Werften
Trotz der Konkurrenz aus Asien bildet der Schiffsbau immer noch einen wichtigen Industriezweig für die meisten Ostsee-Anrainer - auch in Polen
Orange leuchtet der Rumpf der "Bow Saga" am Oderkai, Wasser schwappt an die Mauer, Möwen schreien. Krzystof Kapuscik steht vor "seinem" Schiff. Knapp 18 Meter hoch ist es, fast 183 Meter lang, an Bord sind 40 Tanks für Öle, Fette oder flüssige Chemikalien sowie 27 Kilometer Rohre. Kapuscik ist leitender Planer: Er hat den Chemikalientransporter für die Neue Werft Stettin (Szczecin) entworfen und gebaut.
Die Werft ist eine der drei großen in Polen, liegt an der Odermündung, etwa 60 Kilometer von der Ostseeküste entfernt. Wie alle Werften ist sie Gewinner der Globalisierung, denn die Auftragsbücher sind nicht nur in Polen, sondern auch in den anderen wichtigen Schiffbau-Ländern rund um die Ostsee - Deutschland, Finnland und Norwegen - für die nächsten Jahre gut gefüllt.
Das Wachstum des Welthandels hat die Nachfrage nach Transportschiffen rasant steigen lassen. Doch das Gros der Aufträge geht an die asiatischen Länder Südkorea, China und Japan. Um bestehen zu können, setzt die Stettiner Werft wie viele ihrer europäischen Wettbewerber neben der Fertigung von Containerschiffen auf den Spezialschiffbau. Denn hier produzieren sie nahezu konkurrenzlos. So ist die "Bow Saga" mit ihren mehr als 40.000 Tonnen Tragfähigkeit der weltweit größte Chemikalientransporter; eine Spezialanfertigung, die Arbeit für Monate gesichert hat.
Die Werften sind wichtige Arbeitgeber in der strukturschwachen Region - nicht nur an der polnischen Küste, sondern auch im nahe gelegenen Mecklenburg-Vorpommern. In Rostock und Wismar bauen die Töchter der norwegischen Aker Yards, die größte Werftgruppe in Europa, Schiffe, in Stralsund die Volkswerft, die die Hegemann-Gruppe gerade übernommen hat.
Die polnische Regierung stuft den Schiffsbau in ihrem Land als "strategisch wichtig" ein: Im vergangenen Jahr fertigten die Werften nach Angaben des polnischen Verbands für Maritime Industrie Schiffe im Wert von rund 697 Millionen Euro, eine leichte Steigerung im Vergleich zu 2005, als der Auftragswert 677 Millionen Euro betragen hatte. Zudem hängen von ihm tausende Arbeitsplätze ab: bei Zulieferern, Subunternehmern und bei den Werften selbst, wo etwa 14.600 Menschen beschäftigt sind. Noch, muss man sagen, denn allein auf der Danziger Werft - dort wo die Arbeiter durch ihre Streiks Anfang der 80er-Jahre den Fall des Kommunismus einläuteten - waren damals über 17.000 Menschen beschäftigt.
"Die Werften sind meine, unsere Existenz", sagt auch Kapuscik, der sich kurz entschuldigt, um mit Handschlag Thorbjørn Haugsand zu begrüßen. Der Norweger ist Kunde und somit ein wichtiger Mann: Er kontrolliert vor Ort, dass der Bau des Chemikalientransporters im Sinne seines Arbeitsgebers, der norwegischen Reederei Odfjell, abläuft. "Ein großartiges Schiff, wir sind sehr zufrieden", sagt Haugsand. Die "Bow Saga" ist das achte Schiff, das die Stettiner seit 2000 für sein Unternehmen gebaut haben.
Trotz der Zufriedenheit der Norweger: Die "Bow Saga" wird der letzte Transporter für die Reederei sein, obwohl zwei weitere Schiffe des Typs geplant waren. Die Rohstoffe, vor allem Stahl, werden immer teurer, besonders in Europa steigen die Preise rapide - im Verlauf des vergangenen Jahres verteuerte sich eine Tonne Stahl um knapp 40 Prozent auf rund 650 Euro. Odfjell ist das zuviel, zumal der schwache Dollarkurs und die steigenden Kosten der Zulieferer dazukommen - Probleme, mit denen alle Werften zu kämpfen haben.
In Stettin verdient ein Werftarbeiter durchschnittlich etwa 1.000 Euro brutto im Monat: ein "großer Standortvorteil" im Vergleich zu anderen europäischen Werften, wie Haugsand betont. In den skandinavischen Ländern seien die Lohnkosten teilweise fünfmal so hoch.
Was für den Auftraggeber von Vorteil ist, entwickelte sich für die Werft zum Nachteil. Viele Arbeiter haben ihr den Rücken gekehrt und sind ins Ausland gegangen - zum Beispiel in Haugsands Heimat Norwegen. 5.000 Mitarbeiter hatte die Werft vor Polens EU-Beitritt, 4.000 von ihnen gingen seit 2004 ins Ausland. "Wir haben wertvolle Leute verloren, drei bis vier Jahre dauert die Ausbildung, sie kostet tausende Euro", sagt der Vizepräsident und Direktor für Technik und Entwicklung der Werft, Jacek Tatarowicz. Es mussten sogar zeitweise Arbeiter aus der Ukraine beschäftigt werden. Heute hat die Werft rund 4.800 Mit- arbeiter.
Tatarowicz steht auf der Brücke der "Bow Saga" und blickt auf die Oder. Zum Thema Europäische Union will er nicht viel sagen. Es lastet schwer auf ihm, den Mitarbeitern, der Werft und auf Polen, denn es betrifft nicht nur die Werft in Stettin, sondern auch jene in Danzig und Gdingen. Alle drei sind in staatlicher Hand und werden durch die Agentur für Industrieentwicklung kontrolliert. Rückblende: 2001 war ein schweres Jahr für die Stettiner Werft, trotz der großen Nachfrage aus dem Ausland. Misswirtschaft und Schulden belasteten das Unternehmen, woraufhin die Banken den Schiffbausektor als "unsicher" einstuften und neue Kredite verweigerten. Damit blockierten sie die Produktion, denn die Werften benötigen die Sicherheiten der Banken, um Material einzukaufen und so in Vorleistung treten zu können. Schließlich sprang der Staat ein. Die EU-Kommission spricht von 1,3 Milliarden Euro Beihilfen. Der Verdacht: Die Gelder hielten die Schiffbauer künstlich am Leben und verzerrten so den Wettbewerb. Theoretisch könnten die drei Werften das Geld zurückzahlen - praktisch nicht, denn das würde ihren Bankrott bedeuten. "Die Beihilfen waren ein eklatanter Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln der EU", meint auch Jochen Tholen vom Institut für Arbeit und Wirtschaft in Bremen. Es habe in der Vergangenheit schließlich auch Verfahren gegen Spanien oder Griechenland gegeben.
Im Juni 2005 eröffnete die Kommission eine formale Untersuchung der polnischen Werften. Die Verhandlungen verlaufen zäh. Mehr als zwei Jahre später, im Juli dieses Jahres, verkündet die Kommission endlich das erste Teilergebnis: Brüssel akzeptiert die Vorschläge Warschaus, die Kapazitäten der Werften Stettin und Gdingen zu reduzieren. Konkret bedeutet dies schwere Einschnitte: In Stettin wird einer der drei Hellinge (Schiffsbauplätze), in Gdingen eines der zwei Docks geschlossen. Neelie Kroes, Wettbewerbskommissarin der EU, nannte diese Pläne "angemessen".
Eine Einigung über die Danziger Werft steht noch aus. Die Kommission will, dass sie zwei ihrer drei Hellinge schließt und hatte der polnischen Regierung eine Frist bis zum 21. August gesetzt, einen Bericht über den Kapazitätenabbau vorzulegen. Dieser ist in der vergangenen Woche in letzter Minute in Brüssel eingegangen. Danach will die Danziger Werft ihre Kapazität bis 2014 verringern und die Privatisierung einleiten.
Konkret sollen innerhalb der nächsten drei Jahre alle drei Hellinge geschlossen werden, der erste im kommenden Jahr und nach zwei bis drei Jahren die anderen beiden. Im Gegenzug soll mit Hilfe eines privaten Investors ein schwimmendes Dock gebaut werden. "Wir haben einen sehr detaillierten Vorschlag gemacht, wie die Werft profitabel gemacht und in Übereinstimmung mit dem EU-Recht wieder zum Laufen gebracht werden kann," sagte Andrzej Jaworski, Präsident der Danziger Werft.
Endgültig wird Brüssel über die polnischen Schiffsbauer jedoch erst entscheiden, wenn die avisierten Investoren ihre Pläne vorlegen. Die Teilentscheidung der Kommission gilt als "grünes Licht" für potenzielle Investoren, deren Kapital dringend benötigt wird. "Bedauerlich ist, dass Polen erheblich viel Zeit im politischen Prozess verliert", sagt Reinhard Lüken, Generalsekretär des Europäischen Schiffbau-Verbandes CESA. Er glaubt, dass die Werften "gute Chancen" haben. Man solle aber nicht annehmen, mit der Kommission "spielend" fertig zu werden, bei aller historischen Bedeutung der Danziger Werft.