Von glücklichen Umständen kann man allerdings nicht sprechen, wenn man bedenkt, dass es sich dabei lediglich um eine makabre Form der seit Monaten währenden Kampagne gegen den Schriftsteller in seinem Land handelt. Pamuk hatte Anfang des Jahres in einem Interview mit einer schweizerischen Zeitung den Mord an Armeniern und Kurden verurteilt; bis heute haben sich die Wogen nicht geglättet.
Enttäuschte Fans, Intellektuelle und Journalisten vermuten hinter dieser Äußerung Pamuks eine Gier nach Preisen im Ausland; gleichzeitig legen sie ihm nahe, über sein Land "positiv zu reden", weil er eben aufgrund seiner internationalen Preise eine der wenigen prominenten Stimmen aus der Türkei ist, die in ausländischen Medien wahrgenommen werden.
Die allgemeine Empörung gipfelte in den wüsten Beschimpfungen sowie Drohungen der nationalistischen Kreise und nicht zuletzt in juristischen Maßregelungen, die den weltbekannten Schriftsteller, dessen Werke bislang in 34 Sprachen übersetzt wurden, drei Jahre hinter Gitter bringen könnten. Die Staatsanwaltschaft begründet ihre Anklage mit "öffentlicher Herabsetzung des Türkentums". Der erste Prozesstag ist auf den 16. November anberaumt.
Aber zunächst einmal nimmt Orhan Pamuk am 23. Oktober in der Paulskirche in Frankfurt den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegen. Der Stiftungsrat legt seiner Entscheidung die Tatsache zugrunde, dass Pamuk "für Menschen- und Minderheitenrechte eintritt und immer wieder Stellung zu den politischen Problemen seines Landes bezieht". Dass man nicht nur wegen des literarischen Könnens, sondern auch wegen seiner ethischen Haltung belohnt wird, sei ihm bewusst, sagt Orhan Pamuk in Interviews hinsichtlich des Frankfurter Friedenspreises.
Der Schriftsteller, dessen erstes Buch 1982 in der Türkei veröffentlicht wurde, mischt sich in die politischen Geschehnisse in seinem Land erst seit den 90er- Jahren ein. Damals begann er, Aufrufe und Petitionen zu unterzeichnen, weil "die Verletzung der Menschenrechte, das Verlangen, den richtigen, ,den guten' Leuten zu helfen, die das Land demokratisieren wollten - all das ihn der Politik in die Arme trieb".
Sein jüngstes Werk "Schnee", das auf Deutsch im Hanser Verlag erschienen ist, ist das erste Buch, das von ihm selbst als "politisch" definiert wird. In seinen früheren Romanen galten seine Leidenschaft und unerschöpfliche Recherchen dem Osmanischen Reich und dessen Hauptstadt Istanbul. Dabei interessiere ihn die osmanische Literatur und Kultur viel mehr als die osmanische Geschichte, bemerkt er. Die aus diesem Hang resultierende Fertigkeit des Schriftstellers bildet die Grundlage der Ehrung des Stiftungsrats, der Pamuk einen Dichter nennt, "der wie kein anderer unserer Zeit den historischen Spuren des Westens im Osten und des Ostens im Westen nachgeht".
"Schnee" - von "New York Times" als das beste ausländische Buch im Jahr 2004 bezeichnet - erschien 2002 in der Türkei. Es handelt von Konflikten zwischen den türkischen und kurdischen Nationalis-ten, Fanatisch-Religiösen mit Laizisten in der ostanatolischen Provinz Kars. Pamuk legt auf den Gesichtspunkt Wert, dass er beim Schreiben des Romans eine besondere Vorsicht walten ließ, um Politik und politisches Statement, gar politische Propaganda auseinander zu halten. Dass daraus ein neuer Typus des politischen Romans entstand, beruht teilweise auf der spezifischen Position des Autors, aus der er das Leiden derer betrachtet, deren Auffassung des politischen Handelns mit Plattitüden eingeschränkt wird. Mit berechtigtem Stolz weist Pamuk darauf hin, dass er bei der Darstellung der gegenwärtigen politischen Landschaft der Türkei in seinem Roman ohne diese Plattitüden auskommt.
Dass ihm in der Türkei ständig vorgeworfen wurde, auf die Vergangenheit fixiert zu sein, spielte sicherlich dabei eine Rolle, dass sich Orhan Pamuk dazu entschloss, seinen "ersten und letzten politischen Roman" zu schreiben. Ob er sich daran hält? Man macht es ihm dabei nicht leicht.