1. Untersuchungsausschuss/
Berlin: (hib/KOS) Aus Sicht Lothar Jachmanns hatten die im Februar
2002 vom Bremer Landesamt für Verfassungsschutz (LfV)
über Murat Kurnaz gesammelten Erkenntnisse einen nur vagen
Charakter. Sie hätten keinen Verdacht auf terroristische
Aktivitäten des in der Hansestadt aufgewachsenen Türken
gerechtfertigt. Vor dem Untersuchungsausschuss bezeichnete der
pensionierte Ex-Vizechef des LfV am Donnerstag die von
Behördenleiter Walter Wilhelm im Dezember 2005 vorgenommene
Wertung als "unprofessionell", wonach Kurnaz während seines
Aufenthalts in Pakistan im Herbst 2001 aktiv den Kampf der Taliban
und von El-Kaida unterstützt habe. Es habe ihn empört,
unterstrich der Zeuge seine früheren Aussagen gegenüber
Medien, dass solche Einschätzungen auf einer dünnen
Verdachtslage getroffen worden seien, die sich zunehmend als nicht
haltbar erwiesen habe. Kurnaz war Ende 2001 in Pakistan
festgenommen und über Afghanistan im Februar 2002 nach
Guantanamo gebracht worden, wo er bis zu seiner von Kanzlerin
Angela Merkel erwirkten Freilassung im August 2006 einsaß.
Laut Jachmann konnten die zu Jahresbeginn 2002 gegen den jungen
Türken vorliegenden Erkenntnisse, die aufgrund des Verdachts
einer geplanten Beteiligung am Dschihad gesammelt worden seien,
nicht zuverlässig und abschließend bewertet werden. So
habe etwa eine nachrichtendienstliche Quelle über eine Bremer
Moschee, in der Kurnaz verkehrt sei, nur "lapidare Informationen"
geliefert, später sei dann über diese Einrichtung nichts
Relevantes mehr hinzugekommen. Auf Nachfrage des Abgeordneten
Thomas Oppermann bestätigte der Zeuge, dass er im Februar 2002
an übergeordnete Stellen auch Verdachtsmomente wie etwa
Zeugenaussagen über Telefonate von Kurnaz weiterleitete, die
nach Auffassung des SPD-Obmanns zu der Einstufung des Bremer
Türken als Gefährder führten. Jachmann wies darauf
hin, dass er diese Mitteilung unter den Vorbehalt gestellt habe,
ein endgültiges Urteil sei nicht möglich. Für
Jachmann waren, wie er vor dem Ausschuss erläuterte, die
Vorwürfe gegen Kurnaz im Herbst 2002 weitgehend
ausgeräumt. Dies habe er aus dem Bericht geschlossen, den im
Bremer LfV ein Mitarbeiter des Bundesamts für
Verfassungsschutz (BfV) erstattet habe, der zuvor zusammen mit zwei
Kollegen vom Bundesnachrichtendienst Kurnaz in Guantanamo
verhört hatte. Aufgrund entsprechender Äußerungen
des BfV-Vertreters bei diesem Treffen, so der Zeuge, sei er davon
ausgegangen, dass Kurnaz Weihnachten 2002 wieder bei seiner Familie
sein könne und diese Angelegenheit bis dahin abgeschlossen
sei. Allerdings habe der BfV-Mitarbeiter darauf hingewiesen, dass
die endgültige Entscheidung im Fall Kurnaz in Berlin getroffen
werde. Ende Oktober 2002 hatten dann die Geheimdienstspitzen unter
Leitung des damaligen Kanzleramtschefs Frank-Walter Steinmeier
gegen den als potenziellen Gefährder eingeordneten Bremer
Türken für den Fall seiner Freilassung durch die USA eine
Einreisesperre verfügt. Nach Meinung Jachmanns hätte es
schwerwiegende Konsequenzen für Kurnaz haben können, wenn
aus seiner Sicht nicht gerechtfertigte Interpretation der Anfang
2002 über den Türken vorliegenden Erkenntnisse in die
Hände von US-Stellen gelangt wäre. SPD-Obmann Oppermann
warf dem früheren LfV-Vizechef vor, offenbar nur unzureichend
über die seinerzeit gegen Kurnaz ermittelten Verdachtsmomente
informiert zu sein.