Die Zeichen stehen auf Frieden im Sudan. In Nordkenia versuchen Rebellen und Regierung bei zähen Verhandlungen die letzten großen Hindernisse für ein umfassendes Friedensabkommen zwischen Nord und Süd aus dem Weg zu räumen. Offen ist die Frage nach der künftigen Machtverteilung. Die Sudanesische Volksbefreiungsbewegung (SPLM) fordert mehr Einfluss und Befugnisse bei Regierung und Verwaltung des Landes. Ihr Führer John Garang soll Vizepräsident des größten afrikanischen Flächenstaates werden. Die Herrschenden in Khartoum sind indes nur zögerlich willens, Macht und Pfründe zu teilen.
Offen sind auch die künftigen politischen und administrativen Grenzen einiger Provinzen im Südsudan. Der Grenzverlauf ist nicht unerheblich. Beide Seiten haben sich darauf verständigt, dass die Menschen sechs Jahre nach Unterzeichnung des Friedensabkommens über die mögliche staatliche Unabhängigkeit des Südens abstimmen werden.
Geeinigt haben sich Regierung und Rebellen nun auf den weitgehenden Truppenabzug des Nordens aus dem Süden. Von den derzeit knapp 103.000 Soldaten wird Khartoum nach Friedensschluss lediglich 12.000 im Süden belassen. Auch bei der paritätischen Teilung der Öleinnahmen konnten sich Nord und Süd verständigen. Der Erlös der täglich geförderten 250.000 Fass Öl wird je zur Hälfte zwischen Regierung und SPLM aufgeteilt.
Die insgesamt sehr positive Entwicklung im längsten Bürgerkrieg auf dem afrikanischen Kontinent wird indessen durch einen neuen blutigen Konflikt im Westen des Landes erheblich getrübt. In den Provinzen Nord-, West- und Süddarfur tobt seit knapp einem Jahr ein neuer Krieg. Die Lage ist dramatisch. Rund 700.000 der rund 2,1 Millionen Menschen in den Darfur-Provinzen sollen sich Berichten internationaler Hilfsorganisationen zufolge auf der Flucht befinden. Felder bleiben unbestellt, Ernten fallen aus, Vieh wird gestohlen, Menschen werden entführt und getötet. Im Westsudan droht eine Hungersnot. Die Gründe für den neuen Konflikt gleichen jenen im Süden: Vernachlässigung, Verarmung, Diskriminierung, Ausbeutung.
Es werde keinen umfassenden Frieden im Sudan geben, sagt Abdel Waheed el-Nur, Chef der Sudanesischen Befreiungsbewegung SLM, wenn die Regierung in Khartoum kein umfassendes Abkommen mit den Aufständischen im Westen aushandle. Aber die Regierung zeigt sich bislang taub. Mit den Rebellen im Süden setzt sie sich wegen des massiven amerikanischen und internationalen Drucks ins Benehmen. Die Aufständischen im Westen hingegen sind für sie Banditen und Terroristen. Keine Gespräche, keine Verhandlungen. Die Herrscher in Khartoum verfahren nach den alten falschen Rezepten: Sie schicken Truppen und be-waffnen arabisierte Viehzüchter.
Die Jamjaweed gehen mit großer Brutalität gegen afrikanische Bauern vor und vertreiben diese von ihrem Land. "Die Jamjaweed", so der aus Kutum in Norddarfur stammende Sa'id Fulan, "überfallen Dörfer und raffen alles von Wert an sich. Was sie nicht mitnehmen, das verbrennen sie. Danach töten sie die jungen Leute." Die Jamjaweed durchziehen als Nomaden den in der Sahelzone liegenden Nordwesten des Sudan. Jedes Jahr rückt die Sahara hier bis zu acht Kilometer nach Süden vor und raubt den Viehzüchtern kostbares Weideland. Diese versuchen sich an den Ackerbauern schadlos zu halten.
Einer der Gründe für die Rebellion im Süden, das hat Khartoums Außenminister, Mustafa Osman Ismail, unlängst bei den Friedensverhandlungen in Naivasha betont, sei die soziale Ungerechtigkeit bei der Teilung von Wohlstand und Macht. Man dürfe diesen Fehler nicht in anderen Teilen des Landes wiederholen. Doch genau das geschieht gegenwärtig im Westen. Statt eines fairen Anteils an Wohlstand und Reichtum bekommen die Menschen in Darfur Bomben auf ihre Dörfer.
Knapp zwei Milliarden Dollar nimmt der Sudan mittlerweile jährlich durch Verkauf von Öl ein. Die Hauptstadt boomt - davon zeugen Autohäuser, Villenviertel, Computerläden. Der Sudan ist dabei, den Pariastatus abzustreifen und in die Völkergemeinschaft zurückzukehren.
Bislang ist wegen des Krieges im Süden viel Geld in Rüstung und Waffen geflossen. Große Summen, meint Alfred Taban, Chefredakteur der zeitweilig verbotenen Oppositionszeitung Khartoum Monitor, flössen durch unkontrollierbare Kanäle in die Taschen der herrschenden Clique. Seit Jahren schon, so Taban, rede Khartoum davon, den Provinzen mehr Mittel und Macht zuzugestehen. Tatsächlich aber verarmten die Provinzen mehr und mehr. Viele Erwachsene wandern auf der Suche nach Arbeit und Einkommen ab. Die Gebildeten ziehen nach Khartoum. Wer sich mit dem Regime nicht arrangieren kann, geht ins Aus-land. "In Darfur", sagt Sa'id Fulan, "findest du nur noch Ungebildete, Alte und Kinder."
Nicht Ideologie oder ein großer Plan stecken hinter dem Vorgehen der Regierung, meint Joshua Dau Diu von der oppositionellen Union der Sudanesisch-Afrikanischen Parteien. "Ihre Kinder sind im Ausland und leben von dem großen Geld." Sozialismus, Kapitalismus, Islamismus, so Dau Diu, seien Ideologien, die von den Herrschenden in den vergangenen Jahrzehnten lediglich als Staffage benutzt worden seien, um die eigenen Taschen zu füllen. Der lange Krieg im Süden und der neue Krieg im Westen, stellt der Politikwissenschaftler Omar Abdel Wadud (Name geändert) fest, seien nur die augenfälligsten Merkmale für die Zerrissenheit des Sudan.
Nial Diu, ein Flüchtlingslager am Gazellenfluss in der Provinz Unity State - gut 1.000 Kilometer südlich der Hauptstadt Khartoum. Die Deutsche Welthungerhilfe verteilt hier Hilfsgüter wie Eimer, Zelte, Decken, Kleidung. In Unity State wird noch gekämpft. Süd kämpft hier gegen Süd. Rivalisierende Fraktionen der sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA) wollen ihre Positionen festigen.
Eine Kuh wechselt die Front, läuft über vom Gebiet der Lek zum Gebiet der Bul. Die Lek wollen sie wiederhaben. Aber Hirten der Bul weigern sich, das Rindvieh zurückzugeben. Fäuste, Steine, Speere fliegen. Dann greifen schwerbewaffnete Milizionäre ein. Der Streit wird zur Schlacht, die Schlacht zum Stammeskrieg, Tausende von Lek und Bul fliehen und leben nun friedlich Seite an Seite im Flüchtlingslager. Die Milizionäre aber schlagen noch immer aufeinander ein. Niemand ist da, um sie zu entwaffnen. Freiwillig werden diese jungen Männer, die nichts anderes gelernt haben, als zu kämpfen, ihre Waffen kaum abgeben. Lek und Bul gehören zum Volk der Nueer. Im Sudan leben knapp 600 Völker, Stämme und Unterstämme, die mehr als 130 verschiedene Sprachen sprechen.
In keinem Land Afrikas wird länger gekämpft als im Sudan - mit wenigen Jahren Unterbrechung seit der Unabhängigkeit von Großbritannien 1956. Die jüngste Runde der Gewalt zwischen Nord und Süd brach 1983 aus. Der damalige Staatschef Ja'afar al-Numeiri sprach dem Süden die zuvor blutig erkämpfte Autonomie ab, zog neue administrative Grenzen und erklärte die Scharia (Islamisches Recht) zur alleingültigen Ge-setzesgrundlage für den Sudan. Die Menschen im Süden begehrten auf, Rebellen wehrten sich gegen das Diktat aus dem Norden, der massiv zurückschlug. Gut zwei Millionen Menschenleben haben dieser Krieg und seine Folgen bislang gefordert, vier Millionen sind zu Flüchtlingen geworden.
Der Krieg zwischen dem afrikanischen Süden und dem arabisierten Norden hat tiefe Wunden geschlagen. Gegenwärtig ist es schwer vorstellbar, dass sich in sechs Jahren eine Mehrheit im Süden für einen Verbleib im sudanesischen Staatsverband finden wird. Jahrhunderte lang haben arabisierte Nordsudanesen die Menschen im Süden ausgebeutet, versklavt und unterdrückt. Die britischen Kolonialherren haben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts versucht, diesem Treiben einen Riegel vorzuschieben. Nach der Unabhängigkeit 1956 sind die alten Konfliktlinien aber wieder aufgebrochen. Sie verschärfen sich in den 80er-Jahren mit der Entdeckung und der Erschließung großer Rohstoffvorkommen im Süden. In den 90ern versuchten die regierenden Islamisten in Khartoum, ihren Feldzug um Rohstoffe, Ressourcen und die Vormachtstellung als Jihad (Heiliger Krieg) darzustellen.
Die Zukunftsaussichten im Süden sind alles andere als rosig. Weite Teile des Landes sind vermint, die Infrastruktur ist zerstört, intakte Schulen und Krankenhäuser finden sich kaum noch. Ob der Norden tatsächlich die Hälfte der Öleinnahmen an den Süden überweisen wird, ist keineswegs sicher. Und ob das Ölgeld auch da ankommt, wo es am dringendsten gebraucht wird - bei den einfachen Menschen, den Flüchtlingen, Schulkindern - ist sehr fraglich.
Die Lebensumstände in den von der SPLA kontrol-lierten Gebieten sind nicht besser als in den von der Regierung beherrschten Landstrichen. Auch hier fehlt es an Sicherheit und Arbeitsplätzen. Auch hier gibt es eine selbstherrliche Herrscherriege, die sich darauf versteht, den eigenen Vorteil zu suchen. Die Befreiungsbewegung steht nicht in geschlossener Nibelun-gentreue hinter ihrem Führer John Garang. Er ist Dinka und gehört zum Stamm der Bor. Zu offensichtlich, sagen seine Kritiker aus dem SPLA-Lager, versuche er Leute seines Stammes und Clans in einflussreiche Positionen zu hieven. Andere Dinka-Stämme kommen zu kurz. Ganze Regionen - wie die im äußersten Süd-osten gelegene Provinz Äquatoria - fühlen sich über-gangen. Demokratische Strukturen wird es nach Ein-schätzung von Chefredakteur Alfred Taban weder im Norden mit Staatschef Omar Hassan el-Bashir noch im Süden mit John Garang geben. Garang, meint Taban, habe großes Interesse an Demokratie im Norden. Aber aufgrund der massiven Menschenrechtsverletzungen, die seine Leute an der Bevölkerung im Süden begangen hätten und aufgrund der Sicherung der eigenen Machtansprüche, werde der Rebellenchef wohl kaum Demokratie im Süden zulassen.
Das Friedensabkommen zwischen Nord und Süd wird kommen. Vor allem, weil die USA Druck ma-chen. Schert Khartoum auf der Zielgeraden aus, dann droht Washington mit massiver Unterstützung der Rebellen im Süden. Ob mit dem Vertrag auch der Frieden kommt, ist keineswegs ausgemacht. Viele Waffen, Eigeninteressen, offene Rechnungen und ungesühnte Verbrechen hat das blutige Wüten in den vergangenen zwei Jahrzehnten hervorgebracht. Der Weg zur Aussöhnung im Sudan ist steinig.
Reinhard Baumgarten ist ARD-Hörfunkkorrespondent in Kairo.