Viele herausragende Frauen, die im 20. Jahrhundert Bedeutung hatten, gerieten in Vergessenheit. Da ist es gut, wenn neuerdings junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf Spurensuche gehen. Das gilt auch und besonders für die ausgezeichnete Biographie Alexandra Ramm-Pfemferts (eine überarbeitete Darmstädter Dissertation) von Julijana Ranc. Ihre Untersuchung ist gerade deshalb zu würdigen, weil Alexandra Ramm-Pfemfert zeitlebens Außenseiterin blieb.
Alexandra wurde in einer orthodoxen jüdischen Familie im zaristischen Russland geboren. Um 1900 übersiedelte sie ins kaiserliche Deutschland, war in der Boheme, dann in der Weimarer Republik in linksradikalen Kreisen aktiv, musste 1933 emigrieren und kam erst 1956 aus Mexiko nach West-Berlin zurück. Das unruhige Leben ging einher mit radikaler Haltung, die ihre ältere Schwester Nadja so umschrieb: "Sie verabscheute jede Autorität, ob es der Lehrer, die älteren Geschwister oder der liebe Gott sei."
Wie lebte eine solche Frau im konservativen ausgehenden 19. und katastrophalen 20. Jahrhundert? Sie war fünftes von neun Kindern eines Rabbiners in einer 12.000 Einwohner zählenden Kleinstadt, 400 Kilometer südwestlich von Moskau. Dort erfuhr sie die völlige Abgeschlossenheit der über 5.000, meist jiddisch sprechenden Juden vom Alltag der Christen. Wie ihre Geschwister rebellierte sie gegen die orthodoxe Erziehung und verließ mit 18 Jahren das Elternhaus. Als junge Frau kam sie nach Berlin. Entscheidend wurde in anarchistischen Kreisen ihre Bekanntschaft mit Franz Pfemfert; beide heiraten Anno 1911. "Die Aktion" Alexandra unterstützte Franz Pfemfert bei der Gründung der Zeitschrift "Die Aktion", seiner imposanten Lebensaufgabe, die ihn berühmt machte. "Die Aktion", wichtiges Organ für moderne Kunst, war zugleich Sprachrohr radikaler Politik. Sie machte sich vor allem einen Namen als Übersetzerin von Literatur, insbesondere von Werken des Stalin-Feindes Leo Trotzki.
In der literarischen und journalistischen Welt linker Kreise der Weimarer Republik war sie eine respektierte Persönlichkeit. 1933 musste sie als Jüdin und Linke sofort flüchten. Zusammen mit ihrem Mann kam sie über Karlsbad nach Frankreich, 1940 gelang ihr die Flucht aus dem Internierungslager Gurs. Von 1941 bis zum Tode Pfemferts in Mexiko, waren beide sehr isoliert und lebten in der Emigration in großer Armut.
Ich lernte Alexandra Ramm 1958 als eine imponierende Persönlichkeit in West-Berlin kennen, wo sie seit 1955 bis zu ihrem Tod 1963 lebte. Auch deshalb kann ich bestätigen: Die Biographie schildert eine Lebensgeschichte, die bei aller individuellen Einzigartigkeit auch jene Zeit widerspiegelt. Das Buch enthält neben zahlreichen Fotos einen imponierenden Anhang (270 Seiten) mit hunderten Dokumenten, darunter der Briefwechsel mit Trotzki, alles gut aufbereitet und durch viele Fußnoten erschlossen.
Die Autorin stellt auch die Hauptwesenszüge von Franz Pfemfert und Alexandra Ramm einsichtig heraus: ihr absolutes Wahrheitsstreben, ein "intransigenter ethischer Rigorismus". Am Beispiel der Haltung gegenüber den Moskauer Schauprozessen wird dies überzeugend belegt. Hier ragten die Pfemferts aus der Reihe der "Linken" heraus, von denen viele zu den Verbrechen des Stalinismus schwiegen, angeblich um den Kampf gegen Hitler nicht zu gefährden.
Die katastrophalen Erlebnisse im mexikanischen Exil hat Frau Ranc ergreifend und einfühlsam beschrieben, ohne in Rührseligkeit zu verfallen. Ihr ist zuzustimmen: "Zweifellos war Alexandras (und Franz Pfemferts) ?Intransigenz', die man ebenso gut als konsequente Unbestechlichkeit bezeichnen könnte, ein wesentlicher, sogar konstitutiver Zug ihrer Persönlichkeit. Weitaus mehr als ihr Temperament, ihre künstlerisch-politischen Präferenzen oder ihr unkonventioneller Lebensstil war es ihre jüdische Herkunft, durch die sie zur Außenseiterin gemacht wurde. Besonders in dieser Hinsicht ist ihre Biographie ebenso einzigartig wie exemplarisch."
Julijana Ranc
Alexandra Ramm-Pfemfert. Ein Gegenleben.
Edition Nautilus, Hamburg 2004; 576 S., 44,- Euro
Hermann Weber ist Emeritus für Politikwissenschaft der Universität Mannheim.