Arbeit und Soziales
Müntefering zeigt sich offen für eine Regelsatzdebatte. Mit der Union bahnt sich derweil Streit an.
Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) hielt sich erst gar nicht lang mit den Einzelheiten seines Etats auf. Stattdessen nutzte er die Debatte über den Einzelplan 11 am 13. September in Bundestag, um seine politische Agenda für den Herbst zu skizzieren. So solle angesichts des Fachkräftemangels zum 1. November der Arbeitsmarkt für Elektro- und Maschinenbauingenieure aus den osteuropäischen Beitrittsländern geöffnet werden. Auch den Kampf gegen Kinderarmut wolle er forcieren.
In einigen seiner Ankündigungen, das deutete sich in der Debatte an, liegt Zündstoff für die Große Koalition. Das gilt etwa für sein Ziel, den Mindestlohn für die Branche der Postdienstleister bereits in dieser Woche auf den Weg zu bringen. Der Mindestlohn solle schon bald für allgemeinverbindlich erklärt werden, damit er zum 1. Januar 2008 in Kraft treten kann, wenn das Briefmonopol der Post fällt, erklärte Müntefering. Dagegen gibt es Vorbehalte in der Unions-Fraktion, und so trat der ihr arbeitsmarktpolitischer Sprecher, Ralf Brauksiepe, auf die Bremse. Die Union, so der CDU-Politiker, prüfe, ob die bei der Kabinettsklausur in Meseberg vereinbarten Bedingungen für die Aufnahme der Postdienste ins Entsendegesetz erfüllt werden. Dies werde "in ein paar Wochen geklärt" sein. Die Union wiederum stieß mit ihrer Forderung, rund 80 arbeitsmarktpolitischen Instrumente "zu entrümpeln" (CDU-Haushälter Hans-Joachim Fuchtel) und auf zehn zu reduzieren, bei den Sozialdemokraten auf Vorbehalte.
Angesichts des innerkoalitionären Diskussionsbedarfs ging der eigentliche Anlass für die Debatte zunächst ein wenig unter, obwohl der Etat für Arbeit und Soziales das traditionelle Ausgabenschwergewicht des Bundes ist. Anders als in den Vorjahren präsentiert sich der Haushaltsentwurf für Arbeit und Soziales für 2008 leicht abgespeckt. Das Minus von 4,75 Millionen Euro (0,0038 Prozent) im Vergleich zum Vorjahr ist angesichts der insgesamt veranschlagten 124,41 Milliarden Euro jedoch kaum der Rede Wert. Wohl ist aber der Anteil des Einzelplanes 11 an den Gesamtausgaben des Bundes rückläufig, er beträgt knapp 44 Prozent im Vergleich zu fast 46 Prozent im Vorjahr. Bei den Einnahmen verzeichnet der Etat ein Plus von 938,61 Millionen Euro (13,98 Prozent). Sie liegen nun bei 6,71 Milliarden Euro.
Wie kommt dieser Zuwachs, immerhin der zweitgrößte unter den Einzelplänen, zustande? Sorgte in den vergangenen Jahren stets der Ansatz für den so genannten Aussteuerungsbetrag der Bundesagentur für Arbeit (BA) an den Bund für Diskussionsstoff, entfällt dieser Posten, der 2007 bei 4 Milliarden lag, im Einzelplan 11 für 2008. Die BA musste für jeden Arbeitslosen, der nicht vermittelt werden konnte und nach einem Jahr ins Arbeitslosengeld II (Alg II) rutschte, eine Strafzahlung, den Aussteuerungsbetrag an den Bund leisten. Hintergrund ist, dass das Arbeitslosengeld I (Alg I) aus Versicherungsgeldern der BA gezahlt wird, das Alg II aber vom Staat. Im neuen Etatentwurf gibt es stattdessen den so genannten Eingliederungsbeitrag der BA, der dem Staatssäckel 5 Milliarden Euro, also 1 Milliarde Euro mehr bringen soll als das Vorgängerinstrument.
Wichtig für Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) war bei dieser Änderung vor allem, die Überweisung der BA an den Bund verlässlich zu gestalten - denn der alte Aussteuerungsbetrag fiel zuletzt deutlich geringer aus als kalkuliert (2006: 3,28 Milliarden Euro). Der neue Eingliederungbeitrag der BA soll nun 50 Prozent der Eingliederungsleistungen und Verwaltungskosten für Langzeitzeitarbeitslose abdecken.
Begründet wird der Finanztransfer von der Regierung damit, dass der Bund im Rahmen der Arbeitsmarktreformen in den vergangenen Jahren Aufgaben übernommen hat, für die früher die BA zuständig war. Umgekehrt wird die BA allerdings vom Bund mit den Einnahmen aus einem Mehrwertsteuerpunkt bezuschusst. Wiederholten Forderungen von Finanzexperten, das Hin- und Herschieben von Milliardenbeträgen zwischen den Haushalten des Bundes und der BA zu beenden, blieben bislang ungehört.
Die FDP-Haushaltsexpertin Claudia Winterstein warf Müntefering vor, seinen Haushalt auf Kos-ten der Arbeitslosenversicherung zu sanieren. Der Arbeitsminister bereichere sich auf Kosten der Beitragszahler, sagte sie und forderte "Beitragssenkung statt Beitragsklau". Die vom Kabinett beschlossene Senkung zum 1. Januar 2008 um 0,3 Punkte auf 3,9 Prozent sei "nur ein Trippelschritt", so Winterstein. "Eine Senkung auf 3,5 Prozent ist ohne Weiteres sofort möglich", betonte die Liberale.
Das sehen im Prinzip auch ihre Kollegen von der Unions-Fraktion so - wobei CDU-Haushälter Fuchtel vorsichtig bremste, und die Daten des Herbst abwarten will. Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Klaus Brandner, wiegelte ab: "Wir wollen keine Billigarbeitslosenversicherung", betonte er. Vielmehr sei "besser statt billiger" das Ziel. Erste Priorität bestehe da-rin, genügend Mittel für die Integration von Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt zu inves-tieren.
Beispielsweise stehen im Rahmen der Initiative 50plus für Impulse für mehr Beschäftigung von älteren Arbeitnehmern 99 Millionen Euro zur Verfügung. Im Jahr 2007 waren es noch 200 Millionen Euro. Unter anderem sollen bis zu 30.000 Zusatzjobs für Alg-II-Empfänger ab dem 58. Lebensjahr gefördert werden. An den Kosten der Arbeitsförderung beteiligt sich der Bund 2008 laut Entwurf mit 7,58 Milliarden Euro (6,47).
Für Leis-tungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende, also Mittel für Hartz IV, plant der Bund Ausgaben in Höhe von 35,01 Milliarden Euro (2007: 35,92) ein. Dazu zählen unter anderem das Alg II in Höhe von 21 Milliarden Euro (21,4) und die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit in Höhe von 6,4 Milliarden Euro (6,5) - also beispielsweise Weiterbildung, Bewerbungstraining und die so genannten Ein-Euro-Jobs. Der Löwenanteil dieser Finanzmittel, nämlich 4,2 Milliarden Euro, soll über Verpflichtungsermächtigungen - also Ausgaben, die in kommende Jahre verschoben werden - finanziert werden. Insgesamt sind in den Etatentwurf 2008 Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 4,32 Milliarden Euro (4,34) eingestellt. An den Kosten für Unterkunft und Heizung beteiligt sich der Bund mit 3,9 Milliarden Euro (4,3).
Beim Thema Hartz IV, speziell der Kinderarmut, setzten die Fraktionen von Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen mit ihrer Kritik an. Grünen-Politiker Markus Kurth verwies darauf, dass im Frühjahr 1,9 Millionen Kinder in Alg-II-Familien gelebt hätten. Allein in Berlin seien 40 Prozent der Kinder unter 15 Jahren abhängig von Hartz-IV-Leistungen. Angesichts dieser Zahlen sei eine "Regelsatzdebatte mehr als überfällig und gerechtfertigt". Die Linksparlamentarierin Katja Kipping betonte, der jetzige Regelsatz reiche nicht mal aus, um eine gesunde Ernährung von Kindern und Jugendlichen zu gewährleisten. "Wir fordern, den Regelsatz auf mindestens 435 Euro zu erhöhen", betonte Kipping.
Müntefering verwies auf die laufende Prüfung der Anpassungsmechanismen für das Alg II, die im Zuge steigender Lebensmittelpreise veranlasst wurde. Komme dabei he-raus, "wir müssten die Eckregelsätze für Kinder erhöhen um 10 Euro bei den unter 14- oder 15-Jährigen, dann wären das etwa 500 Millionen Euro", erläuterte der Minister. Es müsse sichergestellt werden, dass dieses Geld auch bei den Kindern ankomme. Zugleich erneuerte er seine Forderung, mit einem Erwerbstätigenzuschuss inklusive Kinderkomponente vollzeitbeschäftige Geringverdiener vor Alg-II-Bezug zu bewahren. Das sind weitere Punkte, die der Koalition einen heißen Herbst bescheren dürften.
Dagegen spielte das große Reizthema früherer Etatberatungen, die Kosten für die Alterssicherung, in der aktuellen Beratung eine nachgeordnete Rolle. Wie schon in den Vorjahren wird der Bund auch 2008 am meis-ten für die Renten ausgeben. Bundesfinanzminister Steinbrück muss knapp ein Drittel des Bundeshaushaltes an die Rentenkassen überweisen. Die Leistungen an die Rentenversicherung belaufen sich 2008 auf 78,56 Milliarden Euro, rund 230 Millionen Euro mehr als noch 2007. Große Teile des Geldes, 30,13 Milliarden Euro (29,99), wandern als Zuschuss an die allgemeine Rentenversicherung. Hinzu kommen unter anderem ein weiterer Zuschuss zur Abgeltung nicht beitragsgedeckter Leistungen in Höhe von 18,4 Milliarden Euro (17,86), Beitragszahlungen für Kindererziehungszeiten in Höhe von 11,48 Milliarden Euro (11,55) sowie der Bundeszuschuss für die Ostrenten in Höhe von 8,1 Milliarden Euro (8,16). Mit 6,32 Milliarden Euro (6,46) will sich der Bund an der knappschaftlichen Rentenversicherung beteiligen.
Investitionen spielen eine marginale Rolle: Vorgesehen sind 23,2 Millionen Euro. Die Zuweisungen und Zuschüsse belaufen sich auf 124,15 Milliarden Euro (124,41). Die Personalausgaben machen 157,65 Millionen Euro (161,11) aus, die sächlichen Verwaltungsausgaben 69,8 Millionen Euro (80,81).