GASMARKT
Der Wettbewerb auf dem Gasmarkt kommt langsam in Schwung. Offen ist, ob die Verbraucher von nachhaltigen Preissenkungen profitieren können.
Fast schon in Jubelstimmung präsentiert sich Matthias Kurth. "Dass es flächendeckende neue Gasangebote für Privatkunden gibt, die Gaspreise sinken und neue Akteure den Wettbewerb im Gasmarkt beleben, hat vor einem Jahr kaum jemand prognostiziert", freut sich der Präsident der Bundesnetzagentur. Die Regulierungsbehörde rechnet damit, dass sich die Tendenz zu sinkenden Preisen für Endkunden noch verstärkt. Im Laufe des Jahres, so Kurth, werde es jedenfalls weitere Angebote geben. Ohne die regulatorischen Eingriffe seiner Einrichtung "wäre diese Entwicklung mit Sicherheit nicht möglich gewesen". Die Behörde habe "Bewegung in lange abgeschottete Märkte" gebracht.
Kurth kann sich durch Meldungen aus jüngerer Zeit bestätigt sehen. Nach Analysen des Verbraucherportals Verivox haben die Gaspreise bundesweit seit Jahresbeginn im Schnitt leicht nachgegeben. Die Gasag in Berlin, ein Beispiel, will zum 1. April je nach Jahresverbrauch bis zu fünf Prozent weniger verlangen. Billiger in dieser Größenordnung, ein anderes Beispiel, will auch der Karlsruher EnBW-Konzern im Großraum Stuttgart zum 1. April werden. Von diesem Zeitpunkt an verkauft die Vertriebsgesellschaft "E wie einfach" des Konzerns Eon republikweit Gas, das um 0,24 Cent pro Kilowattstunde günstiger sein soll als der jeweilige Standardtarif des ortsansässigen Anbieters. Über die Tochter Eprimo will RWE ebenfalls bundesweit präsent sein.
Geht es also endlich los mit Liberalisierung und sinkenden Preisen auf dem Gasmarkt? Warnende Stimmen trüben die neue Euphorie. So prognostiziert George Tsatsaronis, Dozent am Berliner Institut für Energietechnik und Umweltschutz, auf längere Sicht steigende Preise. Von echtem Wettbewerb könne noch nicht die Rede sein. So sehen es auch Bernd Ruschinzik von der Verbraucherzentrale Berlin und Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW): Aus deren Sicht hätte die Gasag ihre Gebühren weitaus kräftiger herabsetzen müssen.
Bei der Gasag, der EnBW und anderen Versorgern sind die aktuellen Reduzierungen nicht auf Marktkonkurrenz, sondern auf den im Herbst gefallenen Ölpreis zurückzuführen, der nun an die Verbraucher weitergegeben wird: Die Branche koppelt seit jeher den Gas- an den Ölpreis. Was nicht übersehen werden sollte: Mit Beginn der jetzigen Heizsaison hatten die Gaspreise ein neues Rekordniveau erreicht. Nach Kalkulationen des WDR-Magazins "Markt" musste ein Einfamilienhaushalt zum Auftakt der kalten Jahreszeit eine Gasrechnung begleichen, die um ein Drittel höher liegt als zwei Jahre zuvor. Bei solch drastischen Preissprüngen wirken die Entlastungen nicht unbedingt eindrucksvoll.
Der Gasmarkt mutet verwirrend an. Zu diesem Bild gehören eklatante Gebührenunterschiede zwischen den einzelnen Versorgern, laut einer Statistik des Bundeskartellamts vom November können die Differenzen 40 Prozent betragen. Nach dieser Erhebung sind für einen Jahresverbrauch von 20.000 Kilowattstunden bei den Stadtwerken Magdeburg 972 Euro zu berappen, beim bayerischen Inngas hingegen 1.392 Euro. 7.000 Kilowattstunden kosten bei den Stadtwerken Soltau (Niedersachsen) 381 Euro, im Saarland bei den Stadtwerken Völklingen 564 Euro. Für 35.000 Kilowattstunden Euro sind in Lippstadt (Nordrhein-Westfalen) 1.595 Euro hinzublättern, im baden-württembergischen Walldorf 2.281 Euro.
Für Holger Krawinkel vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZ) sind derart massive Preisspannen nicht zu erklären. Die Beschaffungskosten für Gas sowie Steuern und Abgaben machten gut 75 Prozent der Endgebühr aus. Trotz zusätzlicher Aufwendungen etwa für das Leitungsnetz verblieben den Anbietern offenbar noch genügend Möglichkeiten bei der Preisgestaltung. Laut Michael G. Feist, Präsident des Bundesverbands der Gas- und Wasserwirtschaft (BGW) und Chef der Stadtwerke Hannover, vermögen die Versorger fünf bis zehn Prozent des Endpreises direkt zu beeinflussen.
Es existieren Spielräume, wie hoch auch immer man diese einschätzt. Und da soll nun Wettbewerb helfen. Nicht zuletzt auf Druck der Regulierungsbehörde haben sich auf dem Gasmarkt einschneidende Umbrüche vollzogen. Seit Oktober kann im Prinzip jeder Haushalt seinen Versorger selbst auswählen. Den Weg freigemacht hat eine zuvor unter dem Dach des BGW und des Verbands kommunaler Unternehmen unterzeichnete Kooperationsvereinbarung, nach der sich die republikweit etwa 700 Netzbetreiber zur Öffnung ihrer Leitungen für Konkurrenten verpflichten. Zudem untersagte Kurths Agentur preistreibende Transportverträge: Mussten bislang Anbieter mit allen Netzbesitzern auf dem Weg zum Endkunden eine Kette von Einzelabkommen abschließen, so sind jetzt nur noch zwei Verträge erforderlich, nämlich für Gaseinspeisung und -entnahme. Die Regulierungsbehörde hat überdies teils beträchtliche Reduzierungen der "Maut" angeordnet, die Netzbetreiber für die Durchleitung von "fremdem" Gas von Konkurrenten erheben dürfen: Insgesamt hatten die Gasbetriebe Gebühren in Höhe von vier Milliarden Euro beantragt, Kurths Agentur genehmigte jedoch nur 3,2 Milliarden.
Was des Konsumenten Freud', ist freilich des Unternehmens Leid. So meint BGW-Präsident Feist, als Folge der verordneten Senkung der Netzentgelte würden die Gebühreneinnahmen um 40 bis 50 Prozent fallen. Es zeichneten sich erhebliche Gewinneinbußen ab, bei den Stadtwerken Hannover um bis zu 20 Prozent. Feist. "Das bedroht viele Versorger in ihrer wirtschaftlichen Substanz". Der BGW-Chef weist im Übrigen darauf hin, dass Preisreduzierungen im Gefolge des Wettbewerbs durch steigende Rohstoffkosten konterkariert werden könnten.
Ob von der Liberalisierung tatsächlich Impulse für eine nachhaltige Senkung des Gaspreises ausgehen, darf als offen gelten. Bislang tummeln sich erst wenige Konkurrenten in den Gefilden traditioneller Platzhirsche. So hat etwa Frankfurts kommunaler Versorger Mainova in Bonn den Kampf mit den dortigen Stadtwerken aufgenommen, der holländische Anbieter Nuon buhlt in Hamburg und Berlin um neue Kunden, an der Spree ist zudem Klickgas aktiv, in Sachsen-Anhalt will Mitgas über das angestammte Terrain hinauswachsen. Richtig Schwung könnten nun die bundesweiten Initiativen von Eon und RWE bringen. Die Stiftung Warentest mahnt gleichwohl zur Vorsicht: "E wie einfach" wolle zwar überall den Standardpreis der ortsansässigen Versorger unterbieten, doch offerierten diese parallel oft günstigere Sondertarife.
Indes sieht Holger Krawinkel nach dem Eon-Vorstoß positive Signale: "Jetzt hat der Wettbewerb wirklich angefangen". Der VZ-Experte hofft, dass von dieser Entwicklung im Laufe des Jahres auch die Bürger profitieren. Der Bund der Energieverbraucher begrüßt die neuen Tendenzen ebenfalls, in denen Sprecher Aribert Peters bisher freilich vor allem eine kosmetische Operation sieht: Auf diese Weise wollten die Versorger Druck aus dem politischen Streit über mangelnde Konkurrenz auf dem Gasmarkt nehmen. So will Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) dem Kartellamt mehr Befugnisse bei Eingriffen in die Preisgestaltung der Unternehmen geben. Die EU-Kommission hat sich zum Ziel gesetzt, die Macht der Konzerne über die Netze zu beschneiden. Und bundesweit haben Tausende von Endkunden wegen aus ihrer Sicht überhöhter Preise Widerspruch gegen Gasrechnungen eingelegt und Zahlungen gekappt. Zahlreiche Prozesse sind anhängig, dieses Jahr wird ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs erwartet.
Hohe Energiekosten haben auch etwas mit den Konsumenten zu tun. Claudia Kemfert vom DIW: "Die Wechselbereitschaft bei den Verbrauchern ist gering". Das zeigt sich auch bei der Elektrizität: Dort können die Bürger schon seit acht Jahren ihren Anbieter frei wählen, doch nur fünf Prozent der Haushalte haben sich für einen anderen Versorger entschieden. Für das Gas verheißen die Erfahrungen auf dem Strommarkt ohnehin wenig Gutes: Mit Beginn des Wettbewerbs waren plötzlich neue Anbieter aufgetaucht, doch der kundenfreundliche Preiskampf war bald vorbei, viele Unternehmen gaben wieder auf - und seither klettern die Elektrizitätspreise wieder.