Als erste große Staatenvereinigung ist die Europäische Union das Ergebnis friedlichen Wachsens. Weitsichtige Staatsmänner wie Adenauer, de Gasperi, Schuman, Spaak wollten "Erbfeindschaften", Rivalitäten, die Angst vor Deutschland überwinden. Doch war Europa nicht uno actu zu vereinen, auch nicht die ursprüngliche Sechsergemeinschaft. Fehlschläge wie 1954 die Europäische Verteidigungsgemeinschaft begleiten den Weg zur heutigen Union.
Mit Kommentaren zum Nizza-Vertrag, zur Arbeit des Konvents und Entwicklung des Europäischen Vertragsrechts begleitet Fischer die Entwicklung. Er ist ausgewiesen als Botschaftsrat und Abteilungsleiter an Österreichs EU-Vertretung sowie Lehrbeauftragter an mehreren Hochschulen. Vom Europäischen Rat in Thessaloniki im Juni 2003 bis zur entscheidenden Brüsseler Regierungskonferenz am 25. Juni 2004 dokumentiert er den Weg des am 29. Oktober 2004 von den Staats- und Regierungschefs in Rom unterzeichneten Vertrags. Detailliert stellt er die Haltung der Mitglieder, Bewerber- und Kandidatenländer sowie Institutionen dar. Im zweiten Teil kommentiert und analysiert er die Verfassung und dokumentiert auf der CD-Rom 270 Dokumente mit rund 7.500 Seiten zur Arbeit der Regierungskonferenz 2004.
"Europa hat sich erstmals in seiner Geschichte eine Verfassung gegeben", schreibt Österreichs EU-Kommissarin Ferrero-Waldner. Für sie ist die Verfassung "ein Meilenstein für die Integrationsbemühungen in Europa". Der tragfähige Kompromiss mache kein Mitglied zum Verlierer und lasse keinen Sieger zu, nehme auf ihre Gleichheit ebenso Rücksicht wie auf die Sorgen, Ängste, Forderungen der Menschen; er mache "die Europäische Union demokratischer und transparenter", getragen vom Willen der Mitglieder, sie "handlungsfähiger und entscheidungsfreudiger zu machen". Für das gemeinsame Ziel und Wohl der westlich-demokratischen Wertegemeinschaft hätten die Mitglieder nationalstaatliche Interessen hintangestellt.
Der Autor folgt dieser Bewertung. Die Grundrechtecharta wird ins Primärrecht eingefügt, die Mitentscheidung des Europaparlaments auch für die polizeilich/juditielle Kooperation sowie Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik normiert. Ziel der Regierungskonferenz 2004 war ein zukunftsfähiger Vertrag für "die Reaktionsfähigkeit gegenüber kontinentalen, transkontinentalen und globalen Ereignissen und Entwicklungen". Das positive Wirken der gemeinsamen Außenminister in der Ukraine, im Nahost-Quartett und Russlands Ratifikation des Kyoto-Protokolls zeigen die Bedeutung der EU-Außenpolitik.
Die Abstimmungsregeln im Ministerrat und zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik erfüllen die Erwartungen nicht. Dennoch, Europas Integration und der Ausbau des supranationalen Charakters sei ein Prozess, dem sich immer mehr Staaten anschließen. "Wer die Europäische Union und den Verfassungsvertrag als Momentaufnahme betrachtet, wird beiden nicht gerecht. Auch dieser Vertrag wird nicht das Ende der Entwicklung darstellen, ja er darf es nicht sein." Daher wäre eine Volksabstimmung über den Zwischenschritt sachfremd.
Am Ende des Finanzplanungszeitraums 2006/13 wird es Änderungen geben, erneut nach einem Türkei-Beitritt 2019 oder 2020. Heute geht es darum, in der ganzen EU den Ist-Zustand zu ratifizieren. Ihn mit Leben zu erfüllen, bedarf es wie bei Europas Widerstand gegen den Irak-Krieg einer aktiven Zivilgesellschaft.
Klemens H. Fischer
Der Europäische Verfassungsvertrag.
Texte und Kommentar.
Geleitwort von Benita Ferrero-Waldner.
Mit Begleit-CD-Rom und Gesamtdokumentation.
Nomos-/MANZ-/Stämpfli-Verlage, Baden-Baden/Wien/Bern 2004; 603 S., 79,- Euro