Es ist eine verplante Jugend, von der Jens Bisky zu berichten weiß: Die Eltern, dem sozialistischem Ideal verpflichtet, haben ihren Platz im Staatsapparat gefunden, und der Sohn strebt auf vorgezeichnetem Weg über Pionierorganisation und FDJ in die Partei der Arbeiterklasse. Eine vierjährige Offizierslaufbahn in der Nationalen Volksarmee schließt sich an, danach soll ein Studium folgen. Eine DDR-Bilderbuchkarriere. Die Probleme des real existierenden Sozialismus werden im Elternhaus zwar nicht totgeschwiegen, doch es gilt die Maxime: "Nicht meckern, besser machen!"
Die Kindheit erlebte er in Leipzig, wo die Eltern studieren, dann folgt der Umzug nach Ostberlin. Er ist engagiert in der Pionierorganisation wie später auch in der FDJ. Irritationen gibt es kaum, Anspruch und Wirklichkeit bilden noch eine weitreichende Einheit, auch als er in Berlin Freunde kennen lernt, die anders denken und Bücher lesen, die man in der Schule nicht zu lesen bekommt.
Zum Zeitpunkt von Wende und Mauerfall noch nicht 30 Jahre alt, gehört Jens Bisky einer DDR-Generation an, die im Schatten der Mauer aufgewachsen ist. Aus sicherer Distanz erfolgt heute seine Abrechnung mit Kindheit und Jugend in der DDR. Doch wird ein Engagement des Erzählers spürbar, das die Distanz vergessen macht. So denkt und schreibt einer, der es sich nicht leicht macht mit der Vergangenheit. Dabei lässt der Name Bisky aufmerken, man denkt natürlich auch an den Vater, den PDS-Chef.
Geboren am Tag des Mauerbaus, am 13. August 1961, setzt sich Jens Bisky auf konsequente Weise mit "seinem Sozialismus" auseinander - mit dem real existierenden Sozialismus der DDR und dem der Theorien und Utopien, dem der Vorstellungen und Hoffnungen und dem wirklich erlebten seiner Kindheits- und Jugendjahre. Es ist nicht zuletzt seine sexuelle Präferenz, sein Schwulsein, das ihn zum Außenseiter machte, zum Teil eines in der DDR misstrauisch beobachteten Milieus.
Seine Distanz zum Apparat wächst insbesondere durch die Erlebnisse in der NVA. Denn diese sind auch für den privilegierten Offiziersschüler nur schwer erträglich, - eine Melange aus Zeitvergeudung, demütigenden Unterwerfungsritualen, sinnleerem militärischen Alltag.
Der Ausbruch aus einer "Jugend nach Plan" in die Grauzone des nicht erwünschten, jedoch vor allem in den letzten Jahren der DDR stillschweigend geduldeten Zwischenreiches, vollzieht sich eher beiläufig. Es ist kein Ausbruch, vielmehr ein langsames Abdriften: "In mir sah es aus wie auf einer Großbaustelle. Da standen ein paar Platten aus Formeln und Phrasen herum, dort einige Fenster liberal-marxistischer Denkungsart, nach Familientradition sozusagen. Daneben lagen Bruchsteine von Erlebnissen aus der Produktion, mit Freunden, mit Straßenbekanntschaften, mit Volkspolizisten, ein paar Klinker aus Büchern."
Jens Bisky berichtet von der Gratwanderung eines Seiltänzers, der, so drückt er es aus, auf der Grenze zwischen Apparat und Gesellschaft, zwischen Herrschenden und Beherrschten 23 Jahre gelebt hat. Sie führte ihn in FDJ- und Parteiversammlungen, in Berliner Schwulenbars, in Künstlerkreise, in die Offiziersschule nach Zittau, zuletzt noch in die Redaktion des Jugendradios "DT 64". Er muss dabei auch erleben, dass der geliebte Freund wie so viele aus seinem Umfeld Zuträger der Stasi war. Zum Schlüsselerlebnis wird der Film "Coming Out" des Regisseurs Heiner Carow, in dem erstmals Homosexualität in einem DDR-Film thematisiert wurde. Die Filmpremiere im Ostberliner Kino "International" fiel mit der unerwarteten Maueröffnung zusammen.
DDR-Erinnerungsliteratur gibt es mittlerweile zuhauf, Jens Biskys Buch gehört zu den interessanteren. Das liegt nicht allein daran, dass er seine Geschichte gut zu erzählen weiß, sondern auch an der Ehrlichkeit und Konsequenz, mit der er es tut.
Jens Bisky
Geboren am 13. August.
Der Sozialismus und ich.
Rowohlt Berlin, Berlin 2004; 252 S., 17,90 Euro