Wohin außenpolitische Reisen führen, ist oft erst im Rückblick zu erkennen, denn in keinem anderen Politikbereich können unvorhergesehene Ereignisse zu so drastischen Kurswechseln führen. Ansätze, solche Richtungsveränderungen selbst einzuleiten, werden deswegen von vielen Seiten mit Misstrauen betrachtet. So auch die Entspannungspolitik der sozial-liberalen Bundesregierung Anfang der 70er-Jahre. Sie war eine wichtige Voraussetzungen für die Einrichtung einer der seltsamsten internationalen Gremien der Nachkriegszeit: der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Deren 1975 in Helsinki verabschiedete Schlussakte stellte, wie der langjährige Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) 25 Jahre später bei einer Festveranstaltung sagte, nicht die Besiegelung eines bestehenden Zustandes dar, sondern sie war vielmehr "der Ausgangspunkt für einen dynamischen Prozess, der in die Überwindung der Teilung des Kontinents mündete".
Eine solche Entwicklung war nicht abzusehen im Herbst 1974, als Genscher vor dem Bundestag zum Stand der Verhandlungen Stellung nahm. Ebenso hätte sie scheitern können und mit ihr die ganze damalige Entspannungsphase im "Kalten Krieg". Denn der Weg nach Genf, wo seit September 1973 die Vertreter von 35 Staaten aus Ost- und Westeuropa sowie die USA, Kanada und die Sowjetunion an einem Tisch saßen, war lang gewesen. Zwar hatte sich die Sowjetunion seit den 50er-Jahren um eine europäische Sicherheitskonferenz bemüht, allerdings den Ausschluss der USA und Kanadas davon zur Bedingung gemacht - Konditionen, die insbesondere für die Bundesrepublik unannehmbar waren. Die UdSSR, so glaubte man berechtigterweise, wolle einen Keil zwischen Europa und Amerika schieben. Als sie diese Forderung aufgab, war eine erste Vorbedingung für einen runden Tisch geschaffen.
Seit Ende der 60er-Jahre war immer deutlicher geworden, dass die Lösung der ideologischen und politischen Spaltung Europas untrennbar verbunden war mit der Lösung der Deutschlandfrage; letztere war vielmehr ein Kern dieses globalen Problems. Mit der sozial-liberalen Ostpolitik, den Verträgen von Moskau und mit der DDR, wurde eine formale Grundlage zur Kommunikation über den Eisernen Vorhang hinweg geschaffen - eine weitere
Voraussetzung für die KSZE. Schließlich hatte auch das inzwischen über Jahrzehnte stabile strategische Gleichgewicht zwischen den beiden Lagern dazu geführt, dass keine Seite an eine direkt bevorstehende Auseinandersetzung glaubte, auch weil man sich den Auswirkungen eines atomaren Krieges langsam bewusst wurde. Das Risiko, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzten, schien dagegen vergleichbar klein.
So begannen im November 1972 Vorgespräche zur KSZE, die mit einer Außenministerkonferenz im Juli 1973 schließlich eröffnet wurde. Die zweite Phase, als deren Ergebnis der Gastgeber und Leiter der schweizerischen Delegation den Beschluss von Rechtsregeln und nicht nur bloßen Willenserklärungen forderte, startete im September in Genf.
Ein gutes Jahr später erklärte Hans-Dietrich Genscher vor dem Bundestag bei einer durch eine Große Anfrage der Union ausgelösten Debatte sechs Positionen, die "allseits akzeptiert" werden sollten. So sollte die Konferenz zu einer "dauerhaften Verständigung" beitragen, unabhängig von Störungen aufgrund "politischer Tageschwankungen". Auch sollten die Ergebnisse den Menschen "unmittelbar zugute" kommen. Sicherheit und Zusammenarbeit würden am besten gefördert, wenn Menschenrechte und Grundfreiheiten "überall" beachtet würden. Zudem sei ein "wie immer geartetes Ergebnis" der Konferenz kein Ersatz für die NATO, sagte Genscher. Der Außenminister erkannte schon allein in der Tatsache, dass die Konferenz zustande gekommen war, ein bereits verbreitetes "Klima der Entspannung" in Europa.
Die Opposition zeigte sich bereit, diese Positionen zu unterstützen. Karl Carstens (CDU) drängte darauf, dass man sich bei den Verhandlungen nicht unter Zeitdruck setzen lasse, auch weil die sowjetische Seite Ziele verfolge, die der westeuropäischen Einigung geradezu entgegengesetzt seien. Außerdem forderte er die Aufhebung des Schießbefehls an der Mauer.
Schließlich wurde die KSZE-Schlussakte von 35 Staaten unterzeichnet, die allerdings kein verbindlicher Vertrag war, sondern lediglich eine gemeinsame Absichtserklärung. Dennoch gilt sie als Meilenstein auf dem schwierigen politischen Weg zur Überwindung der Trennung Europas. Denn, so Hans-Dietrich Genscher wiederum 25 Jahre später, mit dem Dokument wurden "stabile Rahmenbedingungen geschaffen für einen friedlichen Veränderungsprozess in ganz Europa".