Genau das wollte die fiktive ZDF-Serie "Kanzleramt" zeigen. Sie erzählte aus dem Leben des Kanzlers und seinem engen Umfeld: dem Kanzleramt. Es sollte ein realistischer und unterhaltsamer Einblick in die Regierungspraxis sein. In der ersten Folge zum Beispiel gerät die TV-Bundesregierung unter Druck, weil der Forschungsminister auf einmal in Pressekonferenzen Aussagen macht, die der Linie des Kabinetts widersprechen. Außerdem prügelt er sich auf offener Straße mit einem Bürger, der Minister wird zum Risiko. Was ist da los? Wie soll das Kanzleramt dazu Stellung beziehen? Zumal der Kanzler auf Dienstreise in Neuseeland ist. Die Mitarbeiter werden hektisch, nur der Kanzleramtschef bleibt ruhig. "Ich werde dafür bezahlt, Druck auszuhalten", sagt er in einer Szene.
"Politiker auf diesem Niveau arbeiten unter einem wahnsinnigen Druck und Stress. Spitzenpolitiker müssen Nerven wie Drahtseile haben", sagt Ulrich Lenze, der "Kanzleramt"-Produzent. "Der Bürger auf der Straße weiß gar nicht, was für ein mörderischer Job das ist." Ein Job, der ebenso verführerisch sein kann, gibt es doch die Droge Macht und Wichtigkeit. Auch das wurde gezeigt.
Im Frühjahr 2005 startete die Serie "Kanzleramt". Die Idee, einen Blick hinter die Kulissen der Macht zu zeigen, wurde von der Presse hoch gelobt. Zwölf Folgen später dann die Ernüchterung. Die Quoten stimmten nicht, aus der geplanten Fortsetzung wird nichts. Die Macher hatten viel investiert, auf 2.000 Quadratmetern extra ein Kanzleramt nachgebaut, 700.000 Euro soll das Studio gekostet haben. Bekannte Schauspieler wurden engagiert, preisgekrönte Autoren schrieben die Drehbücher.
Im Mittelpunkt der Serie stand Kanzler Andreas Weyer, er ist verwitwet und hat eine halbwüchsige Tochter, die ihre Ansprüche stellt. Gespielt wurde der TV-Kanzler von Klaus J. Behrendt, den kennen die Zuschauer vor allem als Kölner "Tatort"-Kommissar, dort ist er ein lockerer Kumpeltyp. Als Kanzler Weyer trägt Behrendt einen schicken Anzug, hat zurückgekämmte Haare und eine randlose Brille. In der Rolle ist er irgendwie steif, farblos. Müssen Politiker so sein?
In "Kanzleramt" wurden auch Personen gezeigt, die normalerweise weitgehend im Hintergrund agieren: Der Regierungssprecher, der Redenschreiber, die Büroleiterin und vor allem der Kanzleramtschef, gespielt von Robert Atzorn. Sie agieren zwischen dem eigenen Karrieredenken, den privaten Wünschen und ihrer Verantwortung für die Gesellschaft. "Unsere erfundenen Politiker sind keine perfekten Menschen - sie haben erkennbare Macken, Schwächen und sind zur niedrigen Intrige fähig", sagte Autor und Regisseur Hans-Christoph Blumenberg vor dem Serienstart. Wie die echten Politiker.
Sowohl Blumenberg als auch Produzent Lenze betonen, dass es rein fiktive Geschichten sind. Die Handlung jedoch soll heutig, glaubhaft und aktuell wirken, damit der Zuschauer sie als spannend empfindet. Die Probleme sind durchaus realistisch: Ärger wegen der anstehenden Tabaksteuererhöhung, ein Geiseldrama in Südamerika, Streit mit der Opposition. 4,85 Millionen Zuschauer wollten die erste Folge sehen. Das war gut. Dann gingen die Quoten bergab, am Ende schauten anderthalb Millionen zu, wie der Kanzler an einer Tropenkrankheit leidet und seine Mitarbeiter um sein Leben bangen. Für die Primetime, 20.15 Uhr im ZDF, war das zu wenig.
Warum kam die Serie beim Fernsehpublikum nicht an? "Der Hauptgrund lag sicher darin, dass die Serie just in dem Moment auf die Zuschauer stieß, als sich deren große Mehrheit von der gegenwärtigen Politik am heftigsten frustriert und überfordert fühlte", sagt Produzent Lenze heute. "Man war über fehlende Arbeitsplätze, Löcher in der Rentenkasse oder Steuerfragen, beziehungsweise die Diskussion darüber in der Realität, offensichtlich so angenervt, dass man die gleichen oder ähnlichen Themen nicht auch noch als intelligente Fiktion sehen wollte."
Vinzenz Hediger, Professor für Film- und Medienwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum, sieht da noch andere Gründe. Der Serie habe ein Look gefehlt, der sie attraktiv gemacht hätte. "Es fehlte ein klares Konzept, eine Idee, die sich auf Anhieb mitteilt und deutlich macht, weshalb es interessant ist, die Geschicke eines fiktiven Kanzlers mit zu verfolgen", so der Schweizer Medienwissenschaftler. "Vielleicht hätte die Serie besser funktioniert, wenn Götz George den Kanzler gegeben hätte. Das Konzept hätte dann etwa lauten können: Schimanski rettet den Sozialstaat oder so ähnlich."
Vielleicht gibt es in Deutschland aber auch einfach kein Bedürfnis nach imaginären Politikern. Zwar lief in der ARD 2004 die Liebeskomödie "Küss mich, Kanzler!" und Anfang 2005 die fiktionale Geschichte "Spiele der Macht - 11011 Berlin", dennoch hat Politik als Sujet fiktionaler Filme in Deutschland wenig Tradition. Anders ist das in den USA. Dort ist das Staatsoberhaupt als Filmheld längst etabliert. Seit sieben Jahren läuft dort die Serie "West Wing", mit der auch die ZDF-Serie verglichen wurde.
In den USA funktioniert Politik anders und wird somit auch von der Filmbranche anders inszeniert. Dort gibt es den Kampf zweier Gegner, das klassische Duell - mit einem Verlierer und einem Sieger. Außerdem sind Präsidenten wie John F. Kennedy oder Bill Clinton ein anderer Typus Politiker, sie wecken mehr Emotionen. "Einmal abgesehen von Willy Brandt, mangelt es deutschen Politikern an Charisma und Starpotential", findet Medienwissenschaftler Vinzenz Hediger. "Bei deutschen Politikern herrscht ein Pathos der Nüchternheit. Das liegt natürlich auch am politischen System." Und an der deutschen Vergangenheit.
Die bestimmt auch heute noch die Verfilmung politischer Sujets. Zwei Themen bringen dabei stets gute Quoten: die Wendezeit und Hitler. Im Kino sind es "Der Untergang" mit Bruno Ganz als Adolf Hitler oder die Wende-Komödie "Good bye, Lenin!", die die Kinokassen klingeln lassen. Im Fernsehen laufen zahlreiche Dokumentationen und Doku-Dramen. Seien es Heinrich Breloers "Speer und Er", der Wende-Film "Deutschlandspiel" oder "Hitlers Helfer" und "Hitlers Frauen".
Die meisten Produktionen stammen von Guido Knopp, dem Leiter der ZDF-Redaktion "Zeitgeschichte". Die einen loben ihn als bekanntesten TV-Historiker Deutschlands, andere kritisieren seinen Hang zur Emotionalisierung - besonders in den Doku-Dramen: Dramatische Musik, schnell geschnittene Szenen, kurze Statements von Zeitzeugen werden gemischt mit Archivmaterial und inszenierten Spielszenen. Historie wird zum TV-Ereignis, Schauspieler geben Politikern ein neues Gesicht.
Knapp 4,5 Millionen Zuschauer sahen "Die letzte Schlacht"; das Doku-Drama erzählt von der Schlacht um Berlin im April 1945. 60 Jahre nach Kriegsende ist die Erinnerungsmaschinerie so richtig in Fahrt gekommen. Weitere Produktionen werden folgen, Jahrestage gibt es schließlich genug. So dominiert im alltäglichen Filmgeschäft noch immer der alte Diktator das Politikerbild, dagegen haben fiktive Politiker von heute keine Chance. Der Schweizer Medienwissenschaftler Hediger kennt den Grund: "Warum soll man einen Kanzler erfinden oder Dokumentationen zu anderen Themen machen, wenn man auch den Hitler hat."
Alva Gehrmann arbeitet als freie Journalistin in Berlin.