Recht. Überwiegend skeptisch bewerteten Experten in einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses am 11. Mai die Dienstleistungsrichtlinie der EU-Kommission (Ratsdok.Nr.5161/05), mit der die Liberalisierung von Dienstleistungen im EU-Binnenmarkt vorangetrieben werden soll. Strittigster Punkt ist das geplante Herkunftslandprinzip, wonach Dienstleister künftig nur noch Bestimmungen ihres Herkunftslandes unterliegen, statt den Maßstäben der Bestimmungsländer.
Für Professor Wolfgang Ewer, Vizepräsident des Bundesverbandes der Freien Berufe Berlin, gibt es dabei ein "Für und Wider". Einerseits begrüße man das Bemühen der Kommission, die Realisierung des Binnenmarktes auch im Dienstleistungsbereich voranzutreiben. Positiv sei, dass bewährte Strukturen aus der freiberuflichen Selbstverwaltung einbezogen würden. Andererseits gebe es wegen des Herkunftslandprinzips viele ungeklärte Fragen. Eine wirkungsvolle Berufsaufsicht sei ebenso schwer zu gewährleisten wie die Überwachung und Durchsetzung von Qualitätssicherungssystemen.
Für Rechtsanwalt Erhard Keller aus Düsseldorf bringt das Herkunftslandprinzip eine "drastische Verschlechterung" des wettbewerbsrechtlichen Rechtsschutzes deutscher Verbrauchern und Mitbewerber gegenüber ausländischen Dienstleistern mit sich. Je nach Bestimmung des Herkunftslandes könnten nach deutschem Recht klagebefugte Mitbewerber und Verbraucherschutzverbände nicht mehr gegen unlauteren Wettbewerb auf dem deutschen Markt vorgehen. Das kritisierte auch Professor Helmut Köhler von der Universität München. Er sagte, der Schutz vor unlauterem Wettbewerb stehe und falle mit der schnellen Durchsetzung von Sanktionen. Es empfehle sich daher, Regelungen gegen unlauteren Wettbewerb in den Katalog der Ausnahmen vom Herkunftslandsprinzip einzufügen. Auch Professor Peter Mankowski von der Universität Hamburg sieht den Entwurf "sehr kritisch". Eine Vermeidung von Doppelregulierung führe dazu, dass es gar keine Regulierung mehr gebe, da sich die Behörden im Herkunftsland um Regelungen für Auslandsmärkte nicht kümmern würden. Professor Christian Wolf von der Universität Hannover sieht die größten Probleme im Wirtschaftsrecht, denn die Strafbarkeit falle in sich zusammen, wenn das Herkunftslandprinzip gelte.
Kurt Christian Scheel vom Bundesverband der Deutschen Industrie forderte dagegen auf, nicht nur die Risiken, sondern auch die Chancen der Richtlinie zu betrachten. Im Dienstleistungsbereich liege ein großes Wachstumspotenzial, das es zu fördern gelte. Der Abbau von Überreglementierung und bürokratischen Strukturen liege im Interesse der Wirtschaft und der EU-Bürger. Das Herkunftslandsprinzip sei für ein vereinfachtes Verwaltungsverfahren in den Mitgliedsstaaten nützlich.