Klar habe das Amt des Bundespräsidenten beschädigt. Hat sie das?
Ich glaube nicht. Die Einlassungen von Herrn Söder haben nur erneut zur Kenntnis gebracht, was jeder wissen kann: Der Bundespräsident braucht für seine Wiederwahl eine Mehrheit. Es ist kein Naturgesetz, dass er schon deshalb wiedergewählt wird, weil er das möchte.
Ist es legitim, die Wiederwahlfrage mit einem so aktuellen politischen Thema zu verknüpfen?
Um das Amt des Bundespräsidenten herum wird - freilich aus guten Gründen - eine Sphäre frei von Parteipolitik simuliert. Doch der Bundespräsident ist kein Monarch, der sich außerhalb des demokratischen Willensbildungsprozesses bewegt; er ist vielmehr in diesen Gesamtprozess eingebunden. Nur wird darüber ein ‚Schleier der Nichtzurkenntnisnahme' solange gelegt, wie der Präsident den ohnehin ablaufenden Willensbildungsprozessen nicht in die Quere kommt. Eben das aber befürchtete Söder. Darum hat er den Schleier weggezogen und so ein Tabu gebrochen.
Ein Tabubruch, der ihn das Amt kosten könnte?
Es gibt da viel nur gespielte Aufregung! Ernsthaft kann man Söder doch nur aus zwei Gründen angreifen: entweder weil er vielleicht nicht begreift, dass er jenen Schleier ganz entgegen sinnvollen Spielregeln weggezogen hat - oder weil er offenen parteipolitischen Druck auf eine bewusst überparteipolitisch ausgestaltete Institution auszuüben versuchte. Wichtiger ist, was im Hintergrund läuft: Söder ist durch den Stoiber-Rücktritt zu einer Figur im innerpartlichen Machtkampf der CSU geworden, und obendrein kann man durch Angriffe auf ihn offene inhaltliche Rechnungen mit der CSU begleichen. Ob Söder nun stürzt, wird ganz von seinen persönlichen Nehmerqualitäten abhängen sowie davon, ob die CSU-Granden die Nerven behalten.
Was halten Sie von dem Vorschlag, dem Bundespräsidenten das Gnadenrecht zu entziehen?
Das Gnadenrecht passt nicht zu einem systematisch ausgestalteten Rechtsstaat, sondern es ist ein Überbleibsel aus Zeiten, als monarchische Staatsoberhäupter auch die höchsten Richter waren. Andererseits erlaubt es, um des Rechtsfriedens willen, manche Urteile mehr oder weniger stillschweigend zu bereinigen.
Soll man es abschaffen?
Ohne das Gnadenrecht würde dem deutschen Rechtssys-tem nichts Unersetzliches fehlen. Andererseits richtet es doch auch keinen Schaden an. Deshalb spricht nichts dagegen, es - obwohl eigentlich systemwidrig - beizubehalten. Ohnehin ist nicht zu erwarten, dass ehemalige Terroristen pausenlos Gnadengesuche stellen und dergestalt politisch abträgliche Diskussionen um den jeweiligen Gnadenherrn auslösen.
Das Gespräch führte Susanne Kailitz