Sascha Raabe müsste eigentlich ein glücklicher Politiker sein. Er kommt aus dem Main-Kinzig Kreis und erlebt als Sozialdemokrat, dass in seinem Wahlkreis das Thema Hartz IV, das viele in der Republik so erzürnt, positiv diskutiert wird.
Der Main-Kinzig-Kreis hat seit 1996 einen "Neue Wege"-Baukasten erprobt, um Langzeitarbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt zu bringen - mit Erfolg, wie die Zahlen belegen. "Wir haben über 3.600 Menschen aus der Dauerarbeitslosigkeit wieder in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt", so der Abgeordnete. Auf der einen Seite werde den Menschen geholfen, wenn es beispielsweise um die Bewältigung eines Suchtproblems geht oder um die Kinderbetreuung, und auf der anderen Seite würden Menschen gefördert und gefordert. Den Erfolg führt Raabe auf den Träger des Projektes zurück. Das ist der Kreis und nicht die Bundesagentur für Arbeit. "Wir arbeiten mit über 800 Unternehmen eng zusammen. Denn es gilt einen Handwerksbetrieb erstmal davon zu überzeugen, einen langzeitarbeitslosen Sozialhilfeempfänger einzustellen. Bei uns jedenfalls hat der Vermittler Zeit, sich um die Menschen zu kümmern, weil sein Betreuungskreis mit durchschnittlich 70 Menschen überschaubar ist. Eine so große Behörde wie die Bundesagentur kann das nicht leisten", so die Einschätzung des ehemaligen Bürgermeisters von Rodenbach.
Er jedenfalls hat keine Angst vor Hartz IV, wie die Arbeitsmarktreform bundesweit oft beschrieben wird. Raabe sieht den Main-Kinzig-Kreis als Vorbildregion. Andere werden folgen, da jetzt auf neuer gesetzlicher Basis rund 70 Kreise und Kommunen als Träger arbeiten können. "Wir haben uns innerhalb der Bundestagsfraktion mit der Idee des Optionsmodells durchgesetzt." Es war für Raabe das wichtigste Thema in seinem Wahlkreis.
Der promovierte Politologe hat Karriere gemacht. Mit 28 Jahren wurde er direkt gewählter Bürgermeister in Rodenbach, mit 34 gelang ihm der Sprung in den Bundestag. Ein Weg ohne Seilschaften, wie er sagt. "Es stimmt nicht, dass man in der Politik zehn Jahre mit einem saufen muss, um was zu werden", so seine Erfahrung.
Was er anpackt, scheint ihm zu gelingen. Sein Rezept ist Lockerheit, die er auch im Interview mit "Das Parlament" ausstrahlt. Er wirkt charmant, hat nichts Gestelltes. Er diskutiere gern, sagt Raabe, am liebsten in Talkshows und am liebsten live, dann könne auch niemand etwas rausschneiden. Rede und Gegenrede wie jüngst mit dem FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle und dem ehemaligen CDU-Generalsekretär Heiner Geißler mag er. Der Bundestag könnte bei seinen Debatten auch etwas mehr von diesem rhetorischen Spiel gebrauchen, findet Raabe.
Die Befürchtung des ehemaligen Kommunalpolitikers, in dieser großen Einheit Deutscher Bundestag keinen direkten Einfluss mehr zu haben, hat sich nicht bestätigt, so das Halbzeitresümee. "Auch bei 250 Leuten in der Fraktion kann ich mich jederzeit zu Wort melden." Ebenso könne er in der Arbeitsgemeinschaft Entwicklungspolitik, wo er stellvertretender Sprecher geworden ist, etwas bewegen, gerade, wenn der Weg zu Ministern und Staatsseketären kurz sei. Dass die Gemeindefinanzreform so wie von vielen Parlamentariern gewünscht, durchgekommen ist, hat den jungen Abgeordneten besonders gefreut. Der Wechsel von der "Regierung" eines Bürgermeisters in einer Kommune in die Legislative hat Raabe klarer gemacht, was frühere Gemeindeparlamentarier empfunden haben, wenn sie ihm vorwarfen, vor Entscheidungen zu wenig gefragt worden zu sein. "Jetzt geht es mir manchmal genauso."
Seine Themenpalette ist seit seinem Wechsel in die politische "Bundesliga" eine andere geworden. Im Unterausschuss Vereinte Nationen interessiert sich der Politologe für Schritte zur Demokratisierung der UNO. "Die UNO muss demokratischer werden, damit sie international mehr Akzeptanz hat und sich gerade bei den Ländern, die sich eher zu den benachteiligten zählen, ein stärkeres Gerechtigkeitsgefühl ausbreitet", meint der Parlamentarier.
Schon im Studium haben ihn Themen wie Globalisierung und Weltwirtschaft beschäftigt. Themen, auf die er jetzt im Bundestagsausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zurückgekommen ist. Eine besondere Herausforderung sieht der Parlamentarier darin, entwicklungspolitische Themen, die für viele manchmal weit weg sind, auch im Wahlkreis zu vermitteln. Er unterstreiche dann, dass der Abbau von Armut zu weniger Migration führe, Umweltverschmutzung nicht an Ländergrenzen halt mache und Entwicklungspolitik auch eine präventive Aufgabe habe. Raabe will jedenfalls mitarbeiten an einer gerechteren Gestaltung der Globalisierung und plädiert deshalb unter anderem für die Verankerung internationaler Sozial- und Umweltstandards. "Menschen in unserem Land haben konkret etwas von Entwicklungszusammenarbeit. Es geht nicht nur darum, deutsche Steuergelder in fremde Länder zu transferieren." Für ihn steht außer Frage, dass Entwicklungszusammenarbeit auch ein Türöffner für die deutsche Exportwirtschaft sein kann. Jedenfalls findet Raabe, dass sich ein junger Politiker mit entwicklungspolitischen Themen durchaus profilieren könne.
Er hat schon sechs oder sieben Reden gehalten. Mittlerweile erreichen ihn internationale Anfragen als Redner auch aus New York. Glaubwürdig rüberzukommen mit dem, was er sagt und auch mit seiner Person, ist ihm wichtig. Er ist mit Leidenschaft dabei, das ist spürbar. Nur privat soll Politik nur dosiert eine Rolle spielen. Wenn er mit seiner Frau in der Natur zwischen Wiesen und Wäldern unterwegs ist, tankt er auf. Er versucht, sein privates Leben und seine freundschaftlichen Beziehungen so zu gestalten, dass da ein intaktes Umfeld bleibt - auch für ein Leben jenseits der Politik.