Belgien
Zwei Wahlgewinner, aber vorerst keine Regierung
Belgien steht vor einer ungewissen Zukunft. Nach der klaren Wahlniederlage der sozialliberalen Regierung unter Ministerpräsident Guy Verhofstadt lässt sich lediglich absehen, dass es demnächst wieder christdemokratische Minister in Brüssel geben wird. Anspruch auf den Posten des Regierungschefs hat nicht nur Yves Leterme, der Ministerpräsident Flanderns, erhoben. Seine Partei ist der eigentliche Wahlgewinner, weil die flämischen Christdemokraten und ihr kleiner, nach Unabhängigkeit Flanderns strebender Bündnispartner N-VA jetzt im 150 Mitglieder zählenden Parlament 30 statt bisher 22 Abgeordnete stellen. Da die Schwesterpartei CDH in Wallonien nur zwei Sitze hinzugewonnen und jetzt zehn Mandate hat, gelang es nicht, die Liberalen beider Landesteile zu überflügeln, die 41 Mandate stellen.
Vor allem aus den Reihen der wallonischen Liberalen (23 Sitze) kommen daher Rufe, einen ihrer Politiker zum Regierungschef zu berufen. Im Gegensatz zu den von 25 auf 18 Sitzen geschrumpften flämischen Liberalen Verhofstadts und den Sozialisten beider Landesteile (nur noch 34 statt 48 Sitze) haben die wallonischen Liberalen als einziger der vier Koalitionspartner ihre Position gut behaupten können. Neben dem mit Sondierungsgesprächen beauftragten Finanzminister Didier Reynders scheint sich auch EU-Kommissar Louis Michel Hoffnungen auf die Nachfolge Verhofstadts zu machen.
Reynders möchte bis zum Monatsende die Sondierungen abschließen. Die Regierungsbildung verspricht langwierig zu werden, da die flämischen Parteien sie dazu nutzen möchten, mehr wirtschafts- und verkehrs-, aber auch sozial- und gesundheitspolitische Befugnisse vom Föderalstaat an die Regionen zu übertragen. Dies erfordert im Parlament eine Zweidrittelmehrheit. Wie schwer dieses Unterfangen erscheint, lässt sich daran ermessen, dass in Wallonien alle Parteien keine Schwächung der politischen Bande im Königreich wollen. Die flämischen Sozialisten haben ihre Bereitschaft erklärt, aus der Opposition heraus die Staatsreform zu unterstützen. Spekuliert wird auch über eine Regierungsbeteiligung der von vier auf zwölf Sitze erstarkten Grünen, die schon 1999 bis 2003 Koalitionspartner waren. Klar abgebremst wurde der Vormarsch des rechtsextremen Vlaams Belang. Die Partei legte zwar gegenüber 2003 in Flandern um rund ein Prozent auf 19 Prozent zu; aber von ihrem Höchststand von rund 24 Prozent bei den flämischen Regionalwahlen blieb sie weit entfernt.