Das Parlament: Was hat Sie gereizt, das Drehbuch für den Film "Sophie Scholl - die letzten Tage" zu schreiben?
Fred Breinersdorfer: Der historische Stoff - und diese junge Frau mit einem Geheimnis. Das Geheimnis der Sophie Scholl ist: Woher hat sie diese enorme Kraft genommen? Was hat sie so stark gemacht, diesen Weg zu gehen? Es war sehr spannend, ihren Werdegang komprimiert auf fünf Tage nachzuzeichnen, von der Studentin, die vorm Radio groovt, bis hin zu der Frau, die dann aufrecht dem Henker gegenüber tritt.
Das Parlament: Woher hatte Sophie Scholl Ihrer Ansicht nach die Kraft und den Mut?
Fred Breinersdorfer: Eine wesentliche Rolle hat sicherlich die Herkunft aus dem liberal-bürgerlichen Elternhaus gespielt. Auch ihr Glaube war ein wesentlicher Faktor. Dieser protestantisch-schwäbisch-liberale Typ - ich habe lange in Schwaben gelebt - kann extrem konsequent für Überzeugungen eintreten. Darüber hinaus spielt die fast ans Erotische grenzende Bruderliebe eine Rolle und das tatsächlich sehr erotische Verhältnis zu ihrem Verlobten Fritz Hartnagel. Sie war eine Frau, die sehr früh sehr reif war, und ein hohes Maß an Kreativität hatte. Ich bin fest davon überzeugt, dass bei solch kreativen Menschen die Sensibilität für Probleme um sie herum höher ist und auch der Druck, daran etwas zu ändern. Natürlich hat auch der intellektuelle, konspirative Zirkel um Kurt Huber an der Universität München eine stark prägende Wirkung auf Sophie Scholl gehabt.
Das Parlament: Wie ist die Idee entstanden, den Film zu machen?
Fred Breinersdorfer: Bei einer Verabredung zum Essen von Marc Rothemund und mir am 60. Jahrestag der Hinrichtung von Sophie Scholl. Rothemund ist rund 20 Jahre jünger als ich - da haben sich zwei Generationen das Thema nochmal vorgenommen. Für meine Generation war das Thema eigentlich abgearbeitet, die Straßen und Plätze waren benannt, man hatte Gedenkstätten. Die neue Generation richtet nun den Blick auf die menschlichen Komponenten. Die Schauspielerin Lena Stolze hat einmal geantwortet, als sie nach dem Unterschied zwischen dem Film "Die weiße Rose" und unserem gefragt wurde, solche Emotionen, die Figuren so nah an sich ran zu lassen, seien damals gar nicht "erlaubt" gewesen. Die Emotionen beim Publikum zu wecken, war dann auch ein Teil der Herausforderung für uns.
Das Parlament: Ist Sophie Scholl eine Heldin für Sie?
Fred Breinersdorfer: Sophie Scholl ist die einzige deutsche Heldin, die wir haben. Darunter verstehe ich jemanden, der gegen alle Widerstände bis zum Ende für seine Überzeugungen eintritt. Es fallen mir keine anderen Beispiele ein in der deutschen Geschichte.
Das Parlament: Könnte das auch daran liegen, dass man sich in Deutschland aus einem Mangel an Nationalstolz - auch wegen der nationalsozialistischen Vergangenheit - nicht traut, nach solchen Beispielen zu suchen? In anderen Ländern gibt es mehr Filme über die eigenen Heldinnen und Helden.
Fred Breinersdorfer: Es hängt sicher auch mit unserer Vergangenheit zusammen, dass wir in Deutschland glücklicherweise nicht so nationalfixiert sind. Ich sehe das als positiven, entspannten Zustand. Wenn ich in ein Land wie die USA reise, wo an allen Ecken und Enden die Nationalfahne hängt, habe ich immer den Verdacht, dass man dort ein Zusammengehörigkeitsgefühl beschwören muss, das eigentlich nicht wirklich existiert. Ich finde es sehr angenehm, dass hier die deutsche Fahne nur am Reichstag weht, wo sie hingehört, und nicht vor jedem Blumenladen.
Das Parlament: Wären aber noch mehr Identifikationsfiguren wie Sophie Scholl nicht auch ein gutes Mittel, die Bevölkerung der Bundesrepublik - also auch die, die ausländischstämmig sind - zusammenzuschweißen?
Fred Breinersdorfer: Doch, das wäre eine Möglichkeit. Aber mit einem Film kann man nur einen kleinen Schritt machen. Aber immerhin. Ich bemerke auch gerade bei jungen Frauen, die den Film sehen, dass sie stolz auf das Vorbild Sophie Scholl sind.
Das Parlament: Wie reagieren die Zuschauer auf den Film?
Fred Breinersdorfer: Jungs - besonders ganz junge - können manchmal nicht mit dem emotionalen Druck umgehen. Die fangen dann an herumzualbern. Die ganz jungen Mädchen schreiben SMS in der Vorstellung, um sich zu entziehen. Aber so ungefähr ab 17, 18 Jahren ist die Anteilnahme extrem hoch und hat nach oben kein Limit. Ich habe kaum Leute erlebt, die nicht zu Tränen gerührt waren.
Das Parlament: Sind das die Reaktionen, die Sie sich gewünscht haben?
Fred Breinersdorfer: Wenn man einen Film macht, möchte man immer Emotionen erzeugen. Es gibt natürlich auch einige Leute, die sagen, ich halte das emotional nicht aus, und deswegen nicht in den Film gehen. Ich selbst weiß auch nicht, ob ich mir den Film im Kino angeschaut hätte, wenn ich nicht an seiner Entstehung beteiligt gewesen wäre, eher noch auf DVD. Wahrscheinlich hätte ich mich vor den Emotionen und den Tränen im Kino gedrückt. Umso wichtiger ist die sehr gute Resonanz, die unser Film bei Schülern und Studenten hat. Fast die Hälfte der über eine Million Zuschauer sind jünger als 25 Jahre.
Das Parlament: Wie kommt der Film im Ausland an?
Fred Breinersdorfer: Sehr gut, wir sind mit ihm um die halbe Welt gereist. Sehr interessant waren die Reaktionen in Israel. Da hat man gleich gefragt, ob wir die These aufstellen wollen, dass es auch "den guten Deutschen" gab. Wir haben gesagt, dass jeder die Naziverbrechen kennt und weiß, dass der Widerstand in Deutschland unbedeutend war. Aber er hat existiert. Wenn man Geschichte betrachtet, muss man alle Fakten sehen. Das ist in hohem Maße respektiert worden. Bei allen Zuschauern, die mit uns gesprochen haben - und es waren sehr viele - ist der Film als ein positives Zeichen für einen aus israelischer Sicht erwünschten Zuwachs an nationalem Selbstverständnis in Deutschland gesehen worden.
Das Parlament: Hatten Sie idealistische Motive, den Film zumachen?
Fred Breinersdorfer: Am Anfang standen nur die idealistischen Motive. Wir wollten einen Film mit kleinem Budget über eine Frau machen, die unprätentiös war und zur Heldin geworden ist. Das Thema lautete abstrakter formuliert "staatlicher Terror und Zivilcourage". Das Thema ist geblieben und mit dem Interesse an dem Stoff bei unseren Partnern ist der Film "größer" geworden. Aber dass er so ein Welterfolg wird, nationale und internationale Preise erhält und weltweit in 33 Territorien läuft, hätten wir anfangs nie gedacht.
Das Parlament: Glauben Sie, dass es bei Sophie Scholl einen Punkt gab, an dem sie gedacht hat, jetzt muss ich sowieso sterben, jetzt kann ich - auch im Verhör gegenüber der Gestapo - alles riskieren?
Fred Breinersdorfer: Ich glaube nicht, dass es einen Punkt gegeben hat, an dem Sophie Scholl gedacht hat, jetzt ist alles egal. Ihre Courage war immer begleitet von Hoffnung. Die erste Hoffnungsstation war, die Amerikaner kommen: Bis die Anklage zusammengebracht ist, stehen sie vor der Tür und öffnen die Tore des Gefängnisses. Die zweite Hoffnung war, dass das Verfahren allein so lange dauert, bis der Krieg zu Ende ist. Die dritte Hoffnung war, dass sie als Frau nicht zum Tode verurteilt wird. Der letzte Schimmer Hoffnung war das Gerücht, jeder habe 99 Tage bis zur Hinrichtung. Erst als sie in die Todeszelle geführt wurde, war ihr klar, dass sie sterben musste.
Das Parlament: Was ist für Sie die politische Botschaft des Films?
Fred Breinersdorfer: Die Botschaft ist, dass jeder Widerstand leisten soll und muss, wenn das Gewissen es ihm gebietet. Die wenigsten Deutschen wissen, dass das Grundgesetz ausdrücklich ein Widerstandsrecht enthält. Widerstand muss man gegebenenfalls politisch wie privat leisten. Daraus aber die Forderung abzuleiten, dass jeder unbedingt bis zur letzten Konsequenz Courage zeigen muss, wie Sophie Scholl, finde ich heikel. Denn Widerstand bleibt immer eine persönliche Entscheidung. Allerdings zeigt unser Film ein extremes Vorbild dafür.
Das Parlament: Herr Breinersdorfer, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Ulrike Schuler