Freiheit, Wohlstand und nachhaltige Entwicklung sind nur in einem Umfeld von Sicherheit zu erreichen." So sprach Bundeskanzler Gerhard Schröder am 19. Januar vor der African Union in Addis Abeba. Es gibt einen neuen Zungenschlag in der deutschen Afrikapolitik. Mehr und mehr im Vordergrund stehen heute die Sicherheitsrisiken im und aus dem Nachbarkontinent. Das zeigte sich besonders bei der Station der Kanzlerreise in Kenia, das 1998 und 2002 Ziel schwerer terroristischer Anschläge geworden ist. Gerhard Schröder würdigte denn auch den kenianischen Kampf gegen den Terrorismus. Ist das nur einer kurzfristigen Konjunktur geschuldet? Hat sich tatsächlich etwas in Afrika und in der deutschen Afrikapolitik geändert?
Afrikapolitik galt in Bonn - und anfangs auch in Berlin - als ein recht verstaubtes und wenig kontroverses Thema. In knappen Worten schien es möglich, den Gegenstand abzuhandeln: Dominanz der Entwicklungszusammenarbeit vor der Diplomatie, niedriges Profil im europäischen Konzert, stetiger Rückgang der wirtschaftlichen und - spätestens nach 1989 - auch politischen Interessen Deutschlands am Nachbarkontinent sowie Desinteresse einer breiteren Öffentlichkeit trotz unvermindert hoher Spendenbereitschaft. Nun haben sich doch neue Entwicklungen ergeben, die zu leicht anderen Einschätzungen Anlass geben. Das zeigt auch die erwachte Debatte in Wissenschaft und Publizistik. Eine Reihe von Papieren wurde jüngst erregt debattiert. Nicht nur das konkrete Handeln, sondern auch die Problemanalyse wird kontrovers beurteilt. Grob lassen sich zwei Positionen unterscheiden: Betont die eine Seite das Vorhandensein bedeutsamer Entwicklungspotenziale, so verweist die andere auf die Regelmäßigkeit, mit der selbst die zu Hoffnungsfällen erhobenen Länder verheerende Rückschläge erleiden. Für die Standortbestimmung deutscher Afrikapolitik ist eine realistische Einschätzung des Gegenstands dieser Politik aber entscheidend, daneben sicherlich auch die Einschätzung der eigenen Möglichkeiten sowie die Abgrenzung und Einfügung innerhalb multilateraler Rahmensetzungen.
Zu Beginn der 90er-Jahre kam es zu ersten Bewegungen: Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) legte im Herbst 1991 fünf Kriterien vor, nach denen Partnerländer zu beurteilen und mit mehr oder weniger Hilfe zu bedenken seien: 1. Achtung der Menschenrechte, 2. Beteiligung der Bevölkerung, 3. Rechtsstaatlichkeit und Gewährleistung von Rechtssicher- heit, 4. Schaffung einer marktfreundlichen und sozialorientierten Wirtschaftsordnung, 5. Entwicklungsorientierung des staatlichen Handelns. Diese Liste von Kriterien, denen nachvollziehbare Indikatoren zugeordnet wurden, galt weltweit und war insofern kein Ersatz für ein Afrikakonzept. Eine konsequente Anwendung der Kriterien auf alle afrikanischen Partnerländer wurde auch eher vermisst.
Das Auswärtige Amt hatte über lange Jahre aus pragmatischen Überlegungen eine zu eindeutige Festlegung abgelehnt. Hochgehalten wurden die "Leitlinien von Accra", die auf einer Botschafterkonferenz in der Hauptstadt Ghanas (17. - 21. Mai 1993) verabschiedet worden waren. Darin bekannte sich das Amt zu stärker nach Leistungen differenzierten bilateralen Beziehungen, Demokratisierung, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit, Konfliktbewältigung, Kriegsfolgen-beseitigung, fortgesetzten Wirtschaftsbeziehungen, Entwicklungszusammenarbeit und anderen Grundsätzen. Dies alles blieb vage und konnte ein Afrikakon-zept gleichfalls kaum ersetzen. Dann folgte die "Schwerpunktländersetzung" durch das BMZ, also eine Konzentration auf weniger Partnerstaaten. Künftig sollten "Partnerländer" nur in einem Sektor Unterstützung erfahren, die "Schwerpunktpartnerländer" in immer noch drei Sektoren, andere Ländern fielen ganz aus der Förderliste. Die Auswahl erfolgte auf intrans-parente Weise, zur Kenntnis genommen wurde aber offenbar, dass Verfallsprozesse zahlreiche "Partner" schwach, ineffizient und zu Kooperation unfähig gemacht hatten.
Eine wirkliche Zäsur bedeutete erst der 11. September 2001. Während zuvor noch das "Aktionsprogramm 2015" mit seinem Wunschlistencharakter im Vordergrund stand, heißt es nun aus dem BMZ "Entwicklungspolitik ist als globale Strukturpolitik das Kernelement nicht-militärischer präventiver Sicherheitspolitik" (Wieczorek-Zeul). Im Folgenden wurde aus dem Umfeld des Hauses gar einer gewissen "Militarisierung" der Afrikapolitik Vorschub geleistet, obwohl doch langfristig nur "strukturelle", sprich zivile Konfliktprävention Erfolg verheißt. Immerhin können stets kostspielige militärische Einsätze für eine kurzfristige Stabilisierung sorgen und sollten daher auch in das Spektrum der Handlungsmöglichkeiten einbezogen bleiben; als dominante Politik taugen sie nichts. Wie dem auch sei: Insgesamt steht aus guten Gründen der Aspekt physischer Sicherheit - zunächst der Afrikaner, mittelbar auch der Europäer - heute sehr viel stärker im Vordergrund der "Südpolitik". Dies gilt auch und vielleicht besonders für Afrika.
Das Auswärtige Amt entwickelte seinerseits Subregionalkonzepte, die zwischen Ost-, Süd-, West- und Zentralafrika uneinheitliche Problemlagen verdeutlichten - ein klarer Fortschritt im afrikapolitischen Denken. Einige Schwachpunkte in den Papieren konnten auf die Unsicherheit zurückgeführt werden, mit wem oder was man es eigentlich zu tun hat. Die pauschale Grundannahme, man selbst und der afrikanische Partner teilten ein gemeinsames Interesse an "Entwicklung", wurde und wird immer noch nicht deutlich genug hinterfragt - jedenfalls nicht in den offiziellen Papieren. Trotzdem bricht sich der "Afro-Realismus" allmählich Bahn.
Aus Afrika kommen zusätzlich neue Anforderungen. Mit der "New Partnership for Africa's Development" (NEPAD) stellten reformorientierte Regierungen des Kontinents im Oktober 2001 erstmals eine konsolidierte afrikanische Gesamtsicht der Entwicklungsperspektiven vor. Darauf mussten die G8-Staaten kollektiv und individuell reagieren. Im Falle Deutschlands variierte diese Reaktion von positiv mit einigen skeptischen Untertönen (AA) bis fast schon enthusiastisch (BMZ). Die Bundestagsfraktionen kommentierten NEPAD überwiegend freundlich. Das Prinzip der "African ownership" wurde dankbar aufgenommen, sobald afrikanische Regierungen aber nicht wie gewünscht agierten, hagelte es Kritik durch deutsche Abgeordnete. Besonders deutlich wurde das, als unter anderen die südafrikanische Regierung die Krise im Nachbarland Zimbabwe nur mit lauer Kritik an Präsident Mugabe bedachte.
Die Gründung der African Union (AU) als Nachfolgerin der oft kritisierten Organisation of African Unity (OAU) ist am Ende womöglich wichtiger als NEPAD, das letztlich "nur" ein Reformprogramm ist. Die AU schafft zumindest die Voraussetzungen für eine verbesserte Handlungsfähigkeit auf kontinentaler Ebene. Darauf reagierte die Bundesregierung ebenfalls mit neuen Angeboten. Die neuere deutsche Afrikapolitik steht aber auch vor der Herausforderung der Multilateralisierung: Während die Annahme, dass gemeinsames Handeln mehr Nachdruck erzeugen könnte, kaum zu bestreiten ist, müsste die bisherige Handhabung eben auch eine aktivere Einmischung des Mitgliedslandes Deutschland in den jeweiligen Gremien motivieren. Zum Beispiel kann mit dem Schlagwort Europäisierung nicht einfach die Abgabe von Kompetenzen und Verantwortung an Brüssel gemeint sein, ohne dass die EU-Politik kompetent von nationaler Seite begleitet und nach Maßgabe eigener Interessen und Werte auch beeinflusst wird. Dies gilt natürlich nicht nur für die Afrikapolitik. Woran es sichtbar auf europäischer Ebene, aber auch auf nationaler Ebene mangelt, ist Kohärenz: Die Vielfalt der deutschen Akteure in Afrika erschwert offensichtlich die Festlegung eines gemeinsamen Kurses.
Erfreulicherweise oft reisen deutsche Spitzenpolitiker nach Afrika - Bundespräsident, Entwicklungshilfeministerin, Außenminister und Kanzler gaben sich zu-letzt abwechselnd die Ehre, eine weitere Präsidentenreise ist in Vorbereitung. Es spricht viel dafür, dass die relative Bedeutung Afrikas für die Außenpolitik in den nächsten Jahren - von niedrigem Niveau ausgehend - zumindest leicht steigen wird. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass ein Ignorieren von Problemen nicht zu ihrem Verschwinden beiträgt. Die allmähliche Neubestimmung deutscher Afrikapolitik ist hoffentlich unumkehrbar, sie gründet auf der Anerkennung der tatsächlichen Funktionsweise afrikanischer Staaten und einer realistischen Analyse der Problemlagen, Schadenspotenziale und Zukunftschancen des Nachbarkontinents. Sie wäre aber effektiver, wenn sie zwischen den Ressorts eng abgestimmt wäre.
Dr. Andreas Mehler ist Direktor des Afrika-Instituts am Deutschen Übersee-Institut Hamburg.