Unter dem Aktenzeichen "F" findet sich eine prall gefüllte Akte. Der einprägsame Titel zeigt, worauf das Werk hinaus will: Es geht um zweifelhafte, hochspekulative, oft oder fast immer um kriminelle Machenschaften an internationalen Finanzmärkten.
Zu einem richtigen Finanz-Thriller gehört die große und undurchsichtige Welt der Wirtschaft und Politik, deren Akteure oft - einzeln oder wahrscheinlich allesamt - in irgendeiner, meist nie nachweisbarer Form in dubiose Finanzgeschäfte verwickelt sind. Folgerichtig ist der Auftakt des Buches eine Mauerschau im spannenden, populistischen Thrillerjargon über die Machenschaften von mehr oder weniger bekannten Spekulanten oder, hier besser passend, Finanzjongleuren, die Börsen und Banken dreist manipulierten. Die Requisiten am Tatort sind bekannt und immer dieselben: Spekulation, Anlagebetrug, Geldwäsche, Verstrickungen in die internationalen Machtzentralen.
Zweifellos ist der Finanzmarkt ein geeignetes Refugium für Spekulanten und Manipulatoren, denn die Auflösung des Kapitals in die Unsichtbarkeit globaler Kontenvorgänge, die internationalen Verkettungen des Marktes, einem monetären Irrgarten gleich, und seine psychologischen Mechanismen haben Produkte und Möglichkeiten geschaffen, die einem Mix aus Cleverness, Insiderwissen und kriminellem Potenzial den Weg bereiten können.
Doch Vorsicht: Der Finanzmarkt und seine Produkte sind dazu da, so viel und so schnell wie möglich Geld zu machen. Spekulationen gehören dazu; sie sind notwendig, um den Markt in Gang zu halten und oftmals sorgen sie für die notwendigen Ausgleichsbewegungen.
Kritisch wird es, wenn Spekulationen zum Massentrend werden. Diese Hebelwirkung, selbst nur als Gerücht, ist fähig, Unternehmen, Banken und sogar ganze Volkswirtschaften empfindlich zu treffen. Hetzer hat natürlich Recht, wenn er dann von "Spekulationskultur" und "Casinowirtschaft" berichtet, die nichts mit ökonomischer Realität gemein haben. Dennoch muss man verstehen lernen, dass der Finanzmarkt ein eigenständiger, virtueller Kosmos geworden ist, der seinem spekulativen Charakter folgt statt wirtschaftlicher Realentwicklung.
Die Ursache liegt in der rasanten Metamorphose der letzten drei Jahrzehnte. Der altehrwürdige Finanzmarkt mit seinen konservativen Idealen hat sich seit Mitte der 70er-Jahre radikal verändert: Innovative Finanzprodukte drängen seither progressiv auf den Markt, immer neuere, international ausgerichtete Anlageoptionen sind entstanden, gemanagt von transnationalen und weitverzweigten Allfinanz-Konzernen.
Es geht schon lange nicht mehr um biedere Finanzströme zur Bezahlung von Waren oder um die langfristige Entwicklung von Unternehmen und Wirtschaftssystemen. In der Kapitalökonomie lautet die allgemeine Maxime für jeden, irgendwie an den Finanzströmen Anteil zu haben. Hetzer bestätigt: "Die Organisierte Kriminalität und die bürgerliche Erfolgsgesellschaft haben mindestens eine Gemeinsamkeit. Ihr jeweiliges Interesse an der Gewinnmaximierung und an der Minimierung der Steuerlast sind gleich groß." Dass Gier blind, taub und letztlich arm macht, weiß jeder, doch ihr entziehen können sich nur wenige, wie Hetzer im Kapitel "Hochstapler und Kaufleute" berichtet, wo er zeigt, dass und auf welch plumpe Weise kluge Kaufleute immer noch auf Versprechungen von Anlagebetrügern hereinfallen.
In einer schnelllebigen, technologisch urbanisierten Wettbewerbs-Welt wird der Kampf um Geld und Macht härter. Demzufolge verändern sich auch die Methoden. Grenzen verschwimmen und immer mehr mischen mit. Hetzer: "Es wird darum gehen, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem Verhalten eines Verdächtigen, welcher der Organisierten Kriminalität zuzurechnen ist, und einer Vielzahl von Managern, Bankern und Politikern zu diskutieren."
Die Organisierte Kriminalität nutzt Mittel und Methoden ihrer Zeit. Kontenwirrwarr, Verrechnungs- und Buchhaltungsmanöver, freizügige Offshore-Standorte und Steueroasen sowie Schattenwirtschaft und Steuerhinterziehung zeigen die moderne Geldwäsche als subtile Finanzstrategie innerhalb eines "komplexen Systems illegaler und legaler Aktivitäten, die untereinander verflochten und verwoben sind".
Über ihre Geldwäschepraxis integriert und etabliert sich die Organisierte Kriminalität in den ohnehin dschungelartig wuchernden Wirtschaftsstrukturen. Denn Geld wird nicht mehr als Geld gewaschen, sondern: "Funktionell ist die Geldwäsche die finanztechnische Ergänzung zum ungehinderten Spiel der Marktkräfte und seinen illegalen Ausprägungen. Sie ist gewissermaßen der Transformationsriemen zwischen einander widersprechenden gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Systemen."
So folgt auf diese nüchterne Erkenntnis ein skeptisches Schlussurteil des Autors über die Perspektive, Finanzkriminalität eindämmen zu können: "Sieht man in der Organisierten Kriminalität eine Radikalisierung wirtschaftlicher Prozesse, entstehen unkontrollierbare Wechselbeziehungen zwischen dem (noch) ehrbaren Kaufmann und dem (schon) salonfähigen Mafioso". Letzterer begegnet uns wohl immer öfter: "Bereicherung ist zum Daseinszweck oder gar Lebenssinn avanciert. Der Betrug ist zur Chiffre unserer Zeit geworden." Es ist ein Buch, das aufklärt, ganz entgegen dem Verdruss des im Epilog zitierten Kästner, der schließt: "Ach, ich und Menschen meines Schlages verstehn das nicht! Sie lesen's nur."
Wolfgang Hetzer
Tatort Finanzmarkt. Geldwäsche zwischen Kriminalität, Wirtschaft und Politik.
Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2003; 188 S., 14,90 Euro