Anfangs war das auch noch kein Problem: Die erste Stufe der Reform trat am 1. Januar 2001 in Kraft; damals wurde der Eingangssteuersatz für die niedrigsten Einkommen von 22,9 auf 19,9 Prozent gesenkt, der Spitzensteuersatz beläuft sich seitdem nur noch auf 48,5 statt wie vorher auf 51 Prozent. Für Januar 2003 war die nächste Stufe geplant. Sie wurde aber von der Flutkatastrophe in Ostdeutschland weggespült: Um die Mehrbelastungen der öffentlichen Kassen besser stemmen zu können, verschob die Bundesregierung die zweite Steuerreformstufe auf den 1. Januar 2004.
Für die aktuelle Entwicklung und den gefundenen Kompromiss gab die lahmende Konjunktur in Deutschland das Tempo vor: Regierung und Opposition waren sich einig, dass nur ein steigender Privatkonsum die Wirtschaft wieder ankurbeln könne. Aber nur derjenige gibt Geld aus, der auch welches übrig hat: So war die Idee geboren, die dritte und letzte Stufe der Steuerreform vorzuziehen und mit der verschobenen zweiten Stufe zusammenzulegen - um den Bürger zu entlasten und ihn zu mehr Konsum zu animieren.
Allerdings machte die Opposition einen Kompromiss in Sachen Steuerreform von der Frage der Finanzierung abhängig: Steuerentlastungen komplett auf Pump lehnten CDU und CSU ab. Im Vermittlungsausschuss einigte man sich daher darauf, statt der geplanten zwei Stufen 2004 nur 1½ Stufen der Reform zu realisieren und den Rest auf 2005 zu verschieben. So belaufen sich die Steuerentlastungen zunächst einmal nur auf rund 8,9 Milliarden Euro - und müssen so nur noch zu einem Teil durch neue Kredite finanziert werden. Den Wegfall der Steuereinnahmen für den Staat sollen außerdem Privatisierungserlöse von rund fünf Milliarden Euro ausgleichen - und eine Liste von Subventionskürzungen, die die Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen und Hessen, Steinbrück (SPD) und Koch (CDU), erarbeitet hatten. Die Streichliste sieht vor, dass sämtliche Steuervergünstigungen in einem Schritt um jeweils zwölf Prozent abgebaut werden.
Mit dem Steuerkompromiss wurden zum 1. Januar 2004 die Steuertarife gesenkt: Der höchste Steuersatz der Einkommensteuer liegt nun bei 45 statt wie bisher 48,5 Prozent. Der niedrigste Steuersatz beläuft sich nunmehr auf 16 Prozent statt bislang auf 19,9 Prozent. Künftig muss generell erst ab einem Jahreseinkommen von 7.664 Euro Einkommensteuer gezahlt werden. Dieser so genannte Grundfreibetrag, der ohne jegliche Steuerbelastung bleibt, wurde um mehr als 400 Euro erhöht.
Mit der Ende Dezember 2003 auf den Weg gebrachten Steuerreform sollen laut Bundesfinanzminister Eichel alle Steuerzahler seit Januar mehr netto auf dem Konto haben. Die Bundesbürger jedoch beurteilen den im Vermittlungsausschuss gefundenen Kompromiss mit Skepsis: Laut einer Umfrage des Forsa-Instituts glauben 63 Prozent der Befragten nicht, dass das Steuerreformpaket zu mehr Wachstum oder Beschäftigung führen wird. Zudem ist ein Großteil der Bevölkerung enttäuscht über den Umfang der Entlastungen. Insgesamt 45 Prozent der Befragten hatten sich mehr Geld im Portemonnaie erhofft.
Geld für Geschenke hatte Bundesfinanzminister Eichel aber eigentlich auch gar nicht. Da die Entlastungen der Steuerreform finanziert werden mussten, muss der Bund nicht nur Teile seines Vermögens verkaufen und neue Schulden aufnehmen. Viele lieb gewonnene Zulagen, Freibeträge und Pauschalen fielen dem Rotstift der Subventionskürzungsliste zum Opfer.
So gehören Pendler zu den Verlierern der Steuerreform. Denn sie können ihre Kosten für die Fahrt zur Arbeit künftig nur noch sehr begrenzt steuerlich geltend machen. Das ist ein Teil des Preises, der für die Senkung der Einkommensteuertarife gezahlt werden musste. Bis Jahresende 2003 konnten für die ersten zehn Kilometer der einfachen Fahrt zur Arbeit 36 Cent und für die darüber hinaus gehenden Kilometer 40 Cent geltend gemacht werden. Ab diesem Jahr sieht das anders aus: Denn nun kann der Arbeitnehmer bei seiner Steuererklärung nur noch 30 Cent pro Kilometer bei der Entfernungspauschale ansetzen. Das führt beispielsweise bei einem Arbeitnehmer, der 50 Kilometer am Tag zu fahren hat - in Ballungsgebieten eine durchaus übliche Entfernung -, dazu, dass die Entlastung für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sich um rund 180 Euro pro Jahr verringert. Zudem darf der Arbeitnehmer maximal 4.500 Euro pro Jahr bei der Steuererklärung geltend machen, wenn er kein Auto benutzt. Bis Ende vergangenen Jahres belief sich diese Höchstgrenze bei der Pendlerpauschale noch auf 5.112 Euro.
Auch das Jobticket, das bislang steuerfrei war, bietet künftig weniger Möglichkeiten für Pendler. Denn die Steuerbefreiung der Zuschüsse für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist komplett gestrichen worden. Das Jobticket unterliegt künftig nur noch den steuerbegünstigten Sachbezügen, die der Arbeitgeber seinem Beschäftigten gewähren kann. Allerdings wurde der Steuerfreibetrag dafür - ebenfalls mit der Steuerreform - von 50 auf 44 Euro pro Monat gesenkt. Ob Jobticket oder Benzingutschein: Alles, was 44 Euro im Monat übersteigt, muss also künftig ganz normal versteuert werden.
Leistungen, die Arbeitnehmer von ihrem Chef erhalten, sind somit künftig steuerlich weniger begünstigt: Davon sind unter anderem auch Belegschaftsrabatte, Heirats- und Geburtshilfen, Sachprämien oder Vermögensbeteiligungen am eigenen Betrieb betroffen. Zuschläge für Nachtarbeit sowie die Arbeit an Sonn- und Feiertagen sind künftig nicht mehr unbegrenzt steuerfrei, sondern nur noch bis zu einem Stundenlohn von 50 Euro. Auch wer den Betrieb verlässt, ist finanziell von den Kürzungen bei den Steuervergünstigungen betroffen: Der Freibetrag für Abfindungen wurde von 8.181 Euro auf 7.200 Euro gesenkt. Für ältere Arbeitnehmer belaufen sich die steuerlichen Freigrenzen nun auf 9.000 Euro (ab dem 50. Lebensjahr) beziehungsweise auf 11.000 Euro (ab dem 55. Lebensjahr).
Wer privat fürs Alter vorsorgt, kann dies künftig nur noch in begrenztem Maße bei der Steuererklärung geltend machen: Konnten bis Ende vergangenen Jahres Lebensversicherungen und private Rentenpolicen steuerlich noch komplett abgesetzt werden, ist dies nun nur noch bis zu 88 Prozent der Summe möglich. Zudem wurde der Sparerfreibetrag gekürzt, und zwar auf 1.370 Euro für Ledige und 2.740 Euro für Verheiratete. Vom Rotstift ebenfalls betroffen: die Arbeitnehmersparzulage, also die Förderung der vermögenswirksamen Leistungen: Der begünstigte Sparbeitrag wurde von 480 auf 470 Euro gesenkt, zudem wurde der Zulagensatz von zehn auf neun Prozent gekürzt. Damit reduziert sich für den Arbeitnehmer die maximale Zulage von 48 Euro auf 42,30 Euro pro Jahr.
Auch für Unternehmen ändert sich einiges: Bislang durften Firmen alle im zweiten Halbjahr angeschafften Maschinen und Anlagen in dem betreffenden Jahr mit der Hälfte des Jahresbetrags abschreiben. Das geht jetzt nicht mehr: Nun muss das Unternehmen den Monat angeben, in dem investiert wurde - und darf die Abschreibung nur noch anteilsmäßig geltend machen. Zu den schlechten Nachrichten für Unternehmen gehört auch, dass der Verlustvortrag per Steuerreform beschränkt wurde. Jenseits eines Sockelbetrags von einer Million Euro sind ab jetzt 40 Prozent des Gewinns steuerpflichtig, egal wie viele Verluste im Vorjahr gemacht wurden. Lebens- und Krankenversicherungsunternehmen müssen ihre Beteiligungserträge ab diesem Jahr zu 100 Prozent versteuern - allerdings können sie nun auch Verluste und Wertminderungen aus den Beteiligungen steuermindernd absetzen.
Auch Unternehmensnachfolger sind von den Kürzungen betroffen: Der Freibetrag bei der Erbschaftsteuer wurde für Betriebsvermögen von 256.000 Euro auf 225.000 Euro gesenkt. Im Erbfall muss die Erbschaftsteuer nämlich aus dem Betriebsvermögen entrichtet werden - den Freibetrag gewähren die Finanzämter darüber hinaus nur unter der Voraussetzung, dass das Betriebsvermögen mindestens fünf Jahre in der Nachfolgegeneration erhalten bleibt.
Der Rotstift bei den Steuervergünstigungen trifft aber auch Selbstständige und Freiberufler: Hier sind es insbesondere Geschäftsessen und Kundengeschenke, die künftig nur noch begrenzt steuerlich abzugsfähig sind. So können Bewirtungskosten nur noch zu 70 Prozent bei der Steuer geltend machen - und Geschenke nur noch bis zu einem Betrag von 35 Euro. Immerhin blieben sie von einer Ausweitung der Gewerbesteuer verschont: Diese ist ebenso vom Tisch wie die Berücksichtigung von Zinsen, Pachten, Mieten und Leasingraten bei der Gewerbesteuer. Dafür bleibt den Kommunen mehr Geld aus dieser Steuer, nur noch 20 statt bislang 28 Prozent werden über das Umlageverfahren an Bund und Länder verteilt. So erhalten Städte und Gemeinden die ihnen zugesagte Entlastung von rund 2,5 Milliarden Euro in diesem Jahr; ab 2005 soll sich die jährliche Entlastung der kommunale Kassen sogar auf rund 3 Milliarden Euro belaufen.
Von den Kürzungen zur Finanzierung der Steuerreform sind auch staatliche Zuschüsse betroffen - Beispiel Erziehungsgeld: Hier wurden die Einkommensgrenzen für Eltern gesenkt. Das bedeutet, dass künftig nur noch Eltern mit einem pauschalisierten Jahres-Nettoeinkommen bis 30.000 Euro einen Anspruch auf Erziehungsgeld haben. Bislang belief sich diese Grenze noch auf 51.130 Euro. Bei Alleinerziehenden wird die Einkommensgrenze von 38.350 Euro auf 23.000 Euro Jahreseinkommen gesenkt. Auch das Erziehungsgeld selbst wurde - wenn auch geringfügig - zusammengekürzt: Bis zum Ende des zweiten Lebensjahres des Kindes zahlt der Fiskus 300 statt bislang 307 Euro im Monat. Eltern, die sich von vorneherein nur auf ein Jahr Erziehungsgeld festlegen, erhalten 450 Euro monatlich statt bislang 460 Euro.
Die Kürzungen bei der Eigenheimzulage werden sich dagegen erst mit den Jahren auswirken. Denn alle, die bis zum Jahresende 2003 einen notariellen Kaufvertrag haben beglaubigen lassen oder mit dem Bau begonnen haben, kommen noch acht Jahre lang in den Genuss der alten Förderung. Seit dem 1. Januar 2004 aber gelten für alle, die sich nun für den Kauf oder Bau eines Hauses oder einer Wohnung entscheiden, neue Spielregeln. Künftig wird nicht mehr unterschieden, ob Alt- oder Neubau erworben wird. Ab sofort wird einheitlich gefördert, und zwar über acht Jahre mit einem Betrag von 1.250 Euro pro Jahr. Vor allem für Bauherren und Käufer einer neuen Eigentumswohnung ergeben sich hier kräftige Einbußen. Denn früher belief sich die jährliche Förderung für Neubauten immerhin auf 2.556 Euro. Und diejenigen, die das eigene Heim um beispielsweise einen Dachausbau oder den Anbau einer Einliegerwohnung erweitern wollen, gehen künftig leer aus. Denn Ausbau und Erweiterungen fallen komplett aus dem Förderrahmen heraus. Zugleich wurden die Einkommensgrenzen, die für den Bezug der Eigenheimzulage nicht überschritten werden dürfen, gesenkt, und zwar auf 70.000 Euro für Alleinstehende (bislang 81.807 Euro) und 140.000 Euro für Ehepaare (bis 2003: 163.614 Euro). Bei den Einkommensgrenzen werden die Einkünfte aus zwei Jahren zusammengerechnet - daran hat sich nichts geändert. Für Familien gibt es allerdings eine gute Nachricht: Mit jedem Kind erhöht sich diese Einkommensgrenze nach wie vor um 30.000 Euro. Und die Kinderzulage der Eigenheimförderung, das so genannte Baukindergeld, wurde auf 800 Euro erhöht.
Immerhin: Wer auf Eigentum spart, kann dies auch weiterhin mit der Wohnungsbauprämie tun. Denn die ist - entgegen ersten Planungen - nicht dem Rotstift zum Opfer gefallen. Gekürzt wurde aber auch hier: Bausparverträge werden künftig pro Jahr nur noch mit bis zu 45 Euro bei Ledigen gefördert, bei Verheirateten beläuft sich die Wohnungsbauprämie künftig nur noch auf 90 Euro pro Jahr. Von den Kürzungen sind auch laufende Verträge betroffen.
Die Entlastung durch die Steuerreform ist daher bei weitem nicht so hoch wie erhofft. Niedrigere Freibeträge zehren den Gewinn wieder auf. Der psychologische Effekt könnte viele dazu veranlassen, das Geld lieber auf ein Sparkonto zu legen als es für privaten Konsum auszugeben. Abzuwarten bleibt in dieser Hinsicht der vorläufig letzte Akt der Steuerreform, wenn Anfang 2005 die Einkommensteuertarife ein weiteres Mal gesenkt werden: Der Eingangsteuersatz beträgt ab dem 1. Januar 2005 auf 15 Prozent, der Spitzensteuersatz beläuft sich dann auf 42 Prozent.
Die "Agenda 2010" ist in Sachen Steuern dann abgeschlossen - die Diskussion um eine grundlegendere Steuerreform noch lange nicht. Dass eine Steuerreform nicht zwangsläufig mit Steuerausfällen verbunden sein muss, rechnet der Finanzwissenschaftler Paul Kirchhof vor: Wenn mit einem konsequenten Steuervergünstigungs- und Subventionsabbau wirklich jeder sein Privileg verliert, können noch niedrigere Einkommensteuersätze vielleicht schon in naher Zukunft ohne schmerzhafte Gegenfinanzierung steuerliche Realität werden.
Constanze Hacke arbeitet als freie Wirtschaftsjournalistin in Köln.