REGIERUNGSERKLÄRUNG ZUM EU-FRÜHJAHRSGIPFEL
Bewährungsprobe für deutsche Präsidentschaft
Als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor das
Rednerpult tritt, wird sie erleuchtet: von mehr als 200 Lampen, die
im Plenarsaal für das richtige Fernsehlicht sorgen. Geballte
Energie, die die Kanzlerin auch für den kommenden
Frühjahrsgipfel der Europäischen Union am 8. und 9.
März in Brüssel brauchen wird. Denn, so Merkel in ihrer
Regierungserklärung am 1. März lapidar: "Die Welt wartet
nicht auf Europa." Traditionell beschäftigt sich der
Frühjahrsgipfel der Europäischen Union mit der
wirtschaftlichen Dynamik der Gemeinschaft, kurzum der Umsetzung der
Lissabon-Strategie, die Europa bis 2010 zum kreativsten,
wettbewerbsfähigsten wissensbasierte
n Wirtschaftsraum weltweit machen soll. Die EU befindet sich zwar
mit 2,8 Prozent wieder auf Wachstumskurs, doch so räumte die
Kanzlerin ein: "Wirtschaftlicher Erfolg - das wissen wir - ist kein
Wert an sich, denn er soll den Menschen dienen." Das Modell Europa,
das viele Jahrzehnte funktioniert habe, sei durch die
Globalisierung unter Druck geraten. Wachstum und die Steigerung der
Wettbewerbsfähigkeit seien daher ebenso wichtige Ziele auf der
europäischen Tagesordnung wie die Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit und die Verbesserung des sozialen
Zusammenhalts.
Als konkrete Maßnahmen will die Kanzlerin einen Abbau der Bürokratielasten um 25 Prozent erreichen, denn "wir wissen, dass der Abbau überflüssiger Bürokratie ganz wesentlichen Einfluss auf das Wirtschaftswachstum haben kann". Daneben will sie sich bei den 26 anderen Staats- und Regierungschefs für eine Liberalisierung des Welthandels, den Abschluss der Welthandelsgespräche, der so genannten Doha-Runde, sowie für eine engere transatlantische Wirtschaftspartnerschaft stark machen - hier soll es vor allem mehr Harmonisierung und gemeinsame Standards geben.
Den größten Elan wird die Physikerin Angela Merkel sich jedoch für das Thema Energie und Klimaschutz aufsparen müssen. Denn sie weiß: "Wir brauchen verlässliche, bezahlbare und nachhaltige Energie." Bis 2020 möchte sie daher den Beweis erbringen, dass "Ökologie und Ökonomie miteinander versöhnt" und Strategien entwickelt werden können, die Wachstum und Nachhaltigkeit miteinander verbinden. Sie wolle nicht hinnehmen, dass es in einigen Jahrzehnten "Tropennächte in der Harzregion" gebe. Wie bereits im Februar vom Energie- und vom Umweltrat beschlossen, sollen daher die Treibhausgasemissionen in der EU bis zum Jahr 2020 um 20 Prozent gesenkt werden - machen weitere Staaten mit, wären auch 30 Prozent möglich. Den passenden Schlüssel für die Schadstoffreduktion sieht die Bundesregierung in einer besseren Energieeffizienz, also der Frage, wie mit gleichem Energieaufwand gleiche Ziele erreicht werden können.
Hier setzt die Europäische Union auf Hightech und Forschung. Passend dazu hatte sich Angela Merkel in der vergangenen Woche mit EU-Forschungskommissar Janez Potocnik zum Auftakt des Europäischen Forschungsrates getroffen. Berlin setzt mit verschiedenen Forschungsprogrammen sowohl auf erneuerbare Energien als auch auf emissionsarme Kohletechnologien, die die Abscheidung und Speicherung von Kohlenstoffen ermöglichen sollen. Mit diesem Thema befasst sich am 7. März der Umweltausschuss in einer öffentlichen Anhörung.
Stolz vermeldete Angela Merkel, dass Deutschland bei der Windenergie bereits einen Weltmarktanteil von 60 Prozent vorweisen könne, und bemerkte auf einen Zwischenruf über die Urheberschaft der alternativen Energiequelle nur: "Darüber freuen wir uns jetzt einfach mal zehn Sekunden, meine Damen und Herren."
Weniger erfreut zeigte sich erwartungsgemäß die Opposition. FDP-Chef Guido Westerwelle wünschte der Bundeskanzlerin zwar höflich für den Gipfel alles Gute, bemängelte dann aber: "Das Entscheidende ist das, was sie nicht angesprochen haben." Konkret spielte er auf den Verfassungsprozess an und sagte: "Ein Fahrplan ist zu wenig, Inhalt ist gefragt." Er vermisste in Sachen Klimaschutz ein Statement der Regierungschefin zur Kernenergie. Es sei ein Widerspruch, "in der Energiepolitik den Zeigefinger zu erheben, in Wahrheit aber durch den Ausstieg aus der Kerntechnologie, die in Deutschland eine Spitzentechnologie ist, den Klimawandel zu befördern". Für Ulrich Kelber (SPD) gibt es Klimaschutz hingegen auch ohne Atomenergie. "Wir wollen Vorreiter beim Klimaschutz sein", sagte er in der anschließenden Debatte. Dies sei auch eine "einmalige Chance" für neue Jobs, erklärte Kelber. Neue Technologien in diesem Bereich würden einen entscheidenden Beitrag für die Innovationsfähigkeit darstellen. Allein im Bereich der erneuerbaren Energien seien in Deutschland 215.000 Arbeitsplätze geschaffen worden.
Oskar Lafontaine konstatierte für die Linksfraktion, dass sich Deutschland bei der Vermeidung von CO2-Emissionen "nicht mit Ruhm bekleckert" habe. Er forderte, die CO2-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent zu senken. "Wir müssen nach wie vor im Auge haben, über Preise den Energieverbrauch zu senken." Eine solche Preissteuerung auf der Energieseite setze jedoch eine "gesunde Lohn- und Rentenentwicklung" voraus. "Umweltschutz ist dringend erforderlich; aber der Umweltschutz muss mit dem Sozialen verbunden werden", sagte Lafontaine.
Verwundert zeigte sich Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) über Merkels Äußerung, dass "Ökologie und Ökonomie" miteinander versöhnt werden müssen. Die Ökologie sei, so Künast, inzwischen die "zentrale Überlebens- und ökonomische Frage", weil man sich sonst alles andere sparen könne. Sie forderte eine Reduzierung der Treibhausgase von 30 statt 20 Prozent und eine Schadstoffreduktion auf 120 Gramm CO2 bei Fahrzeugen - "ohne Trickserei mit Biokraftstoffen".
Mit Blick auf den 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge am 25. März hatte sie für Merkel einen besonderen Wunsch parat: "2020 soll man sagen können: Eine Kanzlerin hat dafür gesorgt, dass die Europäische Union sich Anfang März 2007 klar für ein Ende des fossilen Zeitalters ausspricht..."