Selten hat ein Politiker oder eine Politikerin so polarisiert und aufgeregt wie die ehemalige englische Premierministerin. Nicht nur, dass sie Großbritannien eine radikale wirtschafts- und sozialpolitische Rosskur verpasste; sie geriet darüber hinaus auch mit vielen europäischen Politikern in vielen Politikfeldern aneinander. Ihr radikaler Reformkurs im eigenen Lande war heftig umstritten und löste Abscheu, ja blanken Hass hervor. Die Ablehnung reichte dabei weit über die Landesgrenzen hinaus.
Auch die Deutschen lehnten die britische Rosskur als Vorbild für die eigene Politik, aber auch die Person ‚Maggie' Thatcher selbst, entschieden ab. Helmut Schmidt soll sie einmal als Rhinozeros bezeichnet haben, und Rudolf Augstein entwarf von ihr die böse Karikatur einer selbstgerechten Hausfrau.
Dieses Bild eines katastrophalen "Gesamtkunstwer-kes" von Person und Politik ist Vergangenheit. Der Historiker Dominik Geppert spürt hierzulande einen bemerkenswerten Wandel in der Wahrnehmung Maggie Thatchers auf, die in allen politischen Gruppierungen Bewunderung erfahre.
Je mehr sich die Krise in Deutschland vertiefe, je stärker die politischen Parteien in Ratlosigkeit erstarrten, je schriller das Krisenbewusstsein die Öffentlichkeit alarmiere und je mehr das Vertrauen in die Problemlösungsfähigkeit des politischen Systems schwinde, desto spürbarer sei eine die politischen und gesellschaftlichen Lager übergreifende Renaissance der eisernen Lady. So schließt sich das Problem der deutschen Krise derzeit mit der nun wirklich verblüffenden Frage nach dem Thatcherismus als Vorbild für Deutschland auf.
Geppert geht dieser Frage nach. Und trotz vieler Unterschiede in der Ausgangslage beider Länder, dort vor etwa 30 Jahren, hier seit rund einer Dekade, spürt er typische Symptome der englischen Krankheit in deutschen Landen heute auf: niedriges Wachstum, ein inflexibler Arbeitsmarkt, kurze Arbeits- und lange Ausbildungszeiten sowie ein grassierender Pessimismus.
Thatchers Projekt bestand seinerzeit darin, radikal staatliche Leistungen zu kürzen, dem Unternehmertum Tür und Tor für möglichst ungehinderte Investitionen und Gewinne zu öffnen und insgesamt einen "Ruck" in der Gesellschaft einzuleiten. Die Gewerkschaftsmacht wurde beschnitten, der Langzeitarbeitslosigkeit auch durch unpopuläre Maßnahmen der Kampf angesagt.
Das war in Europa erstmals Neoliberalismus XXL, auf dessen Grundlage dann Tony Blair mit seiner Formel des "Dritten Weges" einige seiner politischen Erfolge überhaupt erst möglich machen konnte. Und dies sei, so Geppert, auch der entscheidende Unterschied zwischen der "neuen" Sozialdemokratie in Großbritannien und in Deutschland, der die seinerzeit versuchten reformpolitischen Gemeinsamkeiten im Schröder-Blair-Papier von vornherein zum Scheitern verurteilt habe. Diese Gemeinsamkeiten seien einfach aufgrund der unterschiedlichen ordnungspolitischen Prämissen und der Entwicklungswege in den 70er- und 80er-Jahren nicht vorhanden gewesen.
Ist der Thatcherismus ein Vorbild für Deutschland? Geppert bejaht dies im letzten Kapitel seiner sehr anschaulichen Betrachtung - ein wirklich lesenswertes Buch - und rekurriert dabei auf alle aktuellen Reizthemen bundesdeutscher Politik: Gesundheits- und Sozialversicherungswesen, Grundrente, längere Arbeitszeiten - all dies müsste nun aus den Tabuzonen verschwinden, will die Bundesrepublik nicht endgültig in ihrer Unbeweglichkeitsfalle verenden.
Mit Blick auf den Mut in der Politik zitiert er US-Präsident Andrew Jackson (1829 - 1837): "Ein einziger mutiger Mann ist allein schon eine Majorität" und fügt hinzu: "Eine couragierte Frau ... kann ebenfalls bereits eine Mehrheit sein".
Dominik Geppert
Maggie Thatchers Rosskur - ein Rezept für Deutschland?
Siedler Verlag Berlin 2003; 127 S.,14,- Euro