Mindestlohn
Die Koalition ist tief gespalten. Zur Freude der gesamten Opposition.
Wer mit den Machtverhältnissen im deutschen Parlament nicht vertraut ist, der wäre in der vergangenen Woche bei den beiden Debatten zum Thema Mindestlohn sicher nicht auf die Idee gekommen, dass Union und SPD eine Koalition bilden. Erst wenige Stunden vor der ersten Plenarrunde am 26. April hatte die koalitionsinterne Arbeitsgruppe "Arbeitsmarkt" einen Abschlussbericht verabschiedet, der vor allem eines verdeutlicht: CDU/CSU sind prinzipiell gegen einen gesetzlichen Mindestlohn und die Sozialdemokraten grundsätzlich dafür.
CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla titulierte folgerichtig einen "gesetzlichen einheitlichen Mindestlohn" als "süßes Gift", gerade für Ostdeutschland. Sein Amtskollege von der anderen Seite, Hubertus Heil, betonte hingegen, nur mit Mindestlöhnen könnten viele Menschen am Aufschwung teilhaben. Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) plädierte für einen "Auffangmindestlohn" , dessen Höhe sich am Einkommen eines alleinstehenden kinderlosen Arbeitslosengeld-II-Empfängers "plus X" orientieren solle. Die Versuche von Rednern beider Koalitionspartner, Einigungszuversicht zu demonstrieren, konnten den tiefen Riss bei dieser Frage nicht überdecken.
Der andauernde Streit war eine Steilvorlage für die Opposition, die FDP-Generalsekretär Dirk Niebel sichtlich gern aufnahm. "Die Situation der Koalition ist desolat", wetterte er und fügte hinzu, Schwarz-Rot streite sich "wie die Kesselflicker" zum Schaden der Bevölkerung. Soweit konnte Grünen-Arbeitsmarktexpertin Brigitte Pothmer ohne Probleme mitgehen. Sie appellierte, die "schwarz-roten Passionsspiele" zu beenden. "Es geht nicht um die Große Koalition, sondern um die Interessen der Menschen", betonte Pothmer. Das war's dann auch schon mit der oppositionellen Harmonie. Während die FDP-Fraktion Mindestlöhne mit einem Antrag ( 16/4864 ) abwehren möchte, haben die Grünen in ihrem Antrag ( 16/5102 ) ein eigenes Mindestlohnkonzept nach britischem Vorbild vorgelegt. Demnach soll eine Kommission für Branchen, in denen das Entsendegesetz nicht greift, Mindestlöhne vorschlagen, die vom Arbeitsminister für verbindlich erklärt werden.
Die Linke versuchte am 27. April, die SPD vorzuführen, indem sie den Wortlaut der SPD-Unterschriftenaktion zur Einführung von Mindestlöhnen als eigenen Antrag ( 16/4845 ) vorlegte. "Wir sind gespannt, was die Sozialdemokraten machen", feixte Linkenfraktionschef Oskar Lafontaine. Die Linke habe einen "schönen Gag gemacht - nur was nutzt es den Menschen am Ende des Tages? Nichts", antwortete SPD-Abgeordnete Andrea Nahles.