Dennoch setzt die Bundesrepublik Deutschland die Bundeswehr seit Jahrzehnten - in enger Kooperation und Absprache mit verbündeten Staaten - auch außerhalb seiner Landesgrenzen ein. Ein Widerspruch oder ein legitimes und äußerstes Mittel, um eben genau solche Katastrophen wie in der Vergangenheit zu verhindern oder zu beenden?
Eine Debatte, die Öffentlichkeit, Parlament und Gerichte regelmäßig neu beschäftigt - zumal sich die Einsätze im Lauf der Jahre massiv verändert haben. Vor allem seit der Vereinigung Deutschlands 1990: Bestanden die Aufgaben neben der reinen Territorialverteidigung im internationalen Kontext lange Zeit in aller Regel aus rein humanitären Aktionen, so beteiligt sich die Bundeswehr mittlerweile auch an friedenserhaltenden und sichernden Maßnahmen sowie Kriegseinsätzen jenseits der Landesgrenzen. Nach mehreren Klagen hat das Bundesverfassungsgericht 1994 diese Art von Engagement grundsätzlich für verfassungskonform erklärt, jedoch auch weitere gesetzliche Regelungen angemahnt.
Eine Chronologie soll diese Entwicklung nachzeichnen - gewissermaßen als Weg von Karlsruhe, dem Sitz des Verfassungsgerichts, nach Kabul als Hauptstadt Afghanistans, wo die Truppe mit dem Kommando Spezial-Kräfte (KSK) aktuell an einem Kampfeinsatz direkt beteiligt ist.
Die erste Naturkatastrophe, nach der sich Heer wie auch Luftwaffe der damals gerade einmal fünf Jahre alten Bundeswehr unterstützend eingriff, war das schwere Erdbeben im marokkanischen Agadir am 29.Februar 1960. Sanitätssoldaten richteten dort ein Rettungszentrum ein, bargen Verschüttete und Verletzte nach dem Unglück, dem etwa 15.000 Menschen zum Opfer fielen und das eine Stadt in Trümmern hinterließ. Weitere fünf Jahre später beteiligte sie sich dann erstmals an einer groß angelegten internationalen Hilfs-Mission, indem sie eine Luftbrücke nach Algerien zum Material-Transport einrichtete. Bereits vier Jahre später kehrte sie wieder in die Region zurück, diesmal neben Algerien auch nach Tunesien. Im März 1973, etwa ein halbes Jahr bevor die Bundesrepublik sowie die damalige DDR in die UNO aufgenommen wurden, flog die Luftwaffe rund 6.000 Tonnen Versorgungsgüter nach Afrika zu den hungernden Menschen im Dürregebiet der Sahelzone. Im gleichen Zeitraum bringt sie auch medizinisches Gerät nach Ägypten, Israel und Syrien - im Auftrag der UN-Friedenstruppe UNEF. Auch innerhalb der heutigen Europäischen Union wirkte sie nach Katastrophen beim Bewältigen der Folgen mit - unter anderem zweimal in Italien nach heftigen Erdbeben: Im Mai 1976 in Friaul und vier Jahre später in Arrellino vier Jahre später, als rund 800 Soldaten vom Pionier bis zum Hubschrauberpiloten mit über 200 Fahrzeugen mehrere Wochen mit Aufräumarbeiten befasst waren.
Ende 1984 bis Ende 1985 verfrachtete die Truppe 16.000 Tonnen Hilfsgüter während einer Hungerkrise nach Äthiopien, knapp 4.000 Tonnen bringt sie in den Sudan. Als im Dezember 1988 ein starkes Beben in Armenien über 55.000 Menschen tötet und mehr als eine Millionen ihre Häuser verlieren, liefert sie Zelte und ein Lazarett. Im gleichen Jahr führt sie für die UNTAG im UN-Auftrag auch Transporte nach Namibia durch.
Während einer Kälte- und Versorgungskrise flog sie 1990/91 erstmals auch Material in die damalige Sowjetunion. Kurz darauf, im Frühjahr 1991, versorgte sie schließlich auch die kurdische Bevölkerung in Anatolien - ein Engagement im Schatten des zweiten Golfkrieges. Ihren ersten so genannten Blauhelm-Einsatz unter Führung der UNO begann die Bundeswehr 1992 in Kambodia im Kontext der UNTAC, die das südostasiatische Land unter anderem beim Aufbau einer neuen staatlichen Verwaltung unterstützen sollte. Hier betrieben Sanitäter ein Militärlazarett, wo sie etwa 15.000 Behandlungen zählten.
Insgesamt leistete die deutsche Armee bis heute etwa 130 Einsätze mit humanitärem Charakter: Zuletzt Ende 2004 in Indonesien nach der verheerenden Tsunami-Flutwelle im indischen Ozean.
Während diese Art von weltweitem Engagement im Rahmen humanitärer Missionen nach Katastrophen in der deutschen Öffentlichkeit weitgehend unumstritten ist, sieht die Lage bei militärischen Einsätzen mit "robustem Mandat" völlig anders aus. Nicht nur Friedensinitiativen, Wissenschaftler und Teile der Medien warnen regelmäßig vor einer "Militarisierung der Außenpolitik" und wägen das Für und Wider solchen Engagements meist im Zusammenhang grundsätzlicher politischer Überlegungen kritisch ab. Auch die politischen Parteien debattieren bei Einsätzen der Bundeswehr immer wieder über die rechtlichen Grenzen militärischer Einsätze.
Im Frühjahr 1991 beschließt die damalige Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP 18 Alpha-Jets und über 200 Soldaten in die Türkei zu verlegen, um den NATO-Partner vor eventuellen Angriffen irakischer Truppen während des zweiten Golfkrieges zu schützen. Die Regierung beruft sie hier unter anderem auf Artikel 24, Absatz 2 des Grundgesetzes. Demnach kann sich der Bund "zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern." Genau diese kollektive Sicherheit schien bedroht. Nachdem der Irak Israel im Zuge dieses Krieges mit Raketen angegriff, begann die eigentliche "Out-of-Area"-Debatte um militärische Aktivitäten Deutschlands außerhalb der Bündnisgrenzen: CDU/CSU erwogen ein Ausweiten des deutschen Engagements. Der Koalitionspartner FDP forderte hingegen, hier zunächst die verfassungsrechtlichen Grenzen zu klären. SPD und Bündnis90/Grüne lehnten solche Einsätze damals strikt ab. Aufgrund fehlender Mehrheiten im Bundestag kam eine dafür nötige Verfassungsänderung damals schließlich nicht zustande. Allerdings entsendet die Regierung auf Bitten von USA und UNO sieben Minensuchboote an den Persischen Golf und unterstützt später die UNSCOM-Mission bei der Suche nach Massenvernichtungswaffen im Irak.
Mit dem Jugoslawienkrieg setzt dann ab 1992 die verfassungsrechtliche Auseinandersetzung um Militär-Aktionen außerhalb der Bündnisgrenzen umso intensiver ein. Mehrfach riefen Gegner der jeweiligen Einsätze deshalb das Bundesverfassungsgericht an, um die Rechtmäßigkeit solcher Maßnahmen überprüfen zu lassen.
So lehnte das Gericht beispielsweise am 8. April 1993 in einem Urteil den "Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung" der SPD- und FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag ab, mit dem die Parteien einen Abzug von Bundeswehrsoldaten aus AWACS-Flugzeugen erreichen wollten. Diese Maschinen hatten den Auftrag, Überflugverbote über Bosnien-Herzegovina durchzusetzen. Politischer Hintergrund war eine entsprechende Resolution des Weltsicherheitsrates, die UNPROFOR und NATO umsetzen sollten. Etwa ein Drittel des militärischen Personals dieser AWACS-Flieger stammte aus Deutschland. Genau diese Beteiligung sahen SPD und FDP als verfassungswidrig an, da sie in ihren Augen neben Artikel 24, auch Artikel 87a verletzte. "Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt", lautet hier der zweite maßgebliche Verfassungsgrundsatz. Darüber hinaus sah gerade die FDP Mitwirkungsrechte des Parlaments verletzt. Das oberste Gericht weist den Antrag jedoch zurück und begründet seine Entscheidung unter anderem damit, dass die Tätigkeit des AWACS-Verbandes im "Einklang mit der Zielsetzung der Charta der Vereinten Nationen" stehe - allerdings unabhängig von der Frage, "ob die Bundesregierung seinen Einsatz anordnen durfte."
Das bis heute maßgebliche Urteil in dieser Frage fällte der Zweite Senat des Bundesverfassungsgericht jedoch erst am 12. Juli 1994 unter dem Vorsitz von Jutta Limbach. Es ging als so genanntes "out-of-area"-Urteil in die jüngere Geschichte ein. Insgesamt drei Verfassungsklagen hatten die SPD- und FDP-Fraktion eingereicht: Neben den AWACS-Flügen standen auch die UN-Seeblockade von Rest-Jugoslawien mit deutscher Hilfe sowie die Beteiligung am Somalia-Einsatz UNSOM in der Kritik.
Das Gericht stellte dabei klar, dass sämtliche dieser Bundeswehr-Aktivitäten im Einklang mit dem Grundgesetz stehen - allerdings müsse die Regierung in solchen Fällen dafür vorher ein mehrheitliches Votum des Bundestages erhalten. Ein entsprechendes Gesetz solle das parlamentarische Prozedere jedoch für die Zukunft gesondert regeln.
Mit dieser juristischen Klarstellung im Rücken stimmte das Parlament seither über 35 Mal mit Mehrheit über "Out-of-Area"-Maßnahmen ab, an denen insgesamt bis heute über 100.000 Soldaten beteiligt waren. Die Palette erweiterte sich geografisch stets weiter, reichte von der Versorgung von Flüchtlingen nach dem Völkermord in Ruanda oder der medizinischen Betreuung von UN-Mitarbeitern in Georgien 1994, bis zum ersten echten Kampfeinsatz während des Kosovo-Krieges 1999 gegen Serbien sowie Transportflügen von Verletzten in Ost-Timor. Aktuell leisten knapp über 6.000 deutsche Armee-Angehörige in Afghanistan, Usbekistan, Bosnien-Herzegovina, im Kosovo, Georgien, am Horn von Afrika sowie Äthiopien und Eritrea ihren Dienst. Davon sind über 200 Frauen.
Sämtliche dieser Missionen bergen jedoch auch ihre eigenen Gefahren für Leib und Leben der dort stationierten Soldaten. So starben bis zum heutigen Tag knapp 60 Soldaten im Ausland - die meisten von ihnen bei Unfällen und Unglücken. Das erste Opfer war im Oktober 1993 der Sanitätsfeldwebel Alexander Arndt im kambodschanischen Phnom Penh, als er auf offener Straße erschossen wurde. Der letzte Vorfall ereignete sich im Juni 2003, als bei einem Selbstmordanschlag auf einen Bus der internationalen Afghanistan-Schutztruppe ISAF vier Deutsche getötet werden, knapp 30 werden verletzt.
Zehn Jahre nach dem "Out-of-Area"-Urteil des Verfassungsgerichts stellt der aktuelle Beschluss des Bundestages von Ende April 2005, über 70 Militärbeobachter in die Krisenregion Darfur im Sudan zu schicken, ein Novum dar. Diese Abstimmung war die erste Entsende-Entscheidung des Gremiums nach dem neuen "Parlamentsbeteiligungsgesetzes", das am 24. März 2005 in Kraft getreten ist: Dass dieses Regelwerk so lange auf sich warten ließ, hat öffentlich viel Kritik hervor gerufen.
Das neue Gesetz soll vor allem die Rolle der Bundeswehr als Parlamentsarmee manifestieren. Im Zentrum steht daher auch weiterhin der so genannte Parlaments-Vorbehalt. Der besagt, dass die Truppe erst nach einer Abstimmung im Plenum und nur bei eindeutiger Mehrheit für "Out-of-Area"-Aufgaben entsandt werden darf. Lediglich bei Gefahr im Verzug oder bei Situationen die keinen Aufschub zulassen, kann die Regierung auch ohne das Ja der Abgeordneten Soldaten buchstäblich ins Feld schicken. Jedoch muss der Bundestag dann ohne größeren Zeitverzug nachträglich noch einmal darüber abstimmen. Verweigern sie der Regierung dabei aber das "Okay", bedeutet das gleichzeitig das Aus für den Beschluss. Das gilt jedoch nicht für humanitäre Aufgaben, bei denen die Einheiten beispielsweise Gewehre nur zur Selbstverteidigung mit sich führen.
Bei einem "Einsatz geringer Intensität" der keine Verwicklung an einem Krieg darstellt und an dem nur eine kleine Zahl von Armee-Angehörigen beteiligt ist, gilt das Plazet der Volksvertreter unter Umständen schon innerhalb einer Woche automatisch als erteilt: Aber nur dann, wenn in dieser Zeit keine Fraktion eine Debatte dazu im Bundestag beantragt. Prinzipiell - und das steht über allen juristischen Details - kann das Parlament jederzeit jeden Einsatz der Bundeswehr überall auf der Welt durch Widerruf beenden.
Tobias von Heymann arbeitet als freier Journalist in Berlin.