In den Rathäusern von Stuttgart, Mannheim und Ulm muss man sich neuerdings mit einem Konflikt herumschlagen, der vor Ort keiner ist. In den Kindergärten der drei Städte kümmern sich mehr als 100 moslemische Erzieherinnen mit Kopftuch um den Nachwuchs - und Auseinandersetzungen hat dieses religiöse Symbol noch nie provoziert. Nun plant die CDU/FDP-Regierung, per Gesetz an kommunalen Kindergärten zwischen Bodensee und Odenwald das Kopftuch zu untersagen. Das Gesetz will Probleme regeln, die es nicht gibt", sagte Gabriele Müller-Trimbusch, Sozialdezernentin der Landeshauptstadt, während einer Anhörung der SPD-Landtagsfraktion. Ein solches Gesetz werde Schwierigkeiten heraufbeschwören, fürchtet die Rathaus-Politikerin. In Stuttgart, wo 30 moslemische Erzieherinnen bei der Arbeit die Kopfbedeckung tragen, hat sich jedenfalls bislang die Praxis bewährt, das Personal über Leitlinien auf die Beachtung verfassungskonformer Erziehungsziele wie etwa der weltanschaulichen Neutralität zu verpflichten.
Vor allem in größeren Städten will man von einem allgemeinen Verbot des Kopftuchs an Betreuungseinrichtungen für die Kleinsten nichts wissen. Ausgelöst hat diesen Streit die Kleinstadt Ebersbach. Bürgermeister Edgar Wolff möchte in der Gemeinde im Kreis Göppingen der Kinderpflegerin Nuray Ariöz die Kopfbedeckung untersagen. Die Deutsche türkischer Abstammung hatte zunächst mit offenem Haar Dienst getan. Nach ihrer Elternzeit kam sie jedoch mit dem Kopftuch zur Arbeit, für das sie sich zwischenzeitlich aus religiösen Gründen entschieden hatte. Bürgermeister Wolff meint indes, im Kindergarten drohe "der religiöse Frieden in Gefahr zu geraten". Im Ebersbacher Rathaus beruft man sich auf das baden-württembergische Schulgesetz mit seinem Kopftuch-Verbot im Unterricht, was auch für städtische Kindergärten zu gelten habe.
Nuray Ariöz, die es mittlerweile zwischen Neckar und Oberrhein zu einer gewissen Popularität gebracht hat, will allerdings ihr Haar weiterhin verhüllen. Nun zieht ein Musterprozess mit ungewissem Ausgang herauf. Die Stadt Bergkamen ist bereits mit der Kündigung einer moslemischen Erzieherin vor Gericht gescheitert. Eine Entscheidung mit Tragweite: Bei Kindergärten besteht anders als bei Schulen keine Besuchspflicht. Und kann man kommunale Einrichtungen für Kleinkinder mit Schulen gleichsetzen?
Per Gesetz wollen nun CDU und FDP das Problem aus der Welt schaffen. Kultusminister Helmut Rau tüftelt bereits an einem Entwurf, nach dem in kommunalen Kindergärten, die im Südwesten 40 Prozent des gesamten Angebots ausmachen, künftig moslemische Frauen ohne jede Ausnahme kein Kopftuch mehr tragen dürfen. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Stefan Mappus fordert "schnellstmöglich eine rechtlich maximale Lösung": Ein Entscheidungsrecht der Gemeinden im Einzelfall müsse ausgeschlossen werden. Einzelfallregelungen, so FDP-Fraktionschef Ulrich Noll, führten zu "Unsicherheiten und Unfrieden". Immerhin räumt der Liberale ein, dass das geplante Gesetz in die kommunale Selbstverwaltung eingreift.
Auf Widerstand stößt das Projekt von Union und FDP bei den Grünen: Ein derartiges gesetzliches Kopftuchverbot sei verfassungsrechtlich fragwürdig. "Die Regierung schießt mit Kanonen auf Spatzen", moniert der Fraktionsvorsitzende Winfried Kretschmann. Probleme vor Ort könnten die Verantwortlichen in den Rathäusern besser lösen als ein Dekret des Landes.
Die SPD macht sich für ein Verbot "mit Erlaubnisvorbehalt" stark. Auf Antrag sollen die Kommunen, so der Fraktionsvorsitzende Wolfgang Drexler, "unter engen Voraussetzungen" das Kopftuch erlauben können. So müsse die weltanschauliche Neutralität im Kindergarten gewährleistet sein.
Der baden-württembergische Städtetag lehnt eine generelle Untersagung der islamischen Kopfbedeck-ung ab. Zwar solle man jenen Gemeinden, die sich für einen solchen Schritt entscheiden, Rechtssicherheit verschaffen. Allerdings dürfe man angesichts der unterschiedlichen lokalen Gegebenheiten den Trägern öffentlicher Kindergärten keinen Zwang auferlegen, betont der kommunale Spitzenverband.
Deutliche Kritik am Vorhaben der CDU/FDP-Regierung übt der Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster, der ein Gesetz schlicht für überflüssig hält. Die Entscheidungshoheit müsse den Rathäusern obliegen. Der Unionspolitiker befürchtet, dass ein allgemeinverbindliches Kopftuchverbot den Einsatz der Stadt Stuttgart für eine gesellschaftliche Integration der Ausländer gefährden werde. Moslems, warnt Schuster, könnten eigene Einrichtungen zur Kinderbetreuung gründen.
Beim Hearing der SPD-Fraktion drückten auch mehrere Vertreter islamischer Gemeinschaften solche Sorgen aus. Eine generelle Untersagung der Haarbedeckung könne die Bereitschaft zur Schaffung eigener Kindergärten verstärken. Solche Verbote förderten vor allem bei konservativen Moslems die Neigung, sich aus der Gesellschaft zurückzuziehen.
In Stuttgart plädiert Dezernentin Müller-Trimbusch für die Fortführung der bisherigen Praxis: In der Hauptstadt sind moslemische Vereinigungen bislang noch nicht auf die Idee gekommen, in Eigenregie Kindergärten zu betreiben.