Kommunales Wahlrecht
Bisher gilt dies nur für Bürger aus EU-Staaten
Ein kommunales Wahlrecht für in Deutschland lebende Ausländer, die nicht aus EU-Staaten kommen? Das, wofür Grüne und Linke kämpfen und sich auch Liberale und Sozialdemokraten erwärmen können, ist in den Augen der Union undenkbar. Ausländern, die die deutsche Staatsangehörigkeit noch nicht erworben hätten und dies auch nicht wollten, "mir nichts, dir nichts das kommunale Ausländerwahlrecht" einzuräumen, sei "ein Schlag ins Gesicht der ungefähr 800.000 vormaligen Ausländer, die jetzt deutsche Staatsangehörige sind und die sich dieser nicht einfachen Prozedur unterzogen haben", so das Urteil des CSU-Innenexperten Stephan Mayer. "Da machen wir nicht mit."
Mitmachen bei der Einführung eines kommunalen Ausländerwahlrechts wollen dagegen alle anderen Fraktionen im Deutschen Bundestag. Dies wurde am 24. Oktober in der Plenardebatte um einen entsprechenden Antrag der Linksfraktion ( 16/5904 ) und einen Gesetzentwurf der Bündnisgrünen ( 16/6628 ) deutlich. Beide Vorlagen sehen vor, dass Menschen, die dauerhaft ohne deutsche Staatsangehörigkeit in Deutschland leben und auch nicht aus einem Land kommen, das zur Europäischen Union gehört, an Kommunalwahlen teilnehmen können.
Dies ist bislang - anders als in 16 anderen EU-Ländern wie etwa Irland, Finnland oder Schweden - nicht möglich. Seit 1992 dürfen aber EU-Bürger an diesen Wahlen teilnehmen. Für Sevim Dagdelen (Linksfraktion) ist das eine "unerträgliche Ungleichbehandlung". Auch Josef Winkler (Bündnis 90/Die Grünen) bemängelte, dass in Deutschland lebende Franzosen, Polen und andere EU-Ausländer an Wahlen zu Stadt- und Gemeinderäten teilnehmen dürfen - "wer aber einen türkischen, indischen oder amerikanischen Pass hat, hat in der Kommunalpolitik kein Stimmrecht". Man müsse endlich anerkennen, dass die Bundesrepublik seit Jahren nicht mehr nur aus dem deutschen Volk bestehe, sondern zur "Gesamtbevölkerung auch viele Millionen Ausländer gehören". In Richtung der Union sagte Winkler, mit "deutsch" könne nicht nur "volksdeutsch" gemeint sein.
Um Ausländern ein kommunales Wahlrecht zu ermöglichen, wollen die Grünen Artikel 28 des Grundgesetzes, der die Wahlen in Kreisen und Gemeinden regelt, ändern. Für die Union ist dies ausgeschlossen. Sie beruft sich in ihrer Haltung auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Oktober 1990. Damals hatten die Karlsruher Richter ein Gesetz des Landes Schleswig-Holstein für verfassungswidrig und damit nichtig erklärt. Das Land hatte ein kommunales Wahlrecht wenigstens für langjährig in Deutschland lebende ausländische Staatsangehörige einführen wollen, die aus Staaten wie Dänemark, Schweden oder der Schweiz kommen, die den bei ihnen lebenden Ausländern ihrerseits ein solches Wahlrecht gewähren.
Das Bundesverfassungsgericht hatte damals entschieden, das Wahlrecht sei deutschen Staatsbürgern vorbehalten, denn nach Artikel 20 des Grundgesetzes gehe alle Staatsgewalt vom Volke aus. Darauf berief sich Stephan Mayer in seiner Rede. Er unterstrich, es sei "nun einmal einer der vornehmsten Bestandteile der Staatsangehörigkeit, sich an Wahlen zu beteiligen" - man könne sich nicht aus einer Rechtsposition die positiven Aspekte herauspicken und die negativen beiseite schieben.
Mayer betonte, viele Wissenschaftler wie etwa der Bonner Staatsrechtler Josef Isensee würden den Standpunkt vertreten, die Ewigkeitsgarantie in der Verfassung stehe der Einrichtung eines kommunalen Ausländerwahlrechts entgegen.
Isensee bekräftigte diesen Standpunkt gegenüber dieser Zeitung. Der Vorstoß von Linken und Grünen sei "schlicht verfassungswidrig". Durch "kosmopolitische Phantastereien" werde der Versuch unternommen, das Staatsvolk zu überrollen und eine "demokratiewidrige Fremdbestimmung" einzuführen. Die kommunalen Gebietskörperschaften seien "Teil der Staatsgewalt und bedürfen demokratischer Legitimation. Diese kann nur vom 'demos', dem Volk, das durch die Staatsangehörigkeit definiert werde, erteilt werden." Diese Regelung sei dadurch "etwas modifiziert" worden, dass auch die Unionsbürgeschaft das Wahlrecht ermögliche. EU-Bürger seien damit Staatsbürgern "in weitem Umfang, wenn auch nicht vollständig" gleichgestellt, während "der Ausländer als solcher nicht wahlberechtigt ist".
Diese Position stößt sowohl bei vielen Abgeordneten als auch Experten auf erhebliche Kritik. Der Hannoveraner Staatsrechtler Hans-Peter Schneider hält gerade die Tatsache, dass EU-Bürger an Kommunalwahlen in Deutschland teilnehmen können, für ein Argument dafür, dass die deutsche Staatsbürgerschaft nicht mehr alleinige Voraussetzung für das Wahlrecht sein kann. Zudem sei Deutschland, obwohl es lange umstritten gewesen sei, heute eindeutig ein Einwanderungsland - dies werde auch mit dem gerade in Kraft getretenen Zuwanderungsgesetz offiziell anerkannt. "Menschen, die über lange Jahre hier leben, sind keine Ausländer mehr, sondern Inländer. Sie müssen auch mitbestimmen dürfen, wenn es um ihre Angelegenheiten geht. Diese örtlichen Angelegenheiten haben mit der Staatsangehörigkeit nichts zu tun, das sind Sachthemen, die alle angehen müssen." Zudem knüpfe das Kommunalrecht an den Begriff der Einwohner und nicht an den der Staatsbürger an. Schneider plädierte gegenüber "Das Parlament" dafür, die Gewährung des kommunalen Wahlrechts an bestimmte Voraussetzungen zu knüpfen - wie etwa einen fünfjährigen Aufenthalt in Deutschland. Unter derartigen Bedingungen ist auch die FDP für mehr Teilhabe für Ausländer in Deutschland. Wer sich gut integriert habe, könne ein kommunales Wahlrecht erhalten, sagte der Liberale Hartfrid Wolff. Man dürfe es aber nicht "undifferenziert" und "ohne Hürden" erteilen.
Für die SPD bekannte sich Michael Hartmann klar zu dem Vorstoß und erinnerte die Union daran, dass in der Koalitionsvereinbarung stehe, man werde den Vorschlag prüfen. Nach einer solchen Prüfung habe sich die SPD entschlossen, "jene Initiativen zu unterstützen, durch die ein kommunales Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer eingeführt werden soll". Wer von den Menschen, die ins Land kämen, erwarte, dass sie "ihre Pflichten als Steuerzahler erfüllen" und "Recht und Gesetz einhalten", müsse nach "dem bewährten Prinzip des Förderns und Forderns auch entsprechende Angebote" machen. Man spreche über eine Gruppe von rund 4,6 Millionen Menschen, die im Durchschnitt seit 17 Jahren in Deutschland lebten und die bislang von kommunaler Teilhabe ausgeschlossen seien. Doch "wer Integration will, muss Teilhabe ermöglichen". Hartmann zeigte sich optimistisch: Er glaube an die "Kraft der Vernunft" - deshalb werde "das Bollwerk der Ablehnung nicht halten".