Das Parlament
In all Ihren Filmen besetzen Frauen die Hauptrolle. In "Ich bin die andere", Ihrem 20. Film, der nächstes Jahr rauskommt, wird es auch so sein. Machen Sie Frauenfilme?
Margarethe von Trotta Auch Männer sind wichtig in meinen Filmen - aber nicht in der Hauptrolle, das ist richtig. Tatsächlich ziehen mich Geschichten über Frauen mehr an. Warum es so ist, müsste man einen Psychoanalytiker fragen. Ich sage nicht, dass ich eine Feministin bin und nur an Frauen denke. Es ist kein Programm, es widerfährt mir, es ist mein Schicksal. Ein Journalist hat mal zu Recht gesagt, alle meine Filme seien Gefängnis-Filme. Ich drehe immer wieder Filme über Frauen und es ist mein Gefängnis - aber ein ganz angenehmes.
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Löst der Begriff Frauenfilm also keine Allergie bei Ihnen aus?
Margarethe von Trotta Ich weiß, dass viele Regisseurinnen, gerade in Frankreich, wo ich wohne, gar nichts damit zu tun haben wollen. Im Grunde bin ich auch allergisch - aber ich bin es erst geworden. Diesen Begriff haben wir 1978 begründet, zusammen mit Elke Sander, als mein erster Film, "Das Erwachen der Christa Klages", in Berlin lief. Wir hatten plötzlich einen großen Erfolg, weil wir Frauen waren. Mit diesem Begriff wollten wir darauf aufmerksam machen, dass es Frauen gibt, die Filme genauso gut wie Männer machen. Deswegen wollten wir, dass Frauen 50 Prozent der Subventionen und der Gremienplätze erobern. Es war ein Kampfbegriff. Dann wurde er zu einem Ghetto. Das war natürlich nicht beabsichtigt. Von da an haben wir auf den Begriff eher mit Misstrauen und Abwehr reagiert.
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Haben Ihre Filme einen weiblichen Touch? Könnte ein Mann diese Geschichten auch gewählt und die Psychologie der Frauen so präzise gezeigt haben?
Margarethe von Trotta Mir wurde oft gesagt, das könne nur eine Frau machen. Aber es gibt schon Männer, die auch ein Gespür für Frauen haben. Mein großer Meister, Ingmar Bergman, hat mir selber gesagt, er fühle wie eine Frau. Insofern kann ich nicht sagen, ein Mann könnte solche Filme nicht machen. Dennoch empfinde ich es nicht als Abwertung, wenn mir jemand so etwas sagt.
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Ihr erster großer Erfolg, "Die Bleierne Zeit", kam 1981 heraus und handelt von der RAF. Ende der 90er-Jahre gab es auch eine Reihe von Filmen zu diesem Thema: "Die Stille nach dem Schuss", "Blackbox BRD", "Baader" - alle von Männern gemacht. Gehen Sie als Frau anders mit der politischen Geschichte um?
Margarethe von Trotta Ich habe diesen Film relativ schnell nach dem Tod von Gudrun Ensslin gemacht, die anderen Filme kommen 20 Jahre später. Darin liegt der Hauptunterschied - und nicht in der Tatsache, dass ich eine Frau bin. Ich war bei der Beerdigung von Gudrun Ensslin und ich habe mehrere Tage mit ihrer Schwester Christiane verbracht. Sie hat mir ihre Geschichte erzählt. Es waren Bekenntnisse. Erst viel später habe ich gedacht, dass es auch zur deutschen Geschichte gehört, obwohl es nur am Rande der Geschichte der RAF stattfand. Die Begegnung mit Christiane hat mich auf diese Idee gebracht.
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Die kleine Geschichte in der großen Geschichte - ist das nicht auch ein Klischee über Frauenfilme?
Margarethe von Trotta Natürlich fange ich damit an, was mich an der Geschichte selber interessiert. Außerdem drehe ich keine Dokumentarfilme. In "Die bleierne Zeit" geht es um meine Generation und es gibt zahlreiche Momente in der Geschichte von Christiane und Gudrun Ensslin, die ich selber erlebt habe. Das Autobiografische fließt immer wieder rein.
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Auch in Ihrem Film "Rosa Luxemburg" geht es zwar auch um den politischen Hintergrund dieser berühmten Frau, aber in erster Linie um private Ereignisse. Gibt es eine weibliche Art, mit Politik umzugehen?
Margarethe von Trotta Warum bin ich bei meinem Film über Rosa Luxemburg so interessiert an der Frau und nicht nur an der Politikerin? Ein Mann - und besonders vielleicht einer aus der DDR - hätte nur die Politik gezeigt und das Private ganz weggelassen. Ich bin ein Mensch, der sich nur komplett interessiert. Ich beobachte, wie jemand in der Öffentlichkeit und im Privaten handelt. Oft sind Männer widersprüchlich. Sie behaupten, verlangen und fordern in der Öffentlichkeit, aber privat leben sie auf eine ganz andere Weise. Bei Rosa Luxemburg war beides wirklich kongruent. Was sie politisch verlangte, hat sie von sich selber verlangt. Ich bin am Privatleben interessiert, nicht weil ich Soap-Histörchen daraus holen will, sondern wegen der Balance zwischen Außen- und Innenwelt.
In meinem Film "Jahrestage" geht es darum, dass jedes Individuum in eine bestimmte historische Zeit hineingeboren wird. Es kann eine friedvolle oder eine grässliche Zeit sein, wie bei mir am Ende des Nationalsozialismus. Zum Glück bin ich relativ gut davongekommen. Aber wie gehen Menschen mit einer solch grässlichen Zeit um? Es gibt Menschen, die resignieren, und andere, die rebellieren. Mich interessieren die Rebellen.
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Stichwort Rebellion. Wie blicken Sie auf die 70erJahre zurück, als Frauen anfingen, Filme zu drehen? Hat die damalige Frauenbewegung Filmemacherinnen anders getragen?
Margarethe von Trotta Heute ist der Feminismus kein Thema mehr. Junge Regisseurinnen drehen Filme mit einer viel größeren Selbstverständlichkeit als meine Generation. Elke Sander, Helma Sanders-Brahms, Ulla Stöckel, Jutta Brückner - wir waren damals eine ganze Gruppe, die gekämpft hat. Wir haben die Bedingungen geschaffen, die heute Frauen haben, um Filme zu machen. Zwar muss jede für sich heute immer noch kämpfen, um Gelder zu kriegen. Aber es ist heute anerkannt, dass Frauen Filme machen können.
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War das Gefühl einer Frauengemeinschaft früher stärker?
Margarethe von Trotta Sicher. Damals haben wir uns zum Beispiel in München einmal im Monat getroffen. Wir haben darüber nachgedacht, was wir anders machen sollten, damit es im Bewusstsein der Leute ankommt, dass wir Filme machen können. Ich glaube nicht, dass junge Frauen sich heute treffen. Diese Solidarität vermisse ich ein bisschen. Unter uns gab es nicht so einen Neid, wir hatten eine gemeinsame Aufgabe. Heute habe ich eher das Gefühl, dass jede eine Einzelkämpferin ist und mit Misstrauen oder sogar mit Missgunst die anderen Frauen beobachtet, die Erfolg haben. Ich freue mich heute immer noch über jede Frau, die Erfolg hat - im deutschen Film oder überhaupt. Dieses Gefühl der Freude für andere sehe ich nicht bei jüngeren Frauen.
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Verfolgen Sie mit einem besonderen Augenmerk, was junge Regisseurinnen heute machen?
Margarethe von Trotta Ich mache den Unterschied nicht mehr so stark zwischen Männern und Frauen. Mich interessiert, was entsteht. Entsteht überhaupt etwas? Ist überhaupt eine Kraft da, ein Wille, eine Energie? Gibt es etwas, was gesagt werden muss? Oder wollen sie nur Filme machen, weil Film etwas Tolles ist, auch wenn sie nichts zu sagen haben?
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Sie gehören zu den wenigen Frauen, die weltweit so große Budgets für ihre Filme bekommen. Wie erklären Sie sich, dass Frauen immer noch kleinere Budgets als Männer erhalten?
Margarethe von Trotta So groß sind meine Budgets auch nicht. Ich habe immer das Gefühl, ich mache meine Filme für weniger Geld und in weniger Zeit, als ein Mann es machen würde. Helma Sanders-Brahms hat mal gesagt, wir müssen immer noch gute Kuchen mit weniger Ingredienzen backen. Aber das gelingt uns trotzdem. Lange Zeit war ich Schauspielerin und ich war mit dem Wunsch konfrontiert, Filme zu machen. Als ich es geschafft hatte, war ich so froh, dass ich dem Schicksal unendlich dankbar war. Eine solche innere Haltung ist schlecht, wenn man Geld fordern will. Es ist schon so schön, dass man es machen darf - mit dem wenigen Geld gibt man sich dann auch zufrieden.
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Frau von Trotta, wir bedanken uns für das Gespräch.
Das Interview führte Geneviève Hesse