Noch bevor im April in einer Straße gegenüber der Al-Ashar-Moschee in Kairo eine Bombe hochging, die drei Menschen tötete und 18 verletzte, schien Mubarak erkannt zu haben, dass er die Daumenschrauben seines autoritären Regierungsstils würde lockern müssen. Vor einigen Tagen schlugen die Terroristen, die sich selbst "Märtyrer-Brigaden" nennen, erneut zu. Bei zwei blutigen Attentaten auf Urlauberziele in der ägyptischen Hauptstadt wurden die Terroristen getötet sowie mehrere Opfer, unter ihnen amerikanische und französische Touristen, schwer verletzt.
Hinzu kam internationaler Druck, so dass der seit 1981 regierende Präsident einer Verfassungsänderung zustimmte, nach der im Herbst mehrere Kandidaten bei der Präsidentschaftswahl antreten können. Ein Novum unter der Regentschaft des Nachfolgers des ermordeten Friedensnobelpreisträgers Anwar-al Sadat. Ursprünglich war ein Referendum vor der Verfassungsänderung vorgesehen, doch dann ergriff Mubarak selbst die Initiative. Bereits im Herbst vergangenen Jahres hatte es Anzeichen für eine gewisse Lockerung in Ägypten gegeben, als die Oppositionspartei Al-Ghad zugelassen und deren Führer aus dem Gefängnis entlassen wurde.
Kurz vor dem Anschlag, der die Sicherheitsbehör-den in Kairo alarmierte und Befürchtungen vor einem Einbruch des Tourismus-Booms weckte, hatte zudem die seit Jahren verbotene Muslim-Bruderschaft erstmals für eine Beendigung des vor 24 Jahren verhängten Ausnahmezustandes demonstriert. Versammlungen sind verboten, und die Meinungsfreiheit ist in Äypten stark reglementiert. "Falschinformationen" stehen unter Strafe, wobei es Sache der Behörden ist, festzustellen, was unter diesen Begriff fällt. Politische Beobachter fragen sich unterdessen, ob der unter Umständen weichere politische Kurs nicht zu spät kommt, und der Terror bald wieder öfter und stärker zuschlägt.
Im vergangenen Oktober wurden bei Bombenan-schlägen auf mehrere Hotels auf der Sinai-Halbinsel 34 Menschen getötet. Die ägyptischen Behörden brachten die Anschläge mit der Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern in Verbindung. Spätestens, als die Nagelbombe auf dem Kairoer Basar hochging, stand fest, dass diese Interpretation korrigiert werden musste. Die letzten größeren Angriffe gab es davor vor siebeneinhalb Jahren. Im September 1997 beschossen zwei Männer mit Sturmgewehren einen Touristenbus und töteten neun Deutsche und ihren Fahrer. Einen Monat später wurden bei einem blutigen Angriff auf einen Pharaonen-Tempel in der Nähe von Luxor 48 Touristen und vier Ägypter umgebracht.
Es kam zu einem dramatischen Einbruch im Tourismusgeschäft, das mit Abstand die größte Devisenquelle des Landes am Nil ist. Nachdem sich die überwältigende Mehrheit der ägyptischen Bevölkerung gegen die Terroristen gestellt hatte und viele Angehörige des "Islamischen Dschihad" und der "Dschamaa Islamija" verhaftet worden waren, gab es zunächst keine weiteren Anschläge. Der Terror bedroht nicht nur den Tourismus, er könnte auch dazu führen, dass Hosni Mubarak den Ausnahmezustand verlängert und seinen autoritären Regierungsstil fortsetzt. Terroristen, sagte der als Sprecher der Muslimbruderschaft geltende Montassar al Siad, nützten zum jetzigen Zeitpunkt vor allem dem Regime.
Die immer wiederkehrenden Anschläge zeigen, wie oberflächlich die politische Stabilität ist, auch wenn das strenge Regiment der Geheimdienste einen ganz anderen Eindruck erweckt. Dass es unter der Oberfläche gärt, ist ganz wesentlich auf die soziale Lage und die zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten zurückzuführen. Obwohl Ägypten seit Jahrzehnten vom Westen mit Geldern nur so überschwemmt worden ist, um es als ausgleichenden Faktor zu Israel bei Laune zu halten, hat sich die wirtschaftliche Lage in den vergangenen Jahren nur noch weiter verschlechtert. Das bedeutetet einen Nährboden nicht für Unzufriedenheit und wachsende Wut unter der Bevölkerung, sondern auch für künftige terroristische Aktivitäten.
Jeder fünfte Ägypter ist ohne Arbeit, eben so viele können sich im täglichen Existenzkampf gerade so über Wasser halten. Es ist nicht zu erkennen, wo westliche Entwicklungshilfe in Milliardenhöhe an-kommt und was mit ihr geschieht. Deutschland als eines der größten Geberländer drängt seit Jahren auf Reformen, die 70 Millionen Einwohner zugute kommen. Dass Kapital ins Ausland fließt und der Bevölkerung von korrupten Politikern entzogen wird, ist ein Kairo eine offenes Geheimnis. Landeskenner befürchten eine weitere Zuspitzung der Situation und damit der gesellschaftlichen Gegensätze.
Islamisten, Linke und Liberale hatten im vergange-nen Jahr in Kairo eine Kampagne für eine Direktwahl des Präsidenten gestartet. Einer ihrer Slogans lautete dabei "Kifaja" (Es ist genug), was sich auf die lange Amtszeit Hosni Mubaraks bezieht, der in diesem Jahr sein 78. Lebensjahr vollendet. "Wir hatten gedacht, es werde mehr Widerstand von oben geben", sagte damals ein Mitglied der "Kifaja"-Bewegung zum Verlauf der Kampagne.
Die Mehrheit im Parlament stellen die Abgeordne-ten der Nationaldemokratischen Partei (NDP) von Präsident Mubarak. Bisher haben sich drei Oppositionelle bereit erklärt, gegen Mubarak zu kandidieren: Die Frauenrechtlerin Nawal al-Saadawi, der wegen seiner regimekritischen Äußerungen zeitweise inhaftierte Saadeddin Ibrahim und der frühere Parlamentsabgeordnete Mohammed Farid Hassanein. Der Vorsitzende der im Parlament vertretenen neuen liberalen Partei Al-Ghad, Eiman Nur, wurde nach einigen Monaten in Untersuchungshaft wieder freigelassen. Ihm war vorgeworfen worden, beim Antrag auf Zulassung seiner Partei Papiere gefälscht zu haben. Menschenrechtsorganisationen sprachen jedoch von einer politisch moti-vierten Festnahme, mit der der Politiker eingeschüchtert werden sollte.
Mubaraks größte Verdienste liegen zweifellos in der Außenpolitik. Bewegten sich die Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern einmal wieder auf den Höhepunkt zu, trat der ehemalige Oberbefehlshaber der Luftwaffe erfolgreich als Schlichter auf. Bereits 1979 hatte er in Washington als Vizepräsident die schwierigen Friedenverhandlungen mit dem israelischen Kriegshelden Mosche Dajan geleitet. Ohne Mubaraks diplomatisches Geschick wäre der später in Camp David unterzeichnete Friedensvertrag wohl nicht zustande gekommen. Der Frieden mit Israel blieb allerdings wegen der sich immer wieder hochschaukelnden Krisen im Nahen Osten bis heute eher unterkühlt.