Wer kennt sie nicht - die teils gelangweilten, teils verunsicherten Schulklassen auf den Besuchertribünen deutscher Parlamente? Auch wenn Politikmüdigkeit mitnichten nur ein Jugendphänomen sind, wie der Koblenzer Politologe Ulrich Sarcinelli betont, bleibt doch die politische Bildung junger Menschen nach seiner Beobachtung "ein mühseliges Dauergeschäft". Mittlerweile ist Bewegung gekommen in die Jugendarbeit der Landtage. Am 25. April will sich eine außerordentliche Konferenz der Landtagspräsidenten mit dem Thema befassen.
Um Schüler an ihre demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten heranzuführen und ihnen dabei mehr zu vermitteln als nur einen punktuellen Eindruck der politischen Wirklichkeit bedarf es laut Sarcinelli nicht nur eines parlamentsdidaktischen Konzeptes. Schlüssel zu den jungen Menschen seien zum einen Personalisierung nach dem Motto "Köpfe sind einprägsamer als Institutionen und Strukturen", zum anderen Handlungsorientierung. "Selber machen, ausprobieren, eine bestimmte Rolle spielen, sich in die Rolle anderer hineinversetzen", sind attraktive Anreize, damit der Nachwuchs Interesse an der auf den ersten Blick eher öden Landtagswelt bekommt. Unerlässlich sei eine angemessene Vorbereitung der Besuche in den Schulen.
Beispiele, wie solche Vorstellungen schon jetzt umgesetzt werden können, wurden jüngst auf einer Tagung der Öffentlichkeitsarbeiter der Landtage zum Thema "Politische Jugendbildung" in Mainz vorgestellt. "Abgeordneter im Bundestag - ein Traumjob?", heißt etwa eine Unterrichtssequenz, die der Deutsche Bundestag Schulen zur Verfügung stellt. Zunächst müssen die Schüler Kriterien für einen Traumjob aufstellen in punkto Bezahlung, Arbeitszeit und Sinngebung. Anhand von Selbsteinschätzungen und Wochenarbeitsplänen einzelner Abgeordneter sowie Einkommensübersichten sollen diese Kriterien überprüft und schließlich diskutiert werden. Die Aufklärungsarbeit ist offenbar erfolgreich, wie Gesamtschullehrer und Mitautor der Materialien, Robert Wache, berichtet. Bezeichnete ein Zehntklässler die Abgeordneten zunächst als "faule Säcke", fiel das Urteil am Ende der Unterrichtseinheit wesentlich differenzierter aus: "Dass die Tätigkeit eines Abgeordneten so stressig ist, hätte ich nicht gedacht, und so viel Geld kriegen die ja gar nicht - für mich wäre das nichts."
Ganz praktische Mitwirkungsmöglichkeiten für die jungen Politiker bietet beispielsweise der rheinland-pfälzische Landtag. Neben den klassischen Besuchen in Plenum und Ausschüssen sowie Lehrerseminaren und Schulbesuchen der Präsidiumsmitglieder können sich Schüler an sitzungsfreien Tagen in Rollenspielen politischen Fragen wie dem "Verbot von Tierversuchen" oder dem "Ausstieg aus der Atomenergie" widmen, die auch Erwachsene interessieren. Seit 1985 gibt es in Mainz zudem einen Schülerlandtag, der auch die harten Themen - etwa "Härtere Maßnahmen gegen jugendliche Straftäter und Rechtsextremisten" - auf die Tagesordnung setzt. Die Anträge, die aus solchen Plenarsitzungen ihren Weg in die Ausschüsse finden, bezeichnet die rheinland-pfälzische Abgeordnete Ulla Brede-Hoffmann als "sehr qualifiziert und konkret". Allerdings erwartet die SPD-Politikerin künftig auch von ihren Kollegen eine ernsthaftere Auseinandersetzung mit den politischen Vorstößen der Jugend. Allein ein "liebevolles wir verstehen euch ja, das ist ja alles toll" werde von den Schülern als "nicht angemessen" empfunden.