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Bis 18 Uhr Hartz IV? D'accord!

Global - Die französische Journalistin Cécile Calla berichtet über den Bundestag

Die französische Journalistin Cécile Calla in Berlin.
Die französische Journalistin Cécile Calla in Berlin.

Die französische Journalistin Cécile Calla in Berlin.
Die französische Journalistin Cécile Calla in Berlin.

Auf dem Laptop kann sie die Debatten live verfolgen.
Auf dem Laptop kann sie die Debatten live verfolgen.

Cécile an ihrem Schreibtisch.
Cécile an ihrem Schreibtisch.

Zeitung "Le Figaro".
Zeitung "Le Figaro".

Zeitungskiosk in Paris.
Zeitungskiosk in Paris.

Was im Bundestag passiert, interessiert nicht nur die deutschen Medien. Über Mehrwertsteuer und Hartz IV, Elterngeld und Gesundheitsreform berichten aus Berlin rund 300 ausländische Journalisten für ihr Publikum in aller Welt. Cécile Calla arbeitet als Korrespondentin für die französische Tageszeitung „Le Figaro“. Was Deutschland bewegt, können am nächsten Morgen auch die Menschen in Frankreich lesen. Glasklar hat Cécile besucht.

Tageszeitungen auf dem Schreibtisch, Notizzettel verstreut dazwischen, der aufgeklappte Notebook-Bildschirm zeigt gerade eine Bundestagsdebatte, übertragen vom Sender Phoenix: Cécile Calla ist bei der Arbeit. Gerade hat das Handy der 28-jährigen Journalistin geklingelt, ihre Redaktion, das Auslandsressort des „Figaro“, meldet sich aus Paris, um das Thema für den nächsten Tag zu bestätigen. Wie immer mittags zwischen 12 und 13 Uhr. „D’accord“, sagt Cécile, „ich mache 3.000 Zeichen“. Bis zum frühen Abend wird sie einen Artikel über die Arbeitsmarktreform Hartz IV schreiben, über die in Politik und Medien gerade erneut heftig diskutiert wird. „Ein spannendes Thema“, fi ndet Cécile. „Die Franzosen hadern auch mit der hohen Arbeitslosigkeit, daher interessiert es sie, wie die Deutschen damit umgehen.“

Cécile Calla ist seit zwei Jahren Deutschlandkorrespondentin für die Tageszeitung „Le Figaro“ in Berlin. Davor arbeitete die Pariserin für das Ressort „Innenpolitik“ des französischen Blattes. Nach ihrem Geschichts- und Soziologiestudium hatte sie sich dort für ein zweimonatiges Praktikum beworben. Mit Erfolg. Cécile kam und blieb: Aus den zwei Monaten wurden zwei Jahre. Doch dann suchte sie nach einer neuen Herausforderung – und ging auf eigene Faust nach Deutschland. „Es war ein Ereignis der deutsch-französischen Geschichte, das mich nach Berlin gebracht hat“, sagt sie lächelnd und schaut etwas verschmitzt. „Anlässlich des 40-jährigen Jubiläums des Elysée-Vertrages, der Grundlage der deutsch-französischen Freundschaft, habe ich 2003 eine Podiumsdiskussion des Europäischen Jugendparlaments moderiert.“

Berlinbesuch mit Folgen

Eigentlich hatte sie mit dem Jugendparlament nichts zu tun, bis ein deutscher Freund anrief und sagte: Du musst sofort kommen, ich brauche eine Französin, die Deutsch spricht. „Drei Tage später saß ich schon neben Schröder und Chirac auf dem Podium, vor mir einhundert Jugendliche“, grinst Cécile. Ein Besuch mit Folgen: In Berlin lernte sie ihren heutigen Freund kennen. Auch ein Grund, weshalb Cécile gern die französische gegen die deutsche Hauptstadt eintauschte. Für die Tochter einer Deutschen und eines Franzosen war es allerdings auch kein ganz abwegiger Schritt, denn Deutsch hatte sie schon zu Hause gelernt und bei einem Austauschjahr in Würzburg ihre Sprachkenntnisse aufgebessert.

„Le Figaro“ konnte eine zweite Deutschlandkorrespondentin gut gebrauchen, und so packte Cécile ihre Koffer. Wie in Paris ist auch in Berlin Politikberichterstattung ihre Hauptaufgabe. Nur ist es eben heute die deutsche Politik, über die sie schreibt. „In Frankreich schaut man mit großer Neugier zu, was die Deutschen tun“, sagt sie. „Besonders die Reformen imponieren vielen Franzosen.“ Deutsche Politik würde als sehr mutig empfunden, auch wenn nicht alles reibungslos laufe und es viel Kritik gebe. „Wir Franzosen wehren uns immer vehement gegen Reformen“, sagt die Pariserin. „Die Rente mit 67, die der Bundestag gerade beschlossen hat? Es würde sofort riesige Proteste geben!“ Wie zuletzt im März, als Studenten in Frankreich wochenlang gegen ein Gesetz protestierten, das für Berufseinsteiger unter 26 Jahren Arbeitsverträge mit zweijähriger Probezeit und täglicher Kündbarkeit einführen sollte. Die Demonstrationen lösten eine Regierungskrise aus, Premierminister Dominique de Villepin musste das Vorhaben aufgeben.

Momente im Plenarsaal

Oft schreibt Cécile auch über Wirtschaftsthemen, manchmal über Literatur, eben über all das, was die Redaktion wünscht. Am liebsten recherchiert sie vor Ort. Wie an dem Tag, als der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder im Plenum des Bundestages die Vertrauensfrage stellte, um Neuwahlen anzustreben. „Das war für mich einer der bewegendsten Momente überhaupt“, sagt Cécile. Für den „Figaro“ war sie im Plenarsaal, um die Atmosphäre zu beschreiben. „Es war absolut aufregend, so viele Menschen drängten sich auf den Fluren“, erinnert sie sich, „es war so voll, dass ich mich in der ganzen Zeit nirgendwo hinsetzen konnte.“ Eine Ära ginge zu Ende, schrieb Cécile damals in ihrem Artikel.

Für das Tagesgeschäft verlässt sie allerdings eher selten ihr Büro im Stadtteil Prenzlauer Berg, das sie mit einer anderen Journalistin teilt. Wenn sie morgens um 9 Uhr kommt, verbringt sie zunächst eine Stunde damit, vier Tageszeitungen zu sichten. Was sind die Themen des Tages? Was eignet sich für einen Artikel im „Figaro“? Bis 10 Uhr muss Cécile ihrer Redaktion einen Vorschlag gemacht haben. „Grundsätzlich verkaufen sich in Frankreich solche Themen gut, mit denen sich die Franzosen auch beschäftigen“, erklärt Cécile. Wenn etwa der Bundestag über Arbeitsmarktreformen debattiere oder Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Erklärung zu ihrer Europapolitik abgebe. „Aber auch alle Berichte, die mit der Vergangenheit, dem Zweiten Weltkrieg zu tun haben, gehen gut – und leider auch solche, die den Rechtsextremismus thematisieren.“ Über die Debatte, ob es „No-go-areas“, also Gegenden in Deutschland gebe, die Menschen mit dunkler Hautfarbe besser meiden sollten, habe ihre Zeitung auch berichtet.

Wenn es um das Geschehen im Bundestag geht – Debatten, Fragestunden, Regierungserklärungen im Plenum – , dann ist der Sender Phoenix ihre wichtigste Informationsquelle. Auf der Pressetribüne im Plenarsaal die Debatte zu verfolgen, würde sie meist zu viel Zeit kosten. Um halb sieben müssen ihre Artikel fertig und per E-Mail an die Redaktion verschickt sein. „Nervös werden sie allerdings schon um halb sechs“, sagt Cécile augenzwinkernd. Deshalb heißt es für sie jetzt auch: Beeilung. Der Text über Hartz IV muss fertig werden.


Weitere Informationen


Le Figaro
ist eine renommierte französische Tageszeitung. Mit rund 350.000 Aufl age gehört sie neben „Le Monde“ und „Libération“ zu den wichtigen meinungsbildenden Zeitungen Frankreichs. 1825 in Paris gegründet, gilt „Le Figaro“ als „FAZ Frankreichs“.
www.lefigaro.fr

Der Verein der Ausländischen Presse in Deutschland (VAP)
ist die Organisation der Korrespondenten internationaler Medien in Deutschland. Vor 100 Jahren wurde er in Berlin gegründet und unterstützt die Arbeit von heute rund 425 Mitgliedern, Journalisten aus insgesamt 61 Ländern.
www.vap-berlin.de

Text: Sandra Schmid |
Erschienen am 06.07.2006

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