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Wann war’s - wer war’s?

Der amerikanische Historiker Michael S. Cullen
Der amerikanische Historiker Michael S. Cullen.

Historische Ansicht des provisorischen Reichstagsgebäudes in der Leipziger Straße 4
Historische Ansicht des provisorischen Reichstagsgebäudes in der Leipziger Straße 4.

Lesen Sie Michael S. Cullens Episode aus der Geschichte des Reichstagsgebäudes, beantworten Sie seine Frage und gewinnen Sie eine Reise nach Berlin.

Ein edles Ross für den warmen Wurstkessel

Otto von Bismarck mag als Reichskanzler viel für den Bau des Reichstagsgebäudes getan haben – „sein“ Reichstag war es nicht. Seinen berühmten Satz: „Nach Canossa gehen wir nicht“, sprach er nicht hier. Denn als der von Paul Wallot entworfene Bau 1894 der deutschen Volksvertretung übergeben wurde, war Bismarck nicht mehr im Amt. Zu seiner Zeit tagte das Parlament in einem Provisorium in der Leipziger Straße 4, dort, wo heute das Bundesratsgebäude steht.

Der „Reichstag des Norddeutschen Bundes“ saß noch im Gebäude des Preußischen Herrenhauses in der Leipziger Straße 3, einem barocken Stadtpalais, das früher der Familie Mendelssohn Bartholdy gehört hatte. Doch für den „Reichstag des Deutschen Reiches“ war das Herrenhaus zu klein. Deshalb genoss man eine Zeit lang das Gastrecht im größeren, aber ansonsten sehr unzulänglichen Gebäude des preußischen Abgeordnetenhauses in der Leipziger Straße 75. Wenige Tage nach der ersten Sitzung beantragten mehrere Abgeordnete den Bau eines vollkommen neuen Reichstagsgebäudes. Und eine Kommission sollte vorschlagen, wo man bis zur Vollendung eines Neubaus debattieren sollte.

Die Wahl fiel auf das Gebäude in der Leipziger Straße 4, das der Königlichen Porzellanmanufaktur gehörte, die ohnehin ihren Umzug vorbereitete. Den Parlamentariern gefiel der Vorschlag, nur glaubte die KPM, nicht so schnell ausziehen zu können, wie dies nun gewünscht wurde. Da soll Bismarck gedroht haben, dass er „die Feuerwehr anrücken lassen werde, wenn die Manufaktur sich nicht schleunigst zum Auszug bequeme“. Das saß. Die KPM wich in rekordverdächtiger Zeit nach Charlottenburg aus. Und so begann im Juli 1871 der Umbau zum Parlamentslokal. Hunderte von Arbeitern waren beschäftigt, so dass bereits am 16. Oktober der Reichstag in das Provisorium einziehen konnte. Damals ahnten die Abgeordneten noch nicht, dass sie erst 1894, mit der Fertigstellung des Reichstagsgebäudes, wieder ausziehen würden.

Im Laufe der Jahre sammelte das Parlament wertvolle Erfahrungen mit dem Haus, die in das Bauprogramm für das neue Reichstagsgebäude am Königsplatz, dem heutigen Platz der Republik, Eingang fanden. So wurde die Größe des Plenarsaals wegen der vorteilhaften Akustik beibehalten, auch plante man eine Sitzordnung mit Zwischengängen, die eine übersichtliche Platzierung der Fraktionen ermöglichte.

1899 wurde das provisorische Parlamentsgebäude und das Nachbarhaus in der Leipziger Straße 3 und 4 abgerissen. Am gleichen Ort entstand der Neubau für das Preußische Herrenhaus, das 1904 eingeweiht wurde. Heute dient es als Sitz des Bundesrates. Über den Abriss schrieb der damalige Korrespondent der Frankfurter Zeitung, August Stein: „Das alte Reichstagsgebäude ist in diesem Herbst auf Abbruch verkauft und in wenigen Wochen – in Berlin arbeitet dieses Spezialhandwerk der Häuserschlächterei ungewöhnlich schnell – niedergerissen worden ... Man braucht gar nicht sentimental zu sein, um noch jetzt zu bedauern, dass das ehrwürdige alte Reichstagsgebäude pietätlos ausgenützt und etwa so behandelt worden ist wie ein edles Ross, das schließlich im warmen Wurstkessel des nächtlichen Hausierers endet.“

Fotos: studio kohlmeier, Picture-Alliance

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