Bleibt aber das anerkennende Schulterklopfen genauso folgenlos wie die politische Bildungsarbeit? Welche Wirkungen hat sie? Welche Erfolge kann sie vorweisen, um sich einer bundes- wie länderweiten Rotstiftpolitik erfolgreich zur Wehr setzen zu können? Diese Fragen sind nicht neu; sie begleiten die Geschichte der politischen Bildung in der Bundesrepublik seit ihren Anfängen. Aber sie sind immer noch und immer wieder aktuell und sie wurden und werden in Zeiten knapper öffentlicher Kassen stets neu ventiliert.
Die Argumente zwischen Finanz- und Bildungspolitik sind über Jahrzehnte hinweg nahezu identisch geblieben. Finanzpolitiker sehen die Notwendigkeit und klagen über die Kosten, die politischen Bildner erkennen angesichts veränderter gesellschaftlicher Verhältnisse neue Aufgabenfelder und beklagen die unzureichenden Mittel, die statt gekürzt aufgestockt werden müssten.
Vor diesem Hintergrund lässt sich jetzt auch der von Gotthard Breit und Siegfried Schiele herausgegebene Sammelband lesen. Er versammelt als Autoren vor allem die akademische Szene der politischen Bildungsarbeit, die man auch von anderen Sammelbänden her bestens kennt. Die Herausgeber haben den Band in sieben Kapitel gegliedert, denen Siegfried Schiele, der Direktor der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, einen Beitrag mit dem programmatischen Satz "Demokratie braucht politische Bildung" vorangestellt hat.
In diesem Aufsatz begründet er mit bildungspolitischen und demokratietheoretischen Argumenten die Notwendigkeit politischer Bildung - so wie es viele Autoren vor ihm getan und nach ihm tun werden, beklagt zugleich aber den Abbau der politischen Bildungsarbeit innerhalb und außerhalb der Schulen in den alten wie in den neuen Bundesländern. Sein Fazit: "Ausgerechnet in einer Situation, in der die politische Bildung mehr denn je gefordert ist, wird sie abgebaut. Das kann man fast als tragisch bezeichnen."
Thematisch decken die 27 Autoren ein breites Spektrum ab. Ihnen geht es um die Stellung politischer Bildung in der Demokratie, um ihr Verhältnis zu wissenschaftlichen Referenzdisziplinen, um Kanon und Lehrplan und dann in einem größeren Kapitel um verschiedene Aspekte des Politikunterrichts als integraler Bestandteil politischer Bildungsarbeit. Drei Beiträge befassen sich mit der außerschulischen politischen Bildung, unter ihnen Siegfried Schieles knappe Skizze über die Aufgaben und die Praxis der Bundeszentrale und der Landeszentralen für politische Bildung - endend mit dem erneuten Plädoyer, der politischen Bildungsarbeit ausreichend finanzielle Mittel und vor allem auch Zeit zur Verfügung zu stellen.
Paul Ackermann und Wolfgang Beer hingegen richten in zwei Fallstudien ihren Blick auf die Lehrenden in der politischen Bildung. Fünf thematisch disparate Beispiele aus deren vielschichtiger Praxis beenden diesen Sammelband, der eher eine ernüchternde Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Situation der politischen Bildung darstellt und kaum Signale zum Aufbruch an neue Ufer sendet - aber wie sollte er auch angesichts der Fülle der Probleme.
Dennoch gilt: Demokratie verlangt von ihren Bürgern ein Mindestmaß an politischer Bildung. Sie muss helfende, interpretierende und unterstützende Maßnahmen bereitstellen. Dazu zählt auch die Diskussion der Frage: Was kann und was soll Politik im Strukturwandel der transnational vernetzten Marktgesellschaften leisten? Das ist eine Thematik, der sich Emanuel Richter, Professor für Politische Wissenschaft an der TH Aachen, widmet. Sein Band versteht sich als Einführung und Orientierung für politisch Interessierte und Engagierte, für Gesellschaftswissenschaftler sowie für die in Politik und politischer Bildung Tätigen.
Richters Thema ist "republikanische Politik", ein Thema - so der Autor -, das heute gleichsam "in der Luft liegt". Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Beobachtung, dass konventionelle Erscheinungsformen "des Politischen" in schnellen Schüben zerfallen und neue Manifestationen von Politik entstehen. Vor diesem Hintergrund gilt es, Werte wie Freiheit, Gleichheit und Solidarität neu zu diskutieren und zu bewerten und zu fragen, wie bürgerliches Engagement und demokratische Zivilgesellschaft zu stärken sind.
Richter tut dies in drei Kapiteln und vorwiegend ideengeschichtlich. Diskutiert werden die Grundlagen des Republikanismus, sein Begriff und seine Geschichte bis zu deren Anfängen in der griechischen Antike sowie seine Bedeutung in der Gegenwart. Es geht dem Autor dabei um grundsätzliche und grundlegende Fragen, etwa jener nach dem Verhältnis von Individuum und Kollektiv, ferner um demokratische Partizipation, um die Legitimation der Normen des öffentlichen Handelns und um politische Moralität.
Die öffentliche Sphäre sei, so Richter, häufig von eklatanten moralischen Substanzverlusten und Wertekrisen gekennzeichnet. Aufgabe des Republikanismus sei es, den normativen Verfall aufzuhalten und "alle in der öffentlichen Sphäre agierenden Personen mahnend an die sozialintegrativen Grundlagen des kollektiven Handelns zu erinnern."
Das bedeutet für Richter mehr als nur rückwärts gewandt die moralische Qualität vergangener Zeiten zu beschwören. Es fordert zu ethischen Grundsatzreflexion auf, "die innovativ überkommene moralische Leitsätze des öffentlichen Lebens in demokratischen Verfahren prüft, verwirft und durch Neuanpassungen an veränderte normative Bedürfnisse des kollektiven Lebens ersetzt."
Hier schließt sich der Kreis zur politischen Bildungsarbeit, denn zu deren vordringlichsten Aufgaben zählt es auch, im Prozess der Globalisierung die republikanischen Potenziale innerhalb der Bevölkerungen zu stärken und einer nur globalen Fragmentierungsdynamik kritisch entgegenzutreten. Das setzt - nach Richters Überzeugung - das kritische soziale und politische Engagement möglichst vieler Bürger voraus.
Gotthard Breit / Siegfried Schiele (Hrsg.)
Demokratie braucht politische Bildung.
Wochenschau-Verlag, Schwalbach/Ts. 2004;
387 S., 19,80 Euro
Emanuel Eichter
Republikanische Politik.
Demokratische Öffentlichkeit und politische Moralität
Rowohlt-Verlag, Reinbek 2004;
190 S.; 12,90 Euro