Auch wenn aktuell also kein Grund zur Sorge bestehen mag: Nach den heftigen politischen Diskussionen und immer neuen Plänen zur Stabilisierung der gesetzlichen Rentenversicherung, teils verworfen, teils verwirklicht, beobachten Rentner wie Beitragszahler zu Recht aufmerksam die Situation. Schließlich hatte die Bundesregierung nur durch energisches Gegensteuern zum Jahresende 2003 eine Erhöhung des Beitragssatzes vermeiden können.
Für die Rentnerinnen und Rentner hat dieses Gegensteuern jedoch eine Reihe von neuen finanziellen Belastungen zur Folge. Formal gesehen gibt es zwar keine Rentenkürzung. Dennoch werden alle Rentenempfänger in diesem Jahr reale Einbußen hinnehmen müssen. Denn sie haben bei nicht nur eine "Nullrunde", sondern vor allem eine gekürzte Betriebsrente zu ertragen. Weitere Einschnitte in den nächsten Jahren stehen bevor.
Am 19. Dezember 2003, gesetzgeberisch in letzter Minute, hatte der Deutsche Bundestag ein neues Rentengesetz ("Zweites und drittes Änderungsgesetz zum Sozialgesetzbuch VI") verabschiedet. Die wohl wichtigste Maßnahme besteht darin, dass die zum 1. Juli übliche Erhöhung der gesetzlichen Rente komplett ausfällt. Das ist ein gewichtiger Eingriff in ein System, das seit Jahrzehnten vom Vertrauen in die alljährliche Anhebung der Rente entsprechend der Lohnerhöhung lebt. Die nächste Rentenanpassung ist wieder für das Jahr 2005 vorgesehen.
Seit Jahresbeginn erhalten alle Neurentner zudem ihre gesetzlichen Altersbezüge erst zum jeweiligen Monatsende ausgezahlt. Für alle, die schon vor dem Jahr 2004 eine Rente bezogen haben, bleibt es dabei, dass die Rente bereits am Monatsersten ausgezahlt wird. Außerdem wird die Schwankungsreserve, der Notgroschen der Rentenversicherung, von 50 auf 20 Prozent einer Monatsausgabe gesenkt. In früheren Jahrzehnten betrug diese Reserve noch bis zu drei Monatsausgaben.
Mit Hilfe dieser Maßnahmen konnte der Rentenbeitragssatz zuletzt bei 19,5 Prozent vom Bruttoeinkommen gehalten werden. Ohne diese Maßnahmen hätte er den Berechnungen des VDR zufolge auf 20,3 Prozent steigen müssen, was ein neuer Rekord gewesen wäre. Die Bundesregierung hatte eine Erhöhung der Lohnnebenkosten vermeiden wollen.
Schwerer als die "Nullrunde" dürfte Millionen von Rentnern jedoch treffen, dass sie einen deutlich höheren Beitrag zur Stabilisierung der Krankenkassen und der Pflegeversicherung leisten sollen. So ist auf Betriebsrenten nicht mehr der halbe, sondern seit Januar der volle Krankenkassenbeitrag abzuführen. Im Durchschnitt sind also statt sieben nunmehr 14 Prozent Krankenkassenbeitrag zu zahlen. Das hatten am 26. September 2003 SPD, Grüne und CDU/CSU mit dem Gesundheitsreformgesetz beschlossen. Für eine Einmal-Kapitalauszahlung aus einer betrieblichen Direktversicherung ist der Beitrag sogar von Null auf 14 Prozent gestiegen. Auch wenn die Erhebung auf zehn Jahre verteilt wird, mindert sich eine Nettoauszahlung von beispielsweise 60.000 Euro um mehr als 8.000 Euro. Die Krankenkassen erwarten aus dieser Regelung jährliche Mehreinnahmen von 1,6 Milliarden Euro. Darüber hinaus müssen alle Rentner vom 1. April an den vollen Beitrag zur Pflegeversicherung von derzeit 1,7 Prozent zahlen. Die hälftige Finanzierung durch den Rentner und Rentenversicherungsträger entfällt.
Hintergrund beider Maßnahmen ist, dass Rentner nur noch rund 40 Prozent der von ihnen verursachten Gesundheitskosten selbst decken - eine Folge auch der gestiegenen Lebenserwartung. In früheren Jahren lag der Eigenfinanzierungsanteil der Rentner bei über 60 Prozent.
Bei den höheren Krankenkassenbeiträgen auf die Betriebsrente ist das letzte Wort eventuell noch nicht gesprochen, auch wenn die Bundesregierung nachträgliche Änderungen ablehnt. Doch die Verärgerung der Betroffenen ist groß, Sozialverbände und Gewerkschaften üben erheblichen Druck auf Politiker und Krankenkassen aus.
Als problematisch gilt vor allem die Kurzfristigkeit der Maßnahme. Selbst die Bundestagsabgeordneten, die die Gesundheitsreform verabschiedet hatten, sollen von dem Betriebsrenten-Passus überrascht gewesen sein. Der Punkt war dem Vernehmen nach in keiner Anhörung angesprochen worden.
Einzelne Politiker der SPD und der Union sprachen sich bereits für eine Rücknahme der Regelung aus. Die FDP will die großen Parteien mit einem entsprechenden Gesetzesantrag vor der Sommerpause dazu zwingen, Farbe zu bekennen. Nur die Grünen lehnen Änderungen rundweg ab.
Gleichzeitig bereiten Krankenkassen und Gewerkschaften unter dem Druck der verärgerten Betriebsrentner in einer Art konzertierter Aktion eine Reihe von Musterklagen vor, um die Neuregelung zu Fall zu bringen. Eine Krankenkasse warnte zwar, eine Rücknahme könne Beitragserhöhungen nach sich ziehen. Doch die Kassen wollen offenbar lieber diesen Fall in Kauf nehmen, als sich millionenfachen Einsprüchen von Rentnern ausgesetzt zu sehen. Die Stichworte der Betroffenen und ihrer Anwälte für die Sozialrichter, die sich demnächst wohl damit beschäftigen werden, lauten "doppelte Beitragserhebung", nämlich zunächst in der Ansparphase und jetzt in der Rentenbezugsphase, sowie "fehlende Übergangsregelung" und "mangelnder Vertrauensschutz".
Gerade der letzte Punkt ist entscheidend, und zwar auch dann, wenn er nicht justitiabel wäre, argumentieren Kritiker wie die Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersvorsorge: Die von Politikern aller Parteien betriebene Ermunterung an die Bürger, stärker auf die betriebliche Altersvorsorge zu setzen, werde ad absurdum geführt, wenn die höhere Betriebsrente vor allem zur Rettung der Krankenkassen-Finanzen herhalten soll.
Eher nebensächlich machen sich dagegen einige Verbesserungen für Rentner aus. So kommen diese ab sofort schneller in den Genuss von - seitens der Bundesregierung erwarteten - Senkungen der Krankenkassenbeiträge. Bislang wurde eine Beitragssenkung erst sechs Monate später an Rentner weitergegeben, ab sofort gilt der neue Beitragssatz schon nach drei Monaten. Der Haken an der Neuregelung besteht darin, dass auch Beitragserhöhungen künftig schneller weitergegeben werden.
Derweil kommen auf Rentner schon wieder neue Belastungen zu. Bereits im kommenden Jahr soll der Besteuerungsanteil bei Leibrenten, also Betriebsrenten und Renten aus Lebensversicherungen, von rund 30 auf 50 Prozent steigen. Das sieht das Alterseinkünftegesetz vor, das von Bundestag und Bundesrat noch vor der Sommerpause verabschiedet werden soll. Die Bundesregierung will damit die Umstellung auf die - vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene - nachgelagerte Besteuerung einleiten: Künftig sollen alle Altersvorsorgeleistungen bis 2025 schrittweise steuerfrei gestellt werden, die Renten selbst, ob gesetzlich, betrieblich oder privat, werden stufenweise bis 2040 mit der "normalen" Einkommensteuer belegt. Die Änderung bedeutet in den allermeisten Fällen keine höhere Steuerbelastung als heute. Betroffen wären etwa 1,3 Millionen Bezieher höherer Renten mit einigen hundert Euro Einkommensverlust im Jahr.
Die durchschnittliche Lebenserwartung steigt erfreulicherweise weiter an. Aus diesem Grund sowie auf Grund der niedrigen Geburtenrate wird sich jedoch zunehmend das Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentenempfängern verschlechtern. Mehr Einwanderung im großen Stil bietet nach Ansicht von Wissenschaftlern keine Lösung, allein, weil aus jungen Einwanderern eines Tages auch Rentenempfänger werden. Den Rentnern von heute und vor allem von morgen stehen daher weitere Belastungen und Kürzungen bevor.
Der Balanceakt, den jede Regierung - und, in ihren Ankündigungen und eigenen Gesetzesanträgen, jede Opposition - derzeit zu bewerkstelligen hat, besteht darin, einen Weg zu finden, bei dem die Rente langfristig bezahlbar und gleichzeitig der Rentenbeitragssatz möglichst stabil bleibt, wobei unter "stabil" allgemein eine Beitragshöhe unterhalb von 20 Prozent verstanden wird.
Die Bundesregierung setzt dafür mit dem geplanten Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz an mehreren Hebeln an. So soll die bisherige Frührente mit 60 für Altersteilzeit oder wegen Arbeitslosigkeit nach einer Übergangsfrist abgeschafft werden. Vom Jahr 2009 an ist demnach ein Rentenbeginn erst ab dem 63. Lebensjahr möglich, und das auch nur mit Abschlag. Ferner soll, wer ab 2008 in Rente geht, auf die bisher bis zu drei Jahre rentensteigernde Bewertung für Realschul-, Gymnasial- und Studienzeit verzichten müssen. Die bisherige Höherbewertung von Lehrlingszeiten wegen des niedrigen Verdiensts in dieser Zeit soll ebenfalls entfallen.
Vor allem soll nach den Regierungsvorstellungen die Rentenformel ab 2005 einen neuen Nachhaltigkeitsfaktor enthalten. Dieser Faktor würde in seiner Wirkung dem von der Regierung Kohl 1998 eingeführten, von der rot-grünen Regierung aber sofort wieder abgeschafften Demografiefaktor ähneln. Über den Nachhaltigkeitsfaktor fiele die Rentensteigerung umso geringer aus, je ungünstiger sich das Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentnern entwickelt. Sowohl eine binnen Jahresfrist gestiegene Arbeitslosigkeit als auch die langfristig steigende Rentnerzahl wirkten sich demnach künftig rentenanstiegsmindernd aus. Die Schwankungsreserve will die Bundesregierung in "Nachhaltigkeitsrücklage" umbenennen und wieder auf eineinhalb Monatsausgaben aufstocken.
Bestehen bleibt derweil für Männer die Regelaltersgrenze von 65 Jahren für die Rente ohne Abschlag. Die Diskussion um eine Erhöhung dieser Grenze auf 67 Jahre bis zum Jahr 2030 wurde auf die Zeit nach der nächsten Bundestagswahl 2006 vertagt.
In der SPD-Bundestagsfraktion gibt es allerdings Widerstand gegen den Gesetzentwurf der eigenen Bundesregierung. Rentnern sollen demnach jetzt keine neuen Härten zugemutet werden. Auch der Nachhaltigkeitsfaktor ist SPD-intern umstritten. Dafür wird in den Reihen der SPD-Fraktion die Einführung einer Rentenniveau-Sicherungsklausel erwogen, wie sie auch von den Gewerkschaften gefordert wird. Demnach soll das Bruttorentenniveau, derzeit etwa 70 Prozent des letzten Lohns, nicht unter 40 Prozent fallen. Nach aktuellen Berechnungen wäre diese Grenze etwa 2030 unterschritten.
Die Union lehnt die Renten-Pläne der Regierung rundweg ab. Das betrifft sowohl den Nachhaltigkeitsfaktor, den die CDU/CSU-Fraktion für nicht ausgereift hält, als auch die geplanten Kürzungen beispielsweise für Universitätsabsolventen. Unionspolitiker verweisen auf mangelnden Vertrauensschutz; die Rentenminderung würde bis zu rund 60 Euro im Monat ausmachen. Auch sind die christdemokratischen Parteien gegen die Sicherungsklausel, weil sie ihrer Ansicht nach zu Beitragssteigerungen führen und den Bürgern ein falsches Sicherheitsgefühl vermitteln würde, das sie von der privaten Altersvorsorge abhalten könnte. Schließlich lehnen CDU und CSU auch die höhere Besteuerung gutsituierter Betriebsrentner von 2005 an ab.
Mit eigenen Vorstellungen halten sich CDU und CSU zurück. Erst einmal sei die Bundesregierung aufgefordert, die von ihr selbst geschaffenen Rentenprobleme kurzfristig zu beheben, heißt es zur Begründung. Als handfestes Ziel strebt die größte Oppositionsfraktion eine deutlich verbesserte Anerkennung von Familienleistungen in der Rente an.
Die FDP will den Rentenbeitrag dauerhaft unter 20 Prozent halten. Gleichzeitig soll der Anteil der privaten und der betrieblichen Altersvorsorge an der Gesamtrente bis 2030 von rund 30 auf 50 Prozent steigen, entsprechend soll der Anteil der gesetzlichen Rente von 70 auf 50 Prozent sinken. Alle Altersvorsorgeleistungen sollen schrittweise steuerfrei gestellt werden. Das betrifft nach Vorstellungen der FDP jede Vorsorgeform, sofern sie nachweislich zweckgebunden fürs Alter angespart wird, gleich, ob es sich um Bundesschatzbriefe, betriebliche Vorsorge, gesetzliche Rente, Wohneigentum oder gar Aktien handelt.
Bündnis 90/Die Grünen tragen das Renten-Nachhaltigkeitsgesetz im Großen und Ganzen mit. Das betrifft insbesondere den Nachhaltigkeitsfaktor und die Abschaffung der Anreize zur Frührente. Ein Problem hat der kleine Koalitionspartner damit, dass schulische Ausbildung in der Rente künftig weniger gelten soll als die betriebliche Ausbildung: "Es sind besonders Frauen, die häufiger in Schulen ausgebildet werden und Berufe wie Erzieherin, Hebamme oder Logopädin erlernen." Fernziel der Grünen ist die Einführung einer Bürgerversicherung, bei der auch Selbständige, Beamte und Politiker Beiträge für eine gesetzliche Rentenkasse leisten müssen.
Derweil ist Deutschland von einer Rentenarmut noch weit entfernt. Nach einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) vom Februar 2004 ist die Mehrzahl älterer Menschen finanziell sogar deutlich besser gestellt als junge Familien. Seit Mitte der 1980er-Jahre konnten die Senioren ihre Einkommensposition außerdem deutlich verbessern, während junge Menschen seither eine Stagnation oder gar Verschlechterung hinnehmen mussten. Fazit des DIW: Es gibt noch erheblichen "Spielraum für eine Reform der steuerlichen Behandlung der Alterseinkünfte".
Alexander von Gersdorff ist Wirtschaftsredakteur bei der Tageszeitung "Die Welt" in Berlin mit Schwerpunkt Wirtschafts- und Sozialpolitik.