Auf den ersten Blick wirkt Banikoara im äußersten Norden der Republik Bénin wie ein verschlafener Provinzort, der seine Zukunft längst hinter sich hat. Wer genauer hinsieht, stellt jedoch fest, dass in der rund 133.000 Einwohner zählenden Stadt mitten in der Baumsavanne nahe der Grenze zu Burkina Faso an allen Ecken und Enden Neubauten entstehen. Verglichen mit anderen Städten des rück-ständigen Nordens verdienen die Bewohner ordentlich Geld, und das verdanken sie dem florierenden Anbau von Baumwolle, die in den Entkörnungsfabriken des Umlandes für den Export weiterverarbeitet wird.
Bénin mit seinen rund 7,4 Millionen Einwohnern belegt in Westafrika nach Mali und der Elfenbeinküste den dritten Platz in der Produktion des "weißen Goldes". Mit der Rekordernte von 420.000 Tonnen Rohbaumwolle hat das Land in diesem Jahr die erwartete Menge von 350.000 Tonnen deutlich überschritten.
Wie das Landwirtschaftsministerium in der Hauptstadt Porto Novo meldete, stammten annähernd 75 Prozent alleine aus der Gegend um Banikoara. Das staatlich angepeilte Ziel von mindestens einer halben Million Tonnen konnte zwar nicht erreicht werden, aber immerhin war man mit dem diesjährigen Ergebnis nicht wieder hinter die erwartete Erntemenge zurückgefallen, wie das in den vergangenen sieben Jahren der Fall war.
Da jedoch der Weltmarktpreis für Baumwolle sinkt und die Aufkäufer ihre Zahlungen verzögern, herrscht bei vielen Produzenten Ebbe in der Haushaltskasse. Bénin steht damit nicht alleine: Auch die Nachbarländer haben auf das weiße Gold gesetzt und müssen feststellen, dass die Einkünfte schrumpfen.
Begonnen hat der Baumwollboom in den späten 60er-Jahren. "Damals musste die Regierung harte Überzeugungsarbeit leisten, denn die Bauern wollten nicht glauben, dass ihnen der weiße Rohstoff Wohlstand bringen würde", erinnert sich Alassane Seidou, Bürgermeister der Stadt Kandi. Aber die Aussicht, zu einem bestimmten Zeitpunkt eine zuvor vereinbarte Summe zu erhalten, sei dann doch zu verlockend gewesen, fügt er hinzu.
Da das weiße Gold keinen Schatten duldet, haben die Bauern Wälder abgeholzt, um auf den gewonnenen Flächen Baumwolle anzubauen. Für die Ernährung wichtige Kulturen, wie Mais oder Erdnüsse, wurden vernachlässigt. Während die Einkünfte aus dem Verkauf der Baumwolle zurückgehen, leiden die Einheimischen deswegen zunehmend unter Mangelernährung, zeitweise herrscht Hunger.
Nach wissenschaftlicher Einschätzung sind die Galerie- und Savannenwälder des Nordostens noch verhältnismäßig intakt, eine Ausweitung der Baumwollmonokulturen könnte jedoch verheerende Folgen heraufbeschwören: Weiter im Norden verläuft
eine fünf Kilometer breite Pufferzone, die sich wie ein Schutzwall an den "Parc National du W" anschmiegt. Dieser Park, dessen Anteil in Niger auf der Liste des Unesco-Weltnaturerbes steht, bildet ein ökologisches Kernstück in der westafrikanischen Savannen- und Feuchtgebietlandschaft. Würde er zerstört, verlöre die ganze Region ihren natürlichen Schutzschild gegen die Sahara.
Ob es für die Bewohner dieses Landesteils ein Leben nach der Baumwolle gibt, versuchen regionale Nichtregierungsorganisationen mit Hilfe der Deutschen Welthungerhilfe (DWHH) gegenwärtig herauszufinden. Die dominierende Baumwollproduktion soll zugunsten anderer landwirtschaftlicher Erzeugnisse reduziert werden. Und so wurden in 50 ausgewählten Dörfern mit rund 50.000 Einwohnern Grundlagen gelegt für den Anbau von Gemüse, Maniok und Früchten, vor allem Mangos und Goyaven. Jedes der betreuten Dörfer musste selbst herausfinden, was für seine Bewohner vorrangig war, und damit stießen die Initiatoren auf das erste Hindernis: "In den meisten Ortschaften sind die Menschen nicht daran gewöhnt, ihre Wünsche und Forderungen zum Ausdruck zu bringen, dort entscheidet einzig und allein die Dorfelite, an deren Spitze der Chef steht", berichtet der beninische Soziologe Andemi Baguiri von der Nichtregierungsorganisation GERED.
Deshalb mussten die GERED-Mitarbeiter beharrlich Überzeugungsarbeit leisten. "Inzwischen bleiben die Menschen nicht mehr länger stumm und die Dorfelite hört ihnen zu", bekräftigt Baguiri. Im Dorf Bankro, das 320 Einwohner zählt, entschied man sich für eine moderne Brunnenanlage, die den hygienischen Anforderungen entspricht und bewässert damit auch Bananenhaine und Gemüsekulturen. Zehn Prozent der Baukosten musste das Dorf beisteuern, zudem steht das Dorfkomitee in der Pflicht, für den Unterhalt aufzukommen.
Gbèssakas Einwohner hingegen räumen der Wiederaufforstung den Vorrang ein. Das Dorf liegt im Einzugsbereich eines Staatswaldes, der wirtschaftlich genutzt werden darf. Dort betreut der forstwirtschaftlich geschulte Animateur Ismael Garba eine Baumschule, in der Nutzholz- und Fruchtbaumsetzlinge bereitgehalten werden. Ismael Garba demonstriert, wie die Jungbäume in ein mit Kuhdung und Stroh gefülltes Loch gesetzt und dann während der Wachstumsphase fachgerecht gepflegt werden.
Teak- und Caïlcédras-Bäume, die für Bauholz benötigt werden, befinden sich in seinem Angebot, aber auch Anacardier, der Nüsse liefert, sowie verschiedene fruchttragende Bäume. Während die Beratung gratis ist, müssen die Setzlinge bezahlt werden. Dazu nimmt man die Einkünfte aus dem Baumwollverkauf; sie bewegen sich im Schnitt pro Kopf bei umgerechnet rund 400 Euro. Nicht selten geben Männer bis zu 20 Prozent davon für neue Bäume aus, "allmählich wächst auf diese Weise ein ökonomisches Gegengewicht zur Baumwolle", konstatiert Garba. Allerdings würden auch noch viele Bewohner zögern, denn um beispielsweise nach der Baumpflanzung Cashew-Nüsse zu ernten, müsse man mindestens vier Jahre warten. "Die Leute wollen wissen, wovon sie in dieser Zeit leben sollen."
Im benachbarten Dorf Thya setzt man auf Honig; zehn Männer ließen sich zu Bienenzüchtern ausbilden, aus ihren Stöcken können sie zweimal pro Jahr Honig ernten, wenn alles gut läuft, pro Züchter bis zu 30 Liter. Die süße Masse ist in Bénin Mangelware.
Nicht nur sesshafte Familien beteiligen sich an den gemeinsamen Bemühungen. Im Nachbardorf Sinwan hat man auch einige Familien aus der nomadisierenden Peulh-Ethnie in das Projekt eingebunden. Nach wie vor unternimmt ein Teil dieser Ethnie, die auch in Niger und in Burkina Faso lebt, mit dem Viehbestand jedes Jahr ausgedehnte Wanderungen, um Stellen mit genügend Wasservorrat aufzusuchen. Dabei folgen die Hirten, meist junge ledige Männer, uralten Pfaden und kümmern sich herzlich wenig um nationale Grenzen: Ihre Heimat ist dort, wo sie ihre Rinder tränken können.
Bisweilen führt ihre Wanderschaft durch Gebiete, die inzwischen als Baumwollanbauflächen dienen und damit ziehen die Peulh den Unmut der Sesshaften auf sich. Dabei kommt es zu Zusammenstößen, bei denen auch bereits Schusswaffen eingesetzt wurden. Dank zusätzlicher Brunnenanlagen in der ganzen Region haben sich die Wogen Andemi Baguiris Worten zufolge inzwischen etwas geglättert.
Um das Verhältnis weiter zu normalisieren, versuchen die einheimischen DWHH-Partner, dem Volk der Peulhs in Sinwan die Sesshaftigkeit schmackhaft zu machen. Deshalb errichtete man ein "Village Peulh" und daneben auch gleich noch ein eingezäuntes Gemüsefeld. Mit kräftiger Stimme erklärt Animatrice Madeleine den prächtig gekleideten, Silberschmuck tragenden Frauen, die höflich lauschen, die Technik des Gemüseanbaus in diesen Breitengraden. Inzwischen hat das Dorf auch eine kleine Schule und das könnte die Bereitschaft, dort ständig zu leben, noch verstärken.
Im Nachbardorf bauen die Bewohner vor allem Maniok-Knollen, Hirsearten, Gemüse und Kräuter an und verkaufen die Ernte auf den Märkten. Wurde früher jeder geeignete Acker für Baumwolle geopfert, lässt sich in diesem Teil Bénins gegenwärtig eine Gegenbewegung beobachten. Mit den Einnahmen für das weiße Gold können die Renditen für diese Landwirtschaftsprodukte zwar nicht mithalten, dafür garantieren sie wenigstens ein sicheres Einkommen.