Dieser Wandel verweist für die einen auf den zunehmenden unkritischen Charakter seiner Bücher, für andere auf sein Geschick, den Protagonisten Äußerungen zu entlocken, die Zustimmendes und Kritisches gleichermaßen freisetzen. Das ist eine nicht zu unterschätzende Leistung. Somit ist "Der Angriff" die erste detaillierte, auf Hintergrundmaterial gestützte Darstellung über den Entscheidungsprozess der Regierung Bush, der zum Irak-Krieg führte.
Woodward beginnt mit der Schilderung des Treffens zwischen Präsident Bush und Verteidigungsminister Rumsfeld am 21. November 2001, also 72 Tage nach dem dramatischen Terrorangriff: "Ich möchte, dass Sie", begann der Präsident und fing dann, was er häufig tut, den Satz wieder von vorn an. "Was für einen Kriegsplan haben Sie für den Irak? Was halten Sie von ihm?" Bush, außenpolitisch unerfahren, wurde nach dem 11. September 2001 in die kalte, aufgewühlte See der Internationalen Politik geworfen und musste schnell lernen, nicht nur zu überleben, sondern selbst zu führen. Woodward schildert diese Entwicklung des Präsidenten nicht ohne Respekt.
Bush und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld werden in dem Buch als ein ungleiches Paar geschildert: auf der einen Seite der 69-jährige Rumsfeld, seit 40 Jahren ein außenpolitischer Profi, der vorsichtig agiert, alle Optionen abwägt, selbstbewusst das Ministerium führt und gleichzeitig geradezu akribisch zu erkunden sucht, was den Präsidenten antreibt und wohin dessen Irakbesessenheit führen soll. Rumsfeld folgt vorsichtig im Unterschied zu den neokonservativen Schrittmachern in der Regierung. Dabei entwickelt sich allmählich eine tragfähige Achse zwischen Rumsfeld und Cheney.
Woodward zeigt, dass Bush sich zunächst alle Optionen offenhielt: "Bush teilte nicht Cheneys zynische Ansicht, dass Waffeninspektionen nutzlos seien. Ebenso wenig stand er Powells Position nahe, der für den Weg der Vereinten Nationen plädierte. Bush sagte, er wolle Resultate - den Sturz Saddams und die Zerstörung der Massenvernichtungswaffen."
Wie immer man nach der Lektüre Bushs Irakpolitik und die Entscheidung zum Krieg bewerten mag, die protokollarisch detaillierte Darlegung von Woodward zeigt einen Präsidenten, der zu führen vermag und sein Team fest im Griff hatte. Auf diesem Hintergrund geht Woodward der zentralen Frage nach: Wer hat zu welchem Zeitpunkt mit Blick auf Irak mit welchen Argumenten für oder gegen den Krieg gestimmt? Er schildert detailliert und mit Gefühl für Dramatik, wie die einzelnen Protagonisten in der Regierung Bush Position beziehen:
Colin Powell war von Anfang an kritisch eingestellt, musste aber zunehmend ohnmächtig die sogartige Entwicklung zur Entscheidung für den Krieg verfolgen und entsprechend Dienst leisten. Powell blieb jedoch selbst außerhalb des vertraulichen Zirkels um Bush. Intern äußerte er Kritik, auch gegenüber dem Präsidenten, doch im entscheidenden Moment blieb er loyal. Für Woodward entwickelte Powell sich zum tragischen Helden der Irakpolitik.
Das Portrait von Powells Gegenspieler, Vizepräsident Cheney, zeichnet Woodward mit kräftigen Zügen: "Cheney erschien Powell wie vom Fieber erfasst. Er war nicht der ruhige emotionslose Fels des Ersten Golfkriegs, (sondern) völlig fixiert auf ein militärisches Vorgehen gegen Saddam, fast so, als gäbe es keinerlei Alternative." Kommt es zum Gespräch zwischen den beiden, liegt Explosion in der Luft, Powell gibt in den entscheidenden Fragen Cheney gegenüber nach.
Für die einen mag Cheney als der Kriegstreiber par excellence erscheinen, der mit der Forderung nach Demokratisierung des Irak als Vorbild für den Nahen Osten Kopfschütteln hervorruft, für andere gilt er als konsequentester und entscheidungsfreudigster Protagonist im Kriegskabinett Bush.
Die dritte Schlüsselpersönlichkeit, Verteidigungsminister Rumsfeld, wird als erfahrener, humorvoller, eleganter und ausgekochter Machtpolitiker geschildert, der vorsichtig das letzte Wort, die letzte Entscheidung vermeidet, aber im Grunde die Entwicklung zum Kriege eher befördert als verhindert. Rumsfelds Stellvertreter Paul Wolfowitz erscheint neben Vizepräsident Cheney als zweiter Kriegstreiber, der sich aber, genauso wie Cheney, erst nach der diplomatischen Schlappe in der UNO durchsetzen kann. Zunächst hatte Präsident Bush gegen den Rat des Vizepräsidenten und stellvertretenden Verteidigungsministers die Kooperation mit den Vereinten Nationen gesucht. Erst danach setzt Bush voll auf die Falken im Kabinett und Powell wurde konsequenterweise isoliert.
Woodward zeichnet auch, wie die kompetente, kühle und souveräne Condoleezza Rice in der Regierung Bush ihre Schlüsselposition wahrzunehmen weiß. Doch wird nicht immer klar, ob sie in entscheidenden Phasen mit eigener Kraft Positionen und Einstellungen beförderte oder vielmehr großes Geschick entwickelte, im rechten Moment zu erahnen, auf welche Entscheidung Präsident Bush hinaus wollte: "Für Condoleezza Rice stellte es ein großes Dilemma dar, dass man auf zwei Schienen agierte und sie beide Ansätze gleichermaßen überzeugend vertreten musste. Diplomatie, die mit Zwang und Gewaltandrohung arbeitete, bedeutete, dass man mit Dissonanzen und Widersprüchen leben musste."
Doch auch sie bekräftigte schließlich den Präsidenten in seiner Entschlossenheit: "Was denken Sie?", fragte der Präsident seine Sicherheitsberaterin. "Sollen wir das machen?" Er meinte: Krieg. Nie zuvor hatte er sie dazu um ihre Meinung gebeten. "Ja", antwortete sie, "weil nicht nur die Glaubwürdigkeit Amerikas auf dem Spiel steht, sondern die Glaubwürdigkeit der ganzen Welt. Wenn wir zulassen, dass diese Bedrohung aus diesem Teil der Welt weiterhin die internationale Gemeinschaft so in Unruhe versetzt, wird uns das eines Tages einholen. Deshalb sollten wir es machen." Bush erwiderte nichts darauf.
In Bushs Umgebung spielte noch eine zweite Frau in diesem Entscheidungsprozess eine nicht zu unterschätzende Rolle: Die Kommunikationsdirektorin Karen Hughes, die Bush explizit um ihre Meinung befragte, was er gegenüber Powell nicht tat: "Ich habe Karen gefragt", erinnerte sich der Präsident. "Sie sagte, wenn Sie in den Krieg ziehen wollen, schöpfen Sie zuerst alle Möglichkeiten aus, auf friedliche Weise einen Regimewechsel zu erreichen. Und sie hatte Recht. Sie hat meine Gefühle genau erfasst."
Präsident Bush erscheint in dem Buch als zwiespältige Führungsgestalt: entscheidungsfreudig, in Kontrolle seines Kabinetts und erfolgreich in seinem Bemühen, ein möglichst geschlossenes Bild seiner Außenpolitik, insbesondere seiner Irak-Kriegspolitik, zu vermitteln, aber auch nicht immer voll informiert und mit Unsicherheiten. Es gab unterschiedliche Auffassungen in der Regierung, aber im Vergleich beispielsweise zur Außenpolitik von Präsident Reagan, wo Kabinettsmitglieder und Sicherheitsberater unabgestimmte und widersprüchliche Positionen bezogen, wirkt die Bush-Außenpolitik relativ geschlossen.
Doch zeichnet Woodward in diesem Buch nicht nur glänzende Portraits, sondern schildert auch subtil die Beziehungen der Schlüsselpersonen untereinander: Wie sah es im Bush-Team aus? Woodward hält nicht hinter dem Berg: Powell und Cheney sprachen kaum miteinander; Rice bemühte sich mit Geschick, die Horde martialischer Befürworter des Krieges zu bändigen und den Präsidenten kompetent zu beraten. Wolfowitz erscheint als Einzelkämpfer, wobei seine politischen Beziehungen zu seinem Chef Rumsfeld im Dunkeln bleiben.
Erstaunlicherweise erfährt der Leser wenig über die Stimmung in den USA außerhalb der Hauptstadt. Es fehlen vor allem die kritischen Stimmen. Scheute sich Woodward, den Bedenken von Präsident Bush senior nachzugehen? Hatte er um ein Gespräch mit dem Vater des Präsidenten nachgesucht? Auch was Woodward nicht beschreibt, hat eminente Bedeutung. Die Bedenken von Sicherheitsberater Brent Scowcroft werden marginalisiert. Woodward negiert die tiefe Zerrissenheit innerhalb der Republikanischen Partei und teilweise innerhalb der Regierung, indem er Außenminister Powell als isolierte kritische Einzelstimme dargestellt und logischerweise die anderen kritischen Stimmen und Komponenten in Politik und Gesellschaft der USA ausblendet.
Auch erfährt der Leser wenig über Verbündete und Freunde der Regierung Bush. Der britische Premierminister Tony Blair bleibt in der Darstellung blass - weil er von Woodward nicht interviewt wurde? Der spanische Premierminister Aznar spielt in dem Buch noch weniger als eine Statistenrolle. Auch über die Gegner und Kritiker erfährt der Leser fast nichts.
Das "alte Europa" kommt so gut wie gar nicht vor, Kritik gegenüber Frankreich wird meist emotionalisiert, die Sachargumentation kommt zu kurz. Der deutsche Bundeskanzler wird nur am Rande mit der Bemerkung erwähnt: "Man liest nur über Deutschland und diesen Typen, der mich zum Buhmann gemacht und so eine Wahl gewonnen hat." Gemeint war Bundeskanzler Gerhard Schröders Antikriegsrhetorik während seiner Bundestagswahlkampagne.
Hingegen wird der Begriff der besonderen Beziehungen mit Blick auf ein Land angewandt, das einem zunächst nicht in den Sinn kommt - Saudi Arabien. Riads Botschafter in Washington, Prinz Bandar, personifiziert den bisher übersehenen koalitionspolitischen Clou der Regierung Bush, nämlich die Einbeziehung Saudi Arabiens in den Entscheidungsprozess. Bandar hat nicht nur permanenten Zugang zum Oval Office, sondern tritt ganz im Unterschied zu den meisten Kabinettsmitgliedern dem Präsidenten mit Witz und Courage gegenüber:
"Mr. Präsident", sagte Bandar, "ich habe mir geschworen, mich nicht zu rasieren, bis der Krieg beginnt." "Nun, dann werden Sie sich sehr bald wieder rasieren können." "Das hoffe ich", antwortete Bandar. "Allerdings fürchte ich, dass ich aussehen werde wie bin Laden, bis der Krieg beginnt", fügte er hinzu und deutete mit seinen Händen einen Bart von einem halben Meter Länge an. Bush funkelte ihn an. Er mochte es gar nicht, aufgezogen zu werden, und fand die Anspielung alles andere als witzig. Bandar wusste, dass Bush jeden Hinweis auf Unentschlossenheit hasste."
So war es kein Zufall, dass noch vor Außenminister Powell oder Premierminister Blair der saudiarabische Botschafter die genaue Uhrzeit des Beginns der Kriegshandlungen erfuhr. Woodwards Erklärung ist einsichtig: Die Saudis werden von Bush besonders gut behandelt und informiert, denn im Herbst 2004 sollen sie durch ihre Ölpreispolitik Bushs Wahlchancen vergrößern. Die fatale Rolle des Exilirakers Tschalabi wird erwähnt, aber zu knapp: "Das Außenministerium und die CIA betrachteten Tschalabi mit Skepsis - er sei zu undurchsichtig, trage zur Spaltung des Widerstands bei und kenne die Schrecken des Alltagslebens unter Saddam nicht. Außerdem war er in Jordanien in Abwesenheit wegen Unterschlagung verurteilt worden."
Wenn dann Woodward schildert, dass dessen Mitteilungen genutzt wurden, dann vermittelt er zu unkritisch, dass Tschalabi es verstand, den militanten Protagonisten und Befürworter des Krieges subtil das zu vermitteln, was diese hören wollten. Auch hier fehlt ein kritischer Filter in der Darstellung, wenngleich Woodward darauf verweist, dass Powell, aber auch der Präsident selbst, Tschalabis Informationen und dessen Rolle für den Nachkriegsirak mit Skepsis betrachteten. Hingegen sogen Cheney, Wolfowitz und vielleicht auch Rumsfeld Tschalabis Nachrichten begierig auf, die sie in ihrer Kriegsabsicht bestätigten.
So gesehen schildert Woodward die Dinge in Washington mit einem doppelten Tunnelblick: Der eigene, analytische verengt die Problematik auf die Regierungszirkel, blendet die Stimmung im Land weitgehend aus und vernachlässigt völlig die weltpolitischen Zusammenhänge. Der zweite Tunnelblick bezieht sich auf die Mehrheit in der Regierung Bush, denn die Neokonservativen setzen dank ihrer Scheuklappen bedenken-, ja rücksichtslos auf Krieg: Wolfowitz als geistiger Wegbereiter für Regimechange, Cheney als Protagonist für Demokratisierung des Irak als Vorbild für einen zukünftigen Nahen Osten und Tschalabi als unkritischer Einflüsterer und Materialbeschaffer, um diese beiden in ihrem Ansinnen zu unterstützen, - hier liegt ein Kern der Dramatik.
Aber welche Rolle spielte Präsident Bush? Hier ist noch nicht das letzte Wort gesprochen. Ob die Neokonservativen einmal als finstere Gesellen oder als kühne Visionäre für einen prosperierenden Irak und Nahen Osten gelten werden, das wird erst die Zukunft zeigen. Aber Woodward schärft bei vielen Fragen den Blick und den Sinn für Ambivalenzen und für ein breites Spektrum der möglichen Wertungen und Interpretationen dieses beispiellosen Kriegsabenteuers, als die USA zu ersten Mal in der Geschichte ohne unmittelbare Bedrohung ihrer nationalen Sicherheit, ohne überzeugende politische Legitimation und ohne Unterstützung der Mehrheit der Verbündeten einen Angriffskrieg vom Zaun brachen und einen Sturm der Entrüstung in der Welt erzeugten.
Nach der Lektüre des Buches stellt sich beim Leser ein Geschmack von fataler Normalität ein. Ist das beabsichtigt? Soll dem Leser Seite für Seite das Entsetzen genommen werden?
So bleibt als Fazit festzuhalten: Woodward schildert mit großer Akribie und Detailversessenheit den Entscheidungsprozess in Washington. Die kritischen Stimmen in den USA werden zu sehr ausgeblendet, die weltweite Reaktion, die Argumentation der Verbündeten und der Gegner kommen zu kurz. Dies ist nicht das definitive Buch über die Entscheidung zum Irakkrieg, aber ein unverzichtbarer Baustein für die zeitgeschichtliche Erforschung dieses dramatischen Abschnitts amerikanischer Außenpolitik, der noch längst nicht an seinem definitiven Ende angelangt ist.
Bob Woodward
Der Angriff. Plan of Attack.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2004;
510 S., 24,90 Euro
Professor Christian Hacke lehrt Politikwissenschaft an der Universität Bonn.