Andere mit der eigenen Begeisterung anstecken." Die Fotografin und Ausstellungsmacherin Elisabeth Niggemeyer-Pfefferkorn geht noch lange nicht in Rente. Nicht nur, weil sie keine bekommt. Mehrsprachigkeit ist im Ina-Kindergarten gleich hinter dem Kottbusser Tor, wo Berlin-Kreuzberg am internationalsten ist, ganz normal.Die Kleinen heißen Marielli, Clara-Luisa, Sonja oder Murat. Sie sprechen Deutsch, Spanisch, Ungarisch oder Türkisch. Und das Spiel, das sie heute mit Elisabeth Niggemeyer-Pfefferkorn spielen, heißt: "Wieviel wiegt ein Kürbis, und wieviel wiege ich?" Ungewöhnlich am heutigen Tag ist nicht nur, dass die Kinder so viel Mathe lernen: Vergleichen, Messen, Addieren, all das haben sie beim Wiegen spielerisch und wie nebenbei eingeübt. Ungewöhnlich ist auch die Dame mit dem Doppelnamen, die die nagelneue Wanderausstellung "Mathe-Kings" gemeinsam mit der US-amerikanischen Pädagogin Nancy Hoenisch erarbeitet hat. Sie setzt auf die natürliche Neugier der Vorschulkinder. Bei ihr gibt es viel zu begucken, zu betasten und zu bestaunen. Mit ödem Büffeln hat Mathematik hier nichts zu tun. Elisabeth Niggemeyer-Pfefferkorn weiß, wie man die Aufmerksamkeit von Kindern weckt. Dabei sind ihre eigenen Kindertage lange vorbei: Sie ist 74 Jahre alt.
1950, nach dem Abitur, wollte sie eigentlich Lehrerin werden. "Ich wusste, Lehrer können auch fabelhaft sein, nicht so langweilig wie die, die ich hatte." Aber ihr Vater, der ein Fotogeschäft betrieb, schickte sie in eine Fotografenlehre. Die hätte sie schon bald am liebsten hingeschmissen, doch dann stand Fotojournalismus auf dem Lehrplan. "Mir war sofort klar, das ist mein Ding." Also packte sie eines Tages ihre Bilder in einen Einkaufskorb und marschierte mit ihnen zur Redaktion der Süddeutschen Zeitung in München. So bekam sie ihre ersten Aufträge. Und als Ende der 50er-Jahre ihr Bildband über München erschien, war der Starkritiker Friedrich Luft begeistert: Solche kunstvollen Fotos, etwa absichtlich unscharfe Aufnahmen, gab es in der damaligen Zeit nicht alle Tage zu sehen.
Von nun an konnte sie sich die Angebote aussuchen. Am liebsten veröffentlichte sie zeitkritische Bilder. "Ich wollte immer etwas erreichen, etwas verändern, auf etwas aufmerksam machen." So entstand ihr berühmtestes Buch: "Die gemordete Stadt", in dem sie die Kaputtsanierung der Altstädte, die Hässlichkeit der 60er-Jahre-Zweckarchitektur ins Bild bannte. "Ein bisschen was haben diese Arbeiten schon bewirkt", glaubt sie heute. Nach 20 Jahren habe ich die gleichen Orte nochmals aufgesucht, und da war vieles nicht mehr ganz so schlimm, zum Beispiel wurden viele Seitenstreifen, die vorher nackt waren, in der Zwischenzeit bepflanzt."
Später tat sie sich mit Nancy Hoenisch zusammen, der Vorschullehrerin des ersten ihrer drei Kinder. Ergebnis der gemeinsamen Arbeit: Mehrere Ausstellungen und bislang sieben Bücher. Bei allen geht es darum, Kleinkindern auf anregende Weise die Welt zu erschließen, und alle enthalten zahlreiche Fotos von Niggemeyer-Pfefferkorn.
Mal geht es um die Einübung von umweltfreundlichem Verhalten, mal um erstes Verständnis für Physik und Technik. Viele Projekte wurden vom Berliner Senat gefördert, doch, wie Niggemeyer-Pfefferkorn bedauert, für die "Mathe-Kings" gab's keine müde Mark. Nancy Hoenisch, ich und der Verlag "das netz", der das Buch zur Ausstellung veröffentlicht hat, mussten alles aus eigener Tasche vorstrecken und versuchen nun, die Unkosten über Verleihgebühren und Eintrittsgelder wieder reinzubekommen. "Wenn die britische Queen zu Besuch nach Berlin kommt", merkt sie spitz an, "werden 70 Zimmer im Hotel Adlon für sie reserviert, aber für die Frühbildung unserer Kinder ist fast nichts da. Das ist schon traurig."
Entmutigen lässt sich Elisabeth Niggemeyer-Pfefferkorn dadurch jedoch nicht. Sie hat es sich zum Ziel gemacht, andere mit ihrer Begeisterung anzustecken, und zitiert den romantischen Dichter Joseph Freiherr von Eichendorff: "Wo ein Begeisterter steht, ist der Gipfel der Welt."
Das Erreichen des Alters, in dem die meisten Menschen in Rente oder Pension gehen, bedeutete für sie keinen Einschnitt: Ich habe ja immer freiberuflich gearbeitet und bekomme sowieso keine Rente. Außerdem glaube ich, dass es die Aufgabe ist, die mir zugedacht ist auf dieser Erde: Das weiterzugeben, was ich weiß und was ich kann. Ich bin dankbar, dass ich lebe, und sehe den Sinn meines Lebens darin, aktiv zu sein. Daher will ich noch so lange wie möglich meine Ausstellungen betreuen und Workshops und Fortbildungen für Erzieherinnen anbieten."
Und wenn sie sich um finanzielle Dinge keine Gedanken mehr machen müsste? "Dann würde ich vielleicht nicht mehr ganz so viele Sachen machen, die in Arbeit ausarten. Aber meine Leidenschaft, Dinge zu sammeln und zusammenzustellen, die bliebe mir natürlich erhalten. Ich habe ungefähr 1.000 Fotocollagen von Paris zu Hause, die noch nicht veröffentlicht sind. Von Berlin würde ich gerne sowas ähnliches machen, gerade die Gegend hier um das Kotti herum ist so lebendig, das müsste man festhalten. Aber momentan komm ich einfach nicht dazu." Elisabeth Niggemeyer-Pfefferkorn, Jahrgang 1930, hat noch viel vor.
Klaus Cäsar Zehrer ist freier Journalist und lebt in Berlin.